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Was war. Was wird.

Genau, Terroristen sind so dumm, wie man es gar nicht für möglich halten würde; übertroffen wird dies möglicherweise nur noch von den Terroristenjägern, befürchtet Hal Faber, der der Zeit nicht hinterher rennen mag.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Damals war ich jung. Ich brauchte kein Geld, sondern Ideale. Mein Mathelehrer, ein Herr Ohnesorg, war von der Schule gefeuert worden, weil sein Bruder von der Polizei erschossen worden war, gewissermaßen eine Art vorweggenommener Radikalenerlass, der an unserer Schule später fürchterlich zuschlug. Wir hatten also viel Zeit im schönen Hannover kurz vor den Sommerferien und lasen aufgeregt mit großen Augen Geschichten vom Summer of Love. Ja, heute vor 40 Jahren begründete Monterey die großartige Tradition der Rockfestivals. Die Bands spielten für umme, der Eintritt war ein symbolischen Dollar, denn schließlich war Monterey eine politische Aussage, die sich für heutige Ohren bescheuert anhört: Peace & Love. Damals ging es im Summer of Love gegen den Vietnamkrieg, mit Radio Veronica und abgedrehten Schülerzeitungen wie Underground (OK, erschien erst 1968). Heute geht es gegen den Irak-Krieg, gibt es das Internet und die Blogosphäre. Da sollte man zur Feier des denkenswerten Wochenendes das orange-pinkfarbene Perlenkettchen mit dem Antikriegszeichen anlegen, das Chillum stopfen und den Mitmenschen Lotusblüten schenken.

*** Funzt aber nicht. Monterey ist vergessen, verdrängt vom kommerziell ausgerichteten Woodstock, das heute zum Rettungsanker der notleidenden Musikindustrie stilisiert wird. "Time waits for no one", ganz recht hatten sie, die Stones, ein paar Jahre später, als sie trotzdem noch guter Dinge waren: Trotz aller Globalisierung und dem Klimaknall hat es die Lotusblüte nicht in die niedersächsische Tiefebene geschafft. Trotz jahrelanger Mülltrennung ist der deutsche Spießer nicht ausgestorben. Der Vergleich der Blogosphäre mit Untergrundzeitschriften ist schließlich völlig abwegig, wenn man liest, wie Blogger Blogger Blutblogger nennen und andere ihre Niggelichkeiten exerzieren. Love & Peace ist out. Schnell wie ein Federmesser klappt unter den spießenden Zeitgenossen der Vorwurf der Heuchelei auf, wenn man nicht Willens ist, die Sorte von Meinungsfreiheit zu verteidigen, die ein Staat taktisch reklamiert, um einen Konflikt anzuheizen.

*** "Wir verkaufen Ideale" heißt es in der Werbung der tageszeitung. Das machen sie mittlerweile recht gründlich mit einem neuen Online-Auftritt, gesäumt von einem schwarzen Todesbalken. Weinende Kinder sehen dich an, könnte man kommentieren, aber ich wollte ja nichts über das blonde Nichts schreiben. Inhaltlich überraschte das linksliberale Blatt mit einem Text, der den Einsatz von fotografierenden Tornados in Heiligendamm mit dem der AWACS-Flieger zur Fußball-WM vergleicht. Spähten die einen in den Luftraum, um frühzeitig attackierende Flugzeuge zu orten, spähten die anderen den Boden aus, um frühzeitig eine neue Generation von linken Terroristen zu entdecken. Schließlich leben wir in einem artgerechten Staat in dem jeder Bürger zunächst einmal ein verdächtiger Bürger ist und sonst gar nichts.

*** Während die nämlichen Tornados in Afghanistan aus großer Höhe kleinste Sachen fotografieren können, haben die Amtshilfeflieger über Heiligendamm angeblich nur Übersichtsbilder angefertigt und nicht das kleinste Nummernschild fotografiert. Welchen Aussagen und welchen Bildern kann man noch glauben, wenn der Manipulation der Bilder im Namen einer hirnlosen Biometrie keine Grenzen gesetzt sind? Genaues Hinsehen und das Wissen über die Psychologie der menschlichen Wahrnehmung lehrte Rudolf Arnheim unter Verzicht auf all die fetten Ontologien, die Bilder und Filme überfrachten. Denn zunächst ist da erst einmal ein Mann mit nordeuropäischem Aussehen als Komparse eines Schwarzhaarigen und sonst gar nichts. Dass da der neue Christus mit der Operation Walküre beschäftigt ist, erklären andere.

