4W

Was war. Was wird.

Durchgeknallte aller Länder, vereinigt euch. Vom Web 2.0 geht der Weg direkt über Obscurity by Security zu irrlichternden Präsidenten auf beiden Seiten. Aber die Stimme der Vernunft erklingt nicht nur in Nachrufen, hofft Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 90 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es wäre zu schön gewesen, aber auf mich hört ja keiner. Das alberne Gerede vom Web 2.0 und die Verhimmelung der Open Source 2.0 sind erst der Anfang. Schon tauchen Konferenzen auf, die bedeutungsvoll When 2.0 fragen. Die Freude auf die Blase 2.0 ist unverkennbar. Das Geld sitzt locker und der Verstand auch. Einzig die Frauenkirche verdiente die Bezeichnung 2.0, Friede sei auf Erden. Aber nein, sie hat das wiedererstandene Original zu sein. 2.0 ist schwer angesagt und offenbar unausscheidbar, wie die Kugelmachung. Wer erinnert sich schon an Borlands ObjectVision 2.0, das mit defekter Installationsroutine kam, dafür aber die Telefonnummer eines Pfarrers als Hotline im Handbuch verzeichnete?

*** Vielleicht ist MS-DOS 2.0 Schuld daran, dass 2.0 so einen guten Ruf hat. Es war das erste DOS, das komplett von Microsoft entwickelt wurde und konnte erstmals mit Festplatten umgehen. Auf den Gedanken hat mich der Geburtstag von Bill Gates gebracht, den andere 2.0-mäßig   doppelt ausgewogen feierten. Doch noch fehlt ein hübsches Halloween-Dokument als passendes Geburtstagsgeschenk neben dem üblichen Geburtstagsständchen, zu spielen mit dem Windows Media Player. Aber war es wirklich der freie Wille von Bill Gates, der reichste Mann der Welt zu werden?

*** Niemand möchte gerne einen Big Brother Award geschenkt bekommen. Das wird bei Otto Schily nicht anders sein, auch wenn dieser überzeugt ist, dass ihm kein Datenschützer etwas vormachen kann. Derweil geht das große Rätselraten um den geheimen Teil der großen Biometrie-Studie Bio PII weiter. Der oberste Datenschützer behauptet, die Tests zur Überwindungssicherheit der neuen Reisepässe nie gesehen zu haben, während Otto Schily Obscurity by Security zum Staatsprinzip macht. So kommt es, dass Deutschland einen Pass bekommt, über den es keine öffentliche Diskussion gab, den kein demokratisch gewähltes Gremiun befürwortete und über dessen Sicherheit ein Dutzend Spezialisten Bescheid zu wissen behaupten. Den Rest Unsicherheit regelt ein Verbot ab: Nur Behörden dürfen den Pass auslesen. Wer Märchen 2.0 mag, der höre den Analysten von Booz Allen Hamilton zu: "Biometrische Ausweise müssen neben der öffentlichen die privatwirtschaftliche Seite mit einbeziehen, um die Tragfähigkeit der Investitionen sicherzustellen."

*** Was die Investitionen in der deutschen Wirtschaft anbelangt, so sind die 1 Euro-Jobs ein schönes Beispiel, hier aus dem ehrbaren Handwerkerleben. Wenn man klug wirtschaftet, macht man ein hübsches Plus und kommt dazu an Mitarbeiter, "die Sie dazu noch völlig ohne Risiko ausgiebig testen können". Betasten der Ware ausdrücklich erwünscht, müsste man bei dieser Sprache ergänzen. Leider wird lieber darüber diskutiert, wie hoch die Missbrauchsquote ist und wie der Datenschutz so gelockert werden kann, auf dass Bezieher von Arbeitslosengeld II ausgiebig beleuchtet werden können. Wer arm dran ist, verliert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

*** Mit den Alarmpfeifen der Angst leben wir in der Gefahrenzone des Alltags und nur das Pervasive Computing der alles registrierenden intelligenten Dinge gibt einen letzten Rest Sicherheit, per RFID in großen Datenbanken mütterlich gehegt. Die Amerikanerinnen Katherine Albrecht und Liz McIntyre von der Verbraucherorganisation Caspian haben ein Buch über die Schnüffelchips veröffentlicht, das RFID-Hersteller vom Markt wegkaufen wollen, weil es zu unsachlich ist. Wie kann eine Technik so falsch dargestellt werden, wenn sie eine ganz simple Sache ist, die auch der dümmste Ladenbesitzer versteht. Das jedenfalls behauptet Bruce Sterling. Darum gibt es ja die Wahrheit 2.0.

