"Übertreibung nervt"

Wie erzeugt man im Web Aufmerksamkeit, ohne allzu aufdringlich zu werden? Marketing-Experte Paul Mudter über den schwierigen Balanceakt der Online-Werbung.

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Wie erzeugt man im Web Aufmerksamkeit, ohne allzu aufdringlich zu werden? Marketing-Experte Paul Mudter über den schwierigen Balanceakt der Online-Werbung.

Paul Mudter, Jahrgang 1966, leitet den Bereich "Interactive" bei der Vermarktungsgesellschaft IP Deutschland. Seit 2006 ist der diplomierte Betriebswirt zudem Vorsitzender des Online-Vermarkterkreises im Bundesverband Digitale Wirtschaft.

Technology Review: Laut einer Studie mögen zwei Drittel der befragten Internetnutzer keine unterbrechende Werbung, etwa in Form von aufpoppenden Fenstern. Warum schalten Werber so etwas trotzdem immer wieder?

Paul Mudter: Unterbrechende Werbung ist sehr aufmerksamkeitsstark. Wenn man Nutzer pauschal fragt: "Nervt solche Werbung?", sagen viele erst einmal "Ja". Fragt man sie hingegen: "Seid ihr bereit, solche Werbung zu akzeptieren, wenn ihr dafür hochwertigen Content kostenlos nutzen könnt?", kriegt man ganz andere Antworten. User akzeptieren aufmerksamkeitsstarke Online-Werbung, weil sie dadurch eine Seite kostenfrei nutzen können.

TR: Aufmerksamkeit hin oder her – die negativen Gefühle, die ich durch aufdringliche Werbung habe, übertrage ich doch auch auf die Marke, die mich da behelligt.

Mudter: Jeder User weiß genau: Wenn er Werbung nicht möchte, dann muss er eben kostenpflichtige Angebote nutzen. Und solche Assoziationen, die Sie beschrieben haben, geben unsere Studien nicht wieder. Wer genervt ist, klickt einfach schneller weg.

TR: Nun sind Pop-up-Fenster ohnehin eher eine Sache aus dem letzten Jahrtausend. Was sind denn die aktuellen Trends bei der Online-Werbung?

Mudter: Die heutigen Trends sind sehr vielfältig. Ein ganz wichtiges Element sind Bewegtbilder. Solche Werbespots sind entweder in klassische Werbebanner integriert oder in Videoclips. Bei kurzen Clips stehen die Werbespots meist am Anfang, bei längeren Formaten sind sie als Unterbrecher integriert.

TR: Und welche neuen Möglichkeiten schaffen soziale Netzwerke?

Mudter: Viele Social-Media-Plattformen haben Standard-Werbemittel integriert. Außerdem gibt es Formen, wie man sie von Facebook kennt, etwa über einen "Gefällt mir"-Button mein Commitment zu einer Marke auszudrücken. Zusätzlich kann man Usergruppen in sozialen Netzwerken einrichten, die sich mit einzelnen Produkten auseinandersetzen.

TR: Wie findet man dort die richtige Balance zwischen Aufmerksamkeitserzeugung und Aufdringlichkeit?

Mudter: Das ist sehr schwierig. Gerade im Social-Media-Umfeld ist eine entsprechende Sensibilität gefragt. Der Vorteil ist aber, dass man dort eine sehr direkte Antwort bekommt. Werbemittel, die stören, werden offen als solche identifiziert.

TR: Was weiß ein Werbetreibender mittlerweile über einen Nutzer?

Mudter: Momentan wird das "Behavioral Targeting" viel diskutiert. Dabei wird versucht, aus dem Surfverhalten der User Rückschlüsse zu ziehen, ob er sport- oder finanzaffin ist, ob er männlich oder weiblich, eher jünger oder eher älter ist, um gezielt relevante Werbung für ihn ausspielen zu können. All das basiert auf anonymen Hochrechnungen. Man weiß nie, welche Person sich dahinter verbirgt.

TR: Was mich nervt: Wenn ich für eine Reise ein Hotel suche, bekomme ich noch ein halbes Jahr später ständig entsprechende Hotelangebote eingeblendet. Ich habe das Gefühl, dass alles, was ich jemals angeklickt habe, mich mein Leben lang verfolgt.

Mudter: Was Sie ansprechen, nennt sich Re-Targeting: Sie besuchen einen Shop für Wintersportartikel und haben damit Ihr grundsätzliches Interesse an Wintersport gezeigt. Die Idee des Re-Targetings ist es, Ihnen nach einer gewissen Zeit noch einmal Werbung dieses Umfelds zu zeigen, um ein eventuelles Kaufinteresse zu verstärken. Wenn so etwas übertrieben wird, nervt es – mich übrigens auch.

TR: Dank solchen Targetings können immer kleinere Zielgruppen angesprochen werden. Wo ist die Grenze – gibt es irgendwann Werbung, die genau auf einzelne Individuen zugeschnitten ist?

Mudter: Die meisten Produkte, die heute werblich im Internet angeboten werden, haben schon eine etwas breitere Zielgruppe. Wenn man nur noch ein oder zwei Leute anspricht, steht der Aufwand für die Produktion einer Werbekampagne in keinem Verhältnis mehr zur Zielgruppe. (grh)