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Was wirklich wahr war. (Ein entschlüsselter Sommernachtsrätseltraum)

Mit der Intelligenz hat der Mensch Probleme, allzumal mit der künstlichen von Rechnern. Trotzdem blieben im ersten Teil des diesjährigen Sommerrätsels nur vier von zehn Fragen unbeantwortet; und Hal Faber bastelt bereits am zweiten Teil für dieses Jahr.

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Von
  • Hal Faber

Mit der Intelligenz hat der Mensch Probleme. Mit seiner eigenen sowieso, mit der künstlichen von Rechnern auch und bei der extraterristischen ist ein einfaches Wow! so ziemlich alles, was der Mensch sagen kann. Ein ganz besonders Wow! all denen, die sich am Sommerrätsel zur künstlichen Intelligenz beteiligt haben, obwohl es nichts zu gewinnen gab, nicht einmal ein Phantomfoto eines Zune-Players. Vier von zehn Fragen blieben unbeantwortet, alle anderen wurden mehr oder weniger richtig aufgelöst.

Was wirklich wahr war.

Frage 1 suchte nach dem Autor einer Filmkritik und dem Film, der vom Kritiker verrissen wird. Der Film war A.I. von Steven Spielberg, der damit ein Projekt zu Ende brachte, dass Altmeister Stanley Kubrick angefangen hatte. Die Kritik kam vom Philosophen John Searle, der mit seinem chinesischen Zimmer die Idee kritisierte, dass der Turing-Test ein richtiger Test der künstlichen Intelligenz ist. Die beste Antwort auf die Rätselfrage kam von Monika Ermert, der Chef-Sinologin unter den Heise-Reportern: "Biaoti hui zao guanzhe yinxiang dianying yao shuo rengong zhihui de weilai. Keshi zhe ge qiwang bu manzu le. Dianying yi xiju yishu wu quanli yu chuncui qipian lai mibu jishu he kexue de buzu."

Frage 2 suchte ein deutsches oder englisches Verb und hatte ebenfalls keine Chance, ungelöst zu bleiben. Alan Turing und der ebenfalls homosexuelle Christopher Strachey experimentierten mit "künstlichen Liebesbriefen", die eigentlich nur die Botschaft "Dies ist ein Liebesbrief" übermitteln. Christopher Strachey schrieb danach eines der bekanntesten Dame-Programme, entwickelte die Combined Programming Language (CPL) und schlug als erster das Konzept des Multitasking vor. Ihm verdanken wir das schöne deutsche Verb Schönfinkeln bzw. das englische Pendant "currying", das die Umwandlung einer Funktion mit mehreren Argumenten beschreibt.

Bei der Frage 3 verlinkte ich auf diesen Text und suchte den Herrn mit Brille, der neben Bundeskanzler Erhard saß, als das erste "Elektronenhirn" in Deutschland ausgestellt wurde. Gesucht war der Computerpionier Dietrich C. Prinz, der das erste Schachprogramm, ein "Matt in zwei Zügen", auf dem nämlichen Elektronenhirn Ferranti Mark 1 entwickelte. Der jüdische Wissenschaftler Dietrich Prinz war Schüler von Einstein und Planck. Nach seiner Promotion floh er 1935 nach England, wo er ab 1947 bei Ferranti als Programmierer arbeitete. Sein 1951 geschriebenes "Matt in zwei Zügen" gilt heute noch als geniales Programm. Das erste vollständige Computerschachprogramm brauchte wesentlich mehr Rechenleistung, als der Mark 1 besaß und wurde daher erst 1957 für eine IBM 704 geschrieben. Prinz wurde wiederum mit seinem Programmen bekannt, mit denen Bus- und Bahnfahrpläne oder Ampelschaltungen in Großstädten ("Grüne Welle") berechnet wurden.

Bei der Frage 4 wurde ein Rechner gesucht und schnell gefunden. Der Sharp ELSI MATE EL-8048 ist eine lustige Kombination von Taschenrechner und Soroban. Dieser Rechner wurde in einer Broschüre abgebildet, mit der das Heuristic Programming Project der Universiät Stanford 1980 um Geldgeber für seine KI-Forschung (DENDRAL, EMYCIN) warb. Warum Edward Feigenbaum, der Leiter des Projekts, sich für die Abbildung dieses Rechners entschied, ist ungeklärt. Denn in Stanford wurden wirklich KI-Rechner gebaut.

