Schwarz-Rot nimmt Kurs auf Vorratsspeicherung von TK-Verbindungsdaten

Bei der "Arbeitsgruppe Innen" im Rahmen der Koalitionsgespräche waren sich die Verhandlungsführer einig, dass die Einführung der massiven pauschalen Überwachungsmaßnahme unabdinglich sei.

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Union und SPD wollen in ihrem Koalitionsvertrag die heftig umstrittene Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten im Telefon- und Internetbereich als gemeinsames Ziel festschreiben. Darauf einigten sich die Verhandlungsführer der "AG Innen" am vergangenen Freitag in Berlin. "Die Vorratsdatenspeicherung wird kommen", erklärte ein Vertreter der Arbeitsgruppe nunmehr gegenüber heise online, nachdem am Wochenende bereits erste Berichte aufgetaucht waren, die Regelung sei für den Koalitionsvertrag bereits vereinbart. Es gebe "massive Interessen" an der Überwachungsverstärkung von Seiten der Innenpolitiker. Umstritten sei nur noch, ob die Telekommunikationsunternehmen in einem kommenden Gesetz zur Vorhaltung der gigantischen Datenmengen für sechs oder zwölf Monate verdonnert werden sollen. Vor allem bayerische Innenexperten der CSU sollen hier auf eine einjährige Speicherfrist drängen, während SPD und CDU mit der Halbjahresfrist liebäugeln. Bislang archivieren Anbieter im Telefonbereich Verbindungsdaten für Abrechungszwecke meist 80 Tage lang, beim Internetzugang insbesondere bei Flatrates nur wenige Stunden oder Tage.

Mit dem Ergebnis der Arbeitsgruppe deutet sich im Lichte der Debatte um die Einführung der Vorratsdatenspeicherungs in Brüssel ein Richtungswechsel in Berlin an. Erstmals haben sich auch federführende Innenpolitiker der SPD aus dem Bundestag für die monatelange Aufzeichnung der elektronischen Spuren der Bundesbürger ausgesprochen. Noch vor einem dreiviertel Jahr hatten die Parlamentarier über den damals federführenden Rechtsausschuss dagegen der tief in die Bürgerrechte einschneidenden Maßnahme generell eine klare Absage erteilt. Die AG Recht muss bei der Fortsetzung der Koalitionsgespräche zwar in dieser Woche den Vorstoß der Innenexperten noch gutheißen. Doch die amtierende und wohl auch künftige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat hier ebenfalls bereits die Weichen auf eine sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung gestellt.

Die Verhandlungsführer von Schwarz-Rot rechnen demnach auch nicht mehr damit, dass sich im EU-Parlament gemäßigte Stimmen durchsetzen und die geplante Richtlinie Speicherfristen unter sechs Monaten vorschreibt. Bei dem Vorhaben von EU-Rat und EU-Kommission in Brüssel geht es allgemein um die Speicherung von Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden. Telefondaten will die Kommission zwölf, Internetdaten sechs Monate gespeichert wissen. Der Parlamentsberichterstatter für die Richtlinie, Alexander Alvaro, plädiert dagegen für eine dreimonatige Vorhaltungspflicht allein im Telefonbereich. Für Internetverbindungsdaten will der FDP-Politiker keine Mindestfristen vorgeschrieben wissen.

Ausnahmeregelungen für Internet-Provider sowie eine Dreimonatsfrist würden in Berlin derzeit aber nicht ernsthaft diskutiert, war aus der "AG Innen" zu vernehmen. Man strebe eine einheitliche Regelung an, die über die von vielen Telefonanbietern schon praktizierte 80-Tage-Speicherung deutlich hinausgehe, hieß es. SPD-Politiker plädieren zwar noch für Abwägungen, da unendliche viele Daten von Menschen betroffen wären, die zunächst gar nicht verdächtigt seien. Als Berliner und Brüsseler Kompromisslinie gilt bislang allerdings höchstens der Vorschlag von Zypries, Standortdaten im Mobilfunk nur am Anfang eines Gesprächs zu erheben und nicht auch während und am Ende einer Verbindung. Nicht erfolgreiche Anrufversuche will die SPD-Politikerin ebenfalls außen vor halten.

Scharfe Proteste gegen das Gemauschel der Koalitionspartner und das eigenmächtige Vorgehen der Bundesjustizministerin in Brüssel kommt derweil von der FDP: "Die Bundesregierung, die nur noch geschäftsführend im Amt ist, hat sich verselbstständigt", beklagt die Europarechtsexpertin der Liberalen im Bundestag, Sibylle Laurischk. "Sie ignoriert beharrlich den Willen des deutschen Gesetzgebers", führt die FDP-Politikerin anhand der Entwicklungen rund um die Vorratsdatenspeicherung mit Hinweis auf die Beschlusslage des Parlaments aus. Zypries betreibe "Politikwäsche", indem sie auf EU-Ebene unbeeindruckt von der ablehnenden Haltung des Bundestags weiter verhandle. Die FDP-Fraktion werde deshalb kurzfristig einen Antrag zu diesem Thema im Parlament einbringen.

Die deutschen Datenschutzbeauftragten haben am Freitag – ähnlich wie zuvor bereits ihre europäischen Kollegen – ihre "harsche Kritik" an den Plänen zur elektronischen Rundumüberwachung der Bürger wiederholt. Sie warnen vor einer "Totalkontrolle der Telekommunikation der gesamten Bevölkerung", was gegen Grundregeln der demokratischen Gesellschaft verstoße. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hatte im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur "präventiven Telekommunikationsüberwachung" zuvor starke Bedenken geäußert, ob eine sechs- oder zwölfmonatige Vorratsdatenspeicherung hierzulande verfassungsgemäß sei. In den Schutzbereich des Grundgesetzes fällt nach Ansicht der Verfassungsrichter "auch die Erlangung der Kenntnis, ob, wann, wie oft und zwischen welchen Personen Telekommunikation stattgefunden hat oder versucht worden ist". Sollte zu befürchten sein, dass der Staat entsprechende Informationen verwertet, würde die freie, von der Verfassung geschützte Kommunikation leiden.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)