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Was war. Was wird.

Dritter? Nein, wir sind Weltmeister im Ticketverkaufen. Die Geier kreisen freundlich über uns und signalisieren: Wir sind ein glückliches Volk, erdenkt sich Hal Faber auf seiner Scheibenwelt, getragen von vier Problembären und vier Super-Goleos.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

"Darum ist 'der Regel folgen' eine Praxis. Und der Regel zu folgen glauben ist nicht: der Regel folgen. Und darum kann man nicht der Regel 'privatim' folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen." (Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 202)

*** Bruno der Bär, der in Notwehr erschossen wurde, war Italiener. Entsprechend furchtbar war die Rache der Italiener an den ausgefringsten Deutschen: Aus. Aus und vorbei, in der Verlängerung, auf einer Mörderwiese. Sage da noch einer, dass der Ball rund ist, ein Spiel nur 90 Minuten hat. Nein, diese Rundwelt will ich nicht, an ihre Regeln glaube ich nicht. Lieber lebe ich in einer Scheibenwelt, die von vier Problembären und vier Super-Goleos getragen wird und halte mich an die Geschichte, wie sie wirklich auf ihr passiert. Denn nicht nur die Deutsche Telekom ist Weltmeister geworden. Wir sind Weltmeister! Mit Fäustling Frings, der im Spiel die Luigi Forellos dieser Welt fast im Alleingang besiegte. Mit einer Mannschaft, die selbst die Brasilianer so schwindlig spielte, dass Ronaldinho sich sofort daran machte, die Fragen für den Einbürgerungstest zu lernen. Ja, bei uns steppt der Bär, der frei herumschweifende. Und die Geier kreisen freundlich über uns und signalisieren: Wir sind ein glückliches Volk, ganz ohne Steuererhöhung.

*** Und wie toll erst die absolut perfekte Organisation dieser Fußballerei war! Wir sind Weltmeister im Organisieren, Zählen und Registrieren, seit den Zeiten des großen Hollerith. Bewundernd schaut die Welt auf unser Land, wenn sie RFID-gestützt zu Gast bei Freunden ist, die dank toller WM-Tickets jederzeit alles unter Kontrolle haben. Wie heiter und offen wir sind, wenn wir mitteilen, wie unsere Plätze videoüberwacht, unsere Waren chipbestückt sind. Neidisch wird selbst im WM-fernsten Ausland die Story vom Verkaufsschlager Goleo veröffentlicht, der chemisch hochmodern konstruiert ist. Denn locker geht es zu im neuen Deutschland, in dem der Otto-Katalog eben nicht ausgedehnt wird, wie viele befürchtet haben. Es ist ja alles schon da: Die Datenschnüffelei im Inland wird dem vorzüglichen BND zugestanden, der sie schließlich seit Jahren schon erfolgreich praktiziert, wenn er mit kühnen Agenteneinsätzen Papiertonnen entführt und Klingelschilder abschreibt. Die Deutschen Man in Black sind die besten und müssen nicht einmal ausgeblitzt werden: Zwischen den Ohren dieser Spürnasen ist die Entropie 1a.

*** Was für eine tolle Stimmung im Volke ist, seitdem wir Weltmeister sind und nicht bloß Deutschland oder Obi! Wo wir doch alle in einer großen schwarz-weißen Klinsmannschaft spielen! Mit dieser tollen Stimmung ist es ein großer Spaß, wenn nach dem Fußballfest das schwarzrotgoldene Wahlfest beginnt, mit dem Kanzler Schröder als bester Fan der deutschen Mannschaft mit einer weiteren Regierungszeit geehrt wird. Mit dieser Aufbruchsstimmung im Rücken kann er im roten Jäckchen zügig loslegen und Reformen am Fließband starten. Rund um die ungemein beliebte Gesundheitskarte wird eine medizinische Telematik aufgebaut, die für gut gefüllte Auftragsbücher in der deutschen Branche sorgt, die niemals Stellen abbaut. Die enormen Einsparungen mit der Gesundheitskarte werden in den schicken neuen Gesundheitspool fließen, der praktisch automatisch finanziert wird.

*** Es ist fesch, dass das altehrwürdige Oxford English Dictionary yada, yada in sein Verzeichnis aufgenommen hat. Was normale Ärsche mit Ohren als Bla, Bla übersetzen, ist in einer anderen Welt die Tiefe des Seinsfeldes schlechthin. Mit diesem lexikalischen Ritterschlag können wir durchaus mithalten. Schließlich haben wir den Duden, der das Blog und den Blog, den Blogger und die Bloggerin verbindlich festlegt. Außerdem gibt es in Deutschland gerade Ritterschläge ohne Ende, mit einem schicken Bloggerausweis, der Gründung des Verbandes deutscher Blogger und der Bildung der Sautreiber-Kameradschaft von Klein-Bloggersdorf. Eigentlich fehlen nur noch Rabatte und Rabatthinweise, die den professionellen Journalismus ausmachen. Denn deutsche Blogger stehen für den Aufschwung, für geballten Sachverstand und die soziotechnische Aggregation von heißer Luft, in unserem energiearmen Land der wichtigste Faktor bei den erneuerbaren Energien. Von daher wundert es niemanden, wenn jetzt die 10.000 existierenden deutschen Blogger und Bloggerinnen bei 10.000 deutschen Tageszeitungen als stellvertretende Chefredakteure und -Innen anfangen, frei nach dem alten Fußballmotto Drei Säulen sollt ihr sein.

*** Doch was ist niedere Wortklempnerei, was das Schwimmen des gemeinen Volkes im Wörtersee? Vergesst Robert Gernhardt! Heute strahlt die ganze literarische Welt, denn heute ist der Geburtstag der großen Barabara Cartland, die ich schon deswegen bewundern muss, weil sie an einem Nachmittag üblicherweise 7000 Worte diktieren konnte – zu Assistenten, denen das Husten und Schneuzen bei Strafe mit Kündigung verboten war. So muss das sein, wenn schöne Geschichten auf die heile Welt kommen, die ein klares Unten und Oben kennt. Und ganz oben muss noch ein literarischer Geburtstag begangen werden: Heute feiert der große Aphoristiker Donald Rumsfeld, der uns das Buch Rumsfeld's Rules: Wisdom for the Good Life schenkte, das der Nachscheibenwelt kostbare Einsichten tiefer Menschlichkeit offenbart. Eine Kostprobe gefällig? "It is easier to get into something than to get out of it." Gerade jetzt, wo die Luluisten in strenger Distanz von den Lulutionären auch in Deutschland nach dem Fall der Mauer den allgemeinen Luluismus ausrufen, ergibt es Sinn, Rumsfelds Weisheiten zu drucken. So werden Buchverlage in die Enge hinter den drei Säulen gedrängt.

*** Punkt Mitternacht können wir obendrein den 150. Geburtstag von Nikola Tesla feiern, den begnadeten Erfinder und Ingenieur, Schirmherr aller Überraschungseier. Tesla verdanken wir WiMax und die Todesstrahlen, die das unkaputtbare Deutschland zum friedliebensten Land der Welt machen und zum führenden Exporteur für Garten-Kleingeräte. Tesla steckt sicher auch hinter der Geheimformel X, mit der Fernsehzuschauer eingeschläfert werden und dem pflanzlichen Viagra, das mir von aufmerksamen Menschen fortlaufend per E-Mail angeboten wird.

Was wird.

Für Leser, die das heutige WWWW nicht mögig finden, sei der Hinweis gestattet, dass Terry Pratchett in Berlin auftreten wird, passend zur nächsten Ausgabe der Wizards of OS, die gleich danach in zauberhafte Systemwelten entführen.

Aber das ist weit hinne und damit yada, yada. Was kann eine erfolgreich absolvierte Fußball-Weltmeisterschaft eigentlich noch toppen? Eine Tour de France de source ouvert, in der jeder mit jedem Blut tauscht, auf dass die beste Spritzengruppe gewinnt? Warme Nächte am Baggersee, in dem die Freigeister Bruno und Sammy plantschen? Wie wäre es denn mit ein paar Sommerrätseln im WWWW, die garantiert nicht fragen, wer 1974 beim Jubeln kanzlerte? Die aus einer Welt stammen, in der nicht Don ma Fifa Blatter, sondern zorn@germany das Bundesverdienstkreuz bekommt. Zorn, wie Rache, Blutgräsche, Frings' Fäustling und Bruno. (Hal Faber) / (anw)