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Was war. Was wird.

Was für eine Vorstellung! Das Berliner Ballett scheint nahtlos in die Eiertänze der Musikindustrie überzugehen. Solcher Schein erzeugt ein Bewusstsein, das auch aufständische Jugendliche nur als wegzuspülenden Dreck begreifen kann, befürchtet Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, ich höre nicht auf das, was manche Foren-Leser mir raten. Sie lesen ja auch nicht das, was ich schreibe. Darum mache ich hier auch nicht den Lafo, den Müntefering in dieser Woche so großartig vorgeturnt hat, wie ein Fabian Hambüchen unter Dope. Hier hat es sich auch nicht nicht ausgestoibert, ich schreibe weiter, bis sie mir meine geliebte Northgate Omnikey aus den kalten, starren Fingern zerren, bis sich mein Euroscript-Fenster für immer schließt. Oder bis Heise meint, dass ich die werberelevante Zielgruppe nicht mehr erreiche: Shit Happens. Was sich unterdessen im Raumschiff Berlin abspielt, dieses Ballett der Generation V wie Versager, vom Kanzler, der die Plünnen hinschmeißt, zu seinem Erb(sen)prinz Münte bis zum typischen 68er Stoiber, das ist hat schon die Qualität eines niederbayerischen Bauernschwanks.

*** Für 35.481,60 Euro kaufte der Software-Distributeur Ashampoo eine Seite in der FAZ, damit Inhaber Rolf Hilchner, einstmals Vertreiber von Software-Lügendetektoren so richtig Dampf ablassen kann: Das Gegenstück zum Bauernschwank ist das plattdeutsche Bauerntheater mit dem Stück Es reicht! Sensibel assistiert vom hauseigenen Pressebüro Typemania. Natürlich wartet jedermann gespannt auf den zweiten Teil der Werbekampagne: "Es reicht nicht! Neuwahlen!" Wer standhaft ist, ist manchmal einfach nur im Schlamm stecken geblieben.

*** Achja, standhaft: An dieser Stelle müsste ein Lob auf Andrea Nahles nachgetragen werden, der Katalysatorin des heuschrecklichen Kollateralschadens. Als bekennende Trekkie hat sie halt einen geschulten Blick für die zweite Realität, in der die Kosmonautik groß im Kommen ist. Nun wird die Königsmörderin vom Zeitstrudel erfasst und mit miesen Männerphantasien angewichst, Doch leider ist die Aufsteigerin der Woche recht still und leidet mit ihrer Partei, die krumme Rücken fordert und damit nicht Leute mit einem Hüftschaden meint. Jaja, im wahren Leben ist alles einfacher als in der großen Konsultation: Wer die reine Liebe bis zum Lawinenabgang haben will, geht zu den Girls, der Rest zu Ficken 2.0.

*** Meistens ist es ein Grund zur Freude, wenn ein deutsches Wort seinen Weg in eine andere Sprache findet, zumal dann, wenn es Französisch ist, das nicht einmal "le Kindergarten" kennt. Nun hat Nicolas Sarkozy, die starke Hand im Kampf gegen den Terror, den Franzosen versprochen, er werde die Vorstädte "kärchern", das Gesindel wegspülen wie Frischgeflügel für die Dönerbuden. Beim schwäbischen Paradebetrieb Kärcher ist man nicht unbedingt erfreut, als Verb in Frankreich zu enden. Wenigstens bei uns muss nicht gekärchert werden: Die Gewalt nimmt zu, die Experten sind aber nur langfristig ein bisschen ratlos. Vielleicht explodiert ja nichts, genau wie gestern vor 400 Jahren, als London im Bombenterror unterzugehen drohte. An die darauf folgende 200-jährige Unterdrückung der Katholiken, die rote Hüte tragen mussten, erinnert heute noch eine Linux-Version.

*** Sarkozy hätte öfters ins Kino gehen sollen. Möglicherweise wäre er dann auch auf Filme von Pier Paolo Pasolini gestoßen, der in seinem Liebesgesang auf das Archaische schon in den 50ern und 60ern die Hoffnungslosen, die Abgeschriebenen, die auch von der Linken als Subproletariat Verunglimpften und heutzutage in modischer Harald-Schmidt-Diktion als Unterschichten ins Abseits Geschobenen gegen die Anfänge der Globalisierung verteidigte. Ja, Pasolini verteidigte das Volk – auch gegen Brechts Spruch in den "5 Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit", wer "in unser Zeit statt Volk Bevölkerung sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht". Wer nie sein Brot mit Tränen aß, wird möglicherweise die Radikalität der Position Pasolinis nicht begreifen können – eine Radikaltität, die nicht wenige nach der Ermordung des bekennenden Schwulen vor 30 Jahren mit Häme oder Erleichterung reagieren ließ. Heute ist Pasolinis Kritik an einer Gesellschaft, die er als alltäglichen Faschismus des allgegenwärtigen Kleinbürgertums begriff, näher dran an den Aufständen in den Banlieues von Paris oder den Krawallen in Argentien als die Anmerkungen der aufgeschreckt umhereilenden Globalisierungskritiker, die nach Pasolinis Verständnis wohl selbst zur herrschenden kleinbürgerlichen Schicht gehören dürften.

