Experten skeptisch gegenüber digitalem Krankenhaus

Das Krankenhaus von morgen setzt auf voll auf Digitalisierung. Doch der technische Fortschritt ist bei Ärzten nicht unumstritten, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe.

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Das Krankenhaus von morgen setzt voll auf auf Digitalisierung. Doch der technische Fortschritt ist bei Ärzten nicht unumstritten, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe.

Im Hamburger Stadtteil Barmbek lässt sich bereits heute besichtigen, was technisch möglich ist: Der Klinikverbund Asklepios hat sich für sein Projekt "Future Hospital" die Partner Microsoft und Intel ins Boot geholt. 165 Millionen Euro hat die Hightech-Klinik gekostet: Am Eingang und auf den Fluren montierte 42-Zoll-Bildschirme zeigen die Belegung der Räume ebenso wie die Verfügbarkeit von medizinischen Geräten. Die Grafik, an der sich alle Mitarbeiter blitzschnell einen Überblick verschaffen können, wird automatisch aktualisiert, wenn sich die Position von Patienten oder Apparaten ändert. Das funktioniert bei Geräten über einen RFID-Chip und bei Krankentransporten über Signale, die von den bettenschiebenden Mitarbeitern mit dem Handheld über WLAN ins Krankenhausinformationssystem geschickt werden. Dort liegt beim Eintreffen eines Patienten bereits seine elektronische Patientenakte (ePA) vor, sodass sich alle beteiligten Ärzte informieren können.

Doch die kostspielige neue Technik ist nicht nur zur schnelleren und besseren Behandlung des Patienten da – sie soll auch eine weitgehende Automatisierung von administrativen Abläufen ermöglichen und so genannte Behandlungspfade (Clinical Pathways) vorgeben, Beschreibungen von Prozessabläufen für Krankheitsbilder also. Was harmlos klingt, ist die grundlegende Umstellung eines medizinischen Prinzips: Das Gesundheitswesen orientiert sich nicht mehr am einzelnen Patienten, sondern am jeweiligen Krankheitsbild. Von der Aufnahme bis zur Entlassung werden Patienten durch einen standardisierten Prozess geschleust, der erhebliche Kosten einspart: Nach einer Studie der TU Dresden verlassen nach Pfaden Behandelte das Krankenhaus im Schnitt 1,7 Tage früher als andere; pro Fall spart die Klinik etwa 200 Euro.

Allerdings ist der strukturelle Wandel, der in vielen Branchen längst Alltag ist, im Gesundheitssystem umstritten. Kritiker mahnen, Heilprozesse seien keine Ware, in Krankenhäusern dürfe es nicht zur Fließbandproduktion kommen. Auch viele Ärzte haben mit den vorgegebenen Pfaden ihre Probleme: "Es fällt ihnen schwer, nur noch die Hauptdiagnose zu behandeln und alles andere aus wirtschaftlichen Gründen beiseitezuschieben", sagt der Medizincontroller Matthias Albrecht vom Berliner Krankenhaus-Trägerverein VzE.

Diese Einstellung teilt er mit etlichen anderen Ärzten und Experten und erst recht mit den Gewerkschaften. In den vergangenen Jahren hat das Arbeitspensum für Ärzte und Pflegekräfte stetig zugenommen, wie die beiden Sozialwissenschaftler Hagen Kühn und Sebastian Klinke vom Wissenschaftszentrum Berlin festgestellt haben: Verweildauerverkürzung, steigende Fallzahlen, Ineffizienzen durch machtdeterminierte Organisationsformen, Verknappung des Pflegepersonals, zusätzlicher Zeitaufwand durch Kodierung und andere administrative und dokumentierende Tätigkeiten werden von den Beteiligten als belastend ins Feld geführt. Das, meinen Kühn und Klinke, gehe einher mit einem Machtverlust der Ärzte gegenüber dem Krankenhaus-Management. Langfristig könne dies dazu führen, dass die medizinischen und pflegerischen Entscheidungen vor allem einem ökonomischen Kalkül unterworfen werden.

Für den Mediziner und Zukunftsforscher Markus Müschenich dagegen ist das kein Widerspruch. Er hat am Computer ein radikal neuartiges "Concept-Hospital" entworfen, in dem sich Patienten ohne Anmeldung einen automatischen Befund zu ihren Halsschmerzen erstellen – oder gleich neue Kniegelenke verpassen lassen können. Die Befunde gehen sofort in die internetbasierte Lebensakte ein, Medikamente werden automatisch bestellt und von der Apotheke nach Hause geliefert. Auch über Preise hat Müschenich nachgedacht: Für umsatzstarke Kranke soll es Rabatte geben, für andere Frühbuchertarife und Last- Minute-Preise, dazu Bündelangebote mit gänzlich unmedizinischen Produkten wie Kreuzfahrten nach einer Operation.

Mehr dazu in TR 07/07 (seit dem 28.6. am Kiosk und online bestellbar):

(wst)