Das "VLSI Heuristic Design Project" unter der Leitung von Forest Baskett entwickelte 1979 den Phase Decoder, der in Frage 5 gesucht wird. Ziel war die Entwicklung eines KI-Programms, das nach menschlichen Vorgaben automatisch Prozessoren baut. Forest Baskett beeinflusste viele Computerentwickkungen, zu seinen Schülern gehörten Sun-Gründer Andy Bechtolsheim und Rambus-Erfinder Michael Farmwald.

Frage 6 nach der "Bewegung Lafontaine" war sicherlich die schwierigste Frage des KI-Sommerrätsels, weil sie aus dem Reich der Literatur stammte. Im Jahr 1988 schrieb der Stern-Autor Hans-Dieter Degler eine Science-Fiction-Story zur Computer-Demokratie im Jahre 2022, in der jeder Bürger mit seinem Computer über jede politische Frage abstimmen kann und über Kabel mit dem europäischen Zentralrechner verbunden ist. In der Erzählung ist die "Bewegung Lafontaine" eine Gruppe von Anti-aKW-Aktivisten, die 2010 in das Kernkraftwerk Garching eindringen und von Sicherheitsrobotern erschossen werden. Nach diesem Vorfall, der Europa von Istanbul bis Spitzbergen erschütterte, wurde das erste europäische Robotergesetz beschlossen: "Du darfst keinen Menschen töten."

Bei der Frage 7 legte sich die Mehrzahl der Rätselfreunde schnell auf den Forumsteilnehmer DocSnyder fest, der früher mit seinen Erster!-Meldungen so manches WWWW verzierte. Wahrscheinlich führte der markante Schnurrbart zur Verwechslung. Der Herr im Bild ist jedoch der KI-Forscher Douglas Lenat, der im Foto aus dem Jahre 1982 am Palo Alto Research Center vor seinem KI-Programm Eurisko posiert. Heute gilt Lenat mit seinem Datenbank-Programm Cyc als letzter Vertreter der good old fashioned artificial intelligence (GOFAI).

Frage 8 beschäftigte sich mit Chaos, jedoch nicht mit dem Chaos in der KI-Forschung, sondern mit dem Avatar Chaos im Programm Microsoft Bob. Obwohl sich Microsoft Bob als grandioser Fehlschlag entpuppte, gilt die "anwenderfreundliche Benutzerumgebung" bis heute als einer der wenigen Versuche, die Ergebnisse der KI im alltäglichen Umgang mit dem Computer zu nutzen. Der Katzenavatar Chaos sollte dem Anwender automatisch Übersetzungsvorschläge ins Französische oder Spanische machen.

Frage 9 beschäftigte sich mit Nathaniel Rochester, dem einzigen Teilnehmer der berühmten Darthmouth-Konferenz, der sich nach der Konferenz nicht mehr mit KI beschäftigte. Rochester gehörte zu dem Team, das bei IBM die 701 entwickelte. In einer Werbebroschüre für den neuen Rechner verwendete Rochester das Wort "smart" und erhielt postwendend die Kündigung. Nach den eisernen IBM-Regeln war es untersagt, eine Maschine mit menschlichen Attributen zu bezeichnen: "Nur Gott kann Intelligenz schaffen." Die Kündigung musste zurückgezogen werden, weil Rochester noch den Assembler für die 701 entwickelte.

Frage 10 war natürlich eine Fangfrage, denn das sauber aufgeräumte Bild Grrr! von Roy Lichtenstein, das gerade in Bonn gezeigt wird und nicht gerade von Begeisteriung Lichtensteins für das Guggenheim-Museum bzw. für die Methoden dessen Organisatoren zeugen soll, wurde mitnichten von einem unterbeschäftigten Sysadmin-Computer aufgeräumt. Das Bild wurde händisch zerlegt und stammt aus der Serie "Kunst aufräumen" von Ursus Wehrlin.

Die nächste Folge des Rätsels für diesen Sommer, für den uns ja auch noch die Begleitmusik fehlt, soll sich mit Betriebssystemen beschäftigen. Wer knifflige schönfinklerische Fragen etwa zur Firma SCO und ähnlich obskuren und abgelegenen Wissensgebieten dieses schönen, immer wieder für Religionskriege tauglichen Themas parat hat, kann sie an hal@heise.de schicken. (Hal Faber) / (jk)