Juristen sehen ACTA-Prozedere in den USA als verfassungswidrig an

50 Rechtsprofessoren haben den US-Senat darauf hingewiesen, dass das Anti-Piraterie-Abkommen ohne Zustimmung des Kongresses nicht in Kraft treten könne. In der EU kommt das Ratifizierungsverfahren nur schleppend in