*** Die Würde des Menschen ist antastbar, wenn er die Firma betritt. Siemens ist ein schönes Beispiel. Im Frühjahr 2003 stellte ein Manager der zentralen Personalabteilung Anzeige gegen unbekannt, weil ein anonymer Brief den Betriebsrat beschuldigte, Protokolle zu fälschen. Ein Staatsanwalt bittet Siemens, "entsprechende Einträge in Ihren Computern aufzubereiten". Ein Hausdetetektiv beschlagnahmt 18,3 Gigabyte an Maildateien, die beim Betriebsrat aufgelaufen sind. Insgesamt sollen es 70.000 Dateien sein. Nun schreibt kein Mitarbeiter mehr vertrauliche Mails an den Betriebsrat, denn das Vertrauen ist hin. Wer bittet denn da um Diskretion? Eine Firma, die weiß, wie diskret geölt wird. Und offenbar Hersteller von Lebensmitteln ist.

*** An dieser Stelle muss ich auf Judith Miller zurückkommen, die ich mehrfach in diesem Wochenrückblick erwähnt habe. Mittlerweile ist die Star-Spürnase in Plamegate verwickelt und wird wie eine Aussätzige behandelt. Dass sie eine begeisterte die Irak-Intervention rechtfertigende Journalistin war, wird ihr jetzt vorgehalten – doch das hat jeder auch vorher von ihr lesen können. Festzuhalten ist, dass Judith Miller in Artikeln keine Namen genannt hat und ihre Quelle geschützt hat, Wer dieses Vorgehen für richtig hält, muss noch lange nicht den speziellen journalistischen Patriotismus mögen, den Miller vertritt. Dafür kann er sich vielleicht an der Klage gegen Lewis Libby erfreuen, von der halben Welt als möglicher Anfang vom Ende einer seltsamen Regierung betrachtet, die einen Krieg auf Basis von Falschinformationen durchsetzte und immer noch eine Armee ohne Plan durch fremde Länder stapfen lässt. Ein durchgeknallter iranischer Präsident dürfte Bush da als Helfer beim Pfeifen im Wald gar nicht ungelegen kommen.

*** Aber wer sagt, dass Bush die Amerikaner repräsentiert? Im Alter von 92 Jahre starb Rosa Louise Parks, laut Polizeibericht die "schamlose schwarze Person", die 1955 ihrem Platz im Bus sitzen blieb, auch als sich der Bus mit Weißen füllte, und die deswegen verhaftet wurde. Computerfreaks werden sich allenfalls an die Werbung von Apple erinnern, doch ihr Anspruch "Think Different" war etwas weiter gefasst. Ihr berühmter Satz I sit where I want to wurde nun mit einem iPod veredelt – oder verunstaltet.

*** Und, wenn wir schon gedenkend innehalten: Heute vor 120 Jahren wurde der große amerikanische Dichter Ezra Pound geboren, der wichtigste Förderer von James Joyce, William Butler Yeats und Ernest Hemingways. Als Judenhasser sondergleichen und Bewunderer des italienischen Faschismus wurde er von den Amerikanern 1945 für 25 Tage in einen offenen Käfig eingesperrt und schuf die in sechs Sprachen verfassten Pisaner Cantos, das größte Gedicht des vergangenen, des 20. Jahrhunderts. Vielleicht war Pound ein Genie ohne Verstand, aber dafür schenkte er der Welt das beste Brechmittel für alle, die derzeit das Wort Leitkultur dekrepitieren lassen. Nein, das Wort habe ich nachgeschlagen.

*** Nach der angeregten Musik-Debatte unter den Forumsteilnehmern erwartet vielleicht jemand, dass ich heute Oasis preise und mich dafür entschuldige, dass Motörhead immer noch nicht   ausreichend gewürdigt wurde. Aber nicht doch. Ein zweiter Link geht darum heute zur größten führenden Business-Blog-Seite Deutschlands. Ärmere Schlucker mit musikalischen Ambitionen klicken hier.

Was wird.

Weil die Sommerzeit ausgeknipst ist, hat der Heisefan mehr Zeit, sich seinem Hobby zu widmen und die Foren zu lesen. Die Spannung steigt unerträglich, wie der Wettbewerb der großen Rivalen ausgehen wird. Siegt das Off-Topic-Forum oder schafft es das Politikforum? Der Kampf um den goldenen Heisig-Bär ist voll entbrannt. Oder sollte sich am Ende die Überwindung von Systemgrenzen als einfacher herausstellen als die Kluft zwischen den Foren? (Hal Faber) / (jk)