*** Aber es gibt auch noch einfacher zu entschlüsselnde versteckte Botschaften als die der marodierenden Jugendlichen von Paris. Steganographie-Experten werden längst den Wettbewerb entdeckt haben, den die Financial Times Deutschland in ihrem Text über die quasselnden Drucker eingestreut hat. Ist es nicht wunderbar, welche Preise winken? 10.000 Flugmeilen bei miles&more, der größten Bewegungsdatenbank für deutsche Manager, die bei Flugmeilenaffären aller Art sicher noch einmal bereitwillig Auskunft gibt. Die Lösung des Steno-Rätsels wird sicher "Verkaufe uns all deine persönlichen Daten" sein, denn nach dem Big Brother Award ist vor dem Big Brother Award.

*** Mit Empörung soll Sony BMG darauf reagiert haben, wie die amerikanischen Konsumenten bei Amazon eine CD von Van Zant runterputzen. Während die Zanties sich über ihr Label distanzieren, gewährt das aufschlussreiche Rootkit-Gate gute Blicke auf die Bretter vor dem Kopf, die namhafte Spezialisten herumtragen. Nehmen wir nur die Süddeutsche Zeitung, die im "Digitalen Leben" die Konvergenz der Multimedia-Server im Wohnzimmer bejubelt und jetzt ganz streng fragt: "Aber was haben Musik-CD eigentlich in Computern zu suchen?" Ja, was wohl, wenn der angeblich simple Uninstaller weitere 3,5 MByte Programme auf die Festplatte schaufelt, die wiederum geheimnisvoll behandelt werden? So ändern sich die Zeiten und wir mit ihnen. Während mit Sony BMG dreckig programmierende Hacker Musik "schützen", sind die Hacker von gestern gefragte Sicherheitsberater. Und, wenn wir schon von Musik reden, dürfen nicht die Sex Pistols fehlen, die heute vor 30 Jahren ihr Debüt auf der Bühne hatten. Gut, sie waren absolute Kommerz-Scheiße gegen die richtigen Bands wie U.K. Subs, Killing Joke oder natürlich die Dead Kennedys und, weil wirklich politisch, die Clash. Dann lieber die Proleten von Sham 69 als diese verkappten Kunsthochschulen-Popper von den Sex Pistols, pflegte ein Freund in seligen Zeiten zu grummeln – und gab damit immerhin einer Gruppe den Vorzug, die als Vorläufer der Skinhead-Bands gilt und sich doch standhaft gegen die Anmutungen der National Front wehrte. Und wer ist schon Sid Vicious, der sogar am Bass gedoubelt werden musste: Einzig Johnny Rotten war wirklich nett – allerdings erst mit PIL und "This is not a Lovesong" (zu PIL gehörte auch Jah Wobble, immerhin). Seit dem London Calling, Leute, leben wir alle am Wasser.

Was wird.

Wir gehen weiter, ganz ohne Lafo und Salto, wir ertragen trällernd die Mühen der Ebenen, wir schleppen uns fort. Dieser unser aller Heise-Verlag könnte üppiger bezahlen und vor allem pünktlicher, aber es ist halt nicht so. Auf der anderen Seite lässt Onkel Heise seine Zuarbeiter nicht kostenlos schreiben, allein um der Ehre willen, die unsere Treue ist, ähem, natürlich unser Marketing. In einem großen Münchener Computerverlag ist das halt anders. Da trägt man als Autor seine Haut zu Markte und ist schwer glücklich, wenn der Name in der Branche regelmäßig genannt wird. Das erleichtert beim Gang zur Arbeitsagentur ganz ungemein. Diese Ferkelei hat übrigens zwei Opfer: Verarscht wird auch der Leser, der eine solche Publikation kauft und nur bezahlte Textanzeigen liest. Das IT-Journalismus nicht der krumme Gang zum nächsten Schließmuskel bedeutet, zeigt der Jonet-Tag in Hamburg, eine von Journalisten für Journalisten gemachte Veranstaltung, die längst ausgebucht ist: Es geht auch anders in den Ebenen.

Anderen geht es einfach nicht schnell genug. Vor dem Jonet-Tag trifft sich die Initiative D21 unter dem Motto Die Zukunft eilt! in der lahmen Gegenwart. Viele Referenten sind aufgeboten für den ultimativen Beweis, dass keine Zeit mehr vertan werden darf. Sonst passiert etwas ganz erschröckliches: Die tolle Zukunft eilt uns weg und ist plötzlich Vergangenheit, während wir fest sitzen in einer Gegenwart, die nie vergeht. Das darf einfach nicht sein. Es geht einfach nicht mehr an, dass man sich auf einen heißen Schoß setzt, die umgekehrte Martha Vögeli-Methode praktiziert und nicht ans morgen denkt. Wer es nicht eilig hat, in die Zukunft zu kommen, kann hier das Video betrachten, leider noch ohne Ellen Feiss. (Hal Faber) / (jk)