*** Täglich wächst die terroristische Gefahr und mit ihr der Umfang der Gegenmaßnahmen. Das sehen die Terorrismusexperten vor allem daran, dass ihre Datenbanken wachsen. 509.000 Terroristen sind in den Vereinigten Staaten registriert, wo man dazu übergehen will, die islamistischen Angreifer aus Europa mit einem Online-Fragebogen zu bekämpfen. Derweil wird bei uns die erste Vernebelungsanalge installiert, damit die Terroristen in die gut sichtbaren Kühltürme fliegen. Bei der Lektüre solche Nachrichten bleibt die Frage übrig, ob Terroristen so doof sind. Bruce Schneiers Antwort, eigentlich für Wired geschrieben, doch dort leicht zensiert: Jawohl, moderne Terroristen sind Idioten – und die Journalisten sind noch größere Idioten, wenn sie das Gerede vom Terror gedankenlos übernehmen. Das gilt für Anschläge auf Tanklager wie für Anschläge mit Tanklastern gleichermaßen, die mörderischen Fläschchen nicht zu vergessen.

*** Wie die Strategie funktioniert, wenn eine "moral panic" ausgelöst werden soll, kann man auch abseits des leidigen Themas Terrorismus sehen, beim noch leidigeren Thema Kinderpornografie. Es musste als Begründung dafür herhalten, dass der Start des deutschen Flickr gründlich misslingen konnte. Natürlich wird in keinster Weise Zensur ausgeübt, sondern nur nach Recht und Gesetz gesperrt. Ubi bene, ibi patria, oder wie das auf Chinesisch heißt. Ganz furchtbar getroffen hat es so manche Blogger mit markanten Inhalten, bei denen Werbung nicht von Herzen kommt.

*** Aber was solls, es ist endlich wieder Sommer, und es stimmt immer noch, time waits for no one. In der Wohnung in Hannover brütete im Blumenkasten auf dem Balkon eine Amsel bereits drei kleine Schreihälse aus, die nun des Morgens nicht nur ihre Mutter auf Trab halten, das Wetter schlägt subtropische Kapriolen und wir genießen Hitze und Donner. So günstig gestimmt kann es fast euphorisch stimmen, wenn die Auszeichnungsmaschinerie des blinden Huhns Kulturbertrieb ausnahmsweise mal wieder ein Korn findet – manchmal gibt es Preisverleihungen, die einem vor Freude Tränen in die Augen treiben; das war nicht nur beim Literaturnobelpreis für Orhan Pamuk so, das ist erst recht bei der Vergabe des Friedenspreises des deutschen Buchhandels an Saul Friedländer so. Wer sein zweibändiges  Werk "Das Dritte Reich und die Juden" noch nicht gelesen hat, sollte nicht länger zögern.

Was wird.

Jetzt war so viel von Love & Peace die Rede, da darf ein kleiner Veranstaltungshinweis nicht fehlen, ganz im Sinne Erich Mielkes "Ich liebe doch alle": Am Dienstag bestreitet der Fernsehkanal arte einen Themenabend zum Thema Kontrolle total. Informiert wird über die artgerechte Haltung von Bürgern im Präventionsstaat.

"Beim ersten Mal tut es weh. Dieses Mal tut es WWW" Heeeeee-rrreinspaziert, meine Damen und Herren, denn hier tut es noch viel weher, hier sind wir gewissermaßen im WWWW-Forschungsinstitut mit einem Wehweh mehr. In der kommenden Woche wird der ebenso undotierte wie unfrisierte Grimme Online Award 2007 verliehen. Da wird man wohl den netten Gag der Medienphilosophin Miriam Pielhau wiederholen können, mit dem sie auf der ersten Verleihung im Jahre 2001 für Stimmung zwischen dem Heilbutt-Carpaccio und dem Heidschnuckenrücken in Rosmarinjus sorgte. Nein, stopp, das waren nicht die Preisträger, sondern Gänge aus einem Menü, zwischen denen damals Preise verliehen wurden. Halten wir fest, dass sich Miriam Pielhau irrte. Nicht nur beim ersten Mal tut es weh. 2007 tut es immer noch weh, mit einem besonders großen Auaaua, nachdem ein Juror für den Preis nominiert wurde. Blitzschnell, wie es sich für einen elektrischen Reporter gehört, verließ er daraufhin die Jury, worüber ich schon berichtet habe. Bitte, ein bisschen Eigenblutdoping cum Captagonfeeding muss doch auch in der Kultur erlaubt sein, komplett mit Selbstzerknirsching vor laufender elektrischer Kamera, wenn anschließend der Seelenkriecher gemacht wird.

Nun ist die Sache über Wochen weiter geköchelt und das Resultat ist keine Currysuppe mit Krebsschwänzen, wie 2001 serviert, sondern eher Algenschaum an Fliegendreck a la Ferran Adria. Drücken wir also dem elektrischen Reporter den Daumen, dass er einen Award bekommt, überreicht von Miriam Pielhau, der das ganz besonders wwww tut. Wie hieß es noch zum ersten Grimme Award, als sich Dennis Hopper als Internet-Muffel outete und seine ins Internet tippende Frau als Preisträgerin vorgeschlagen wurde? "Eine Kategorie wird sich da schon schaffen lassen." (Hal Faber) / (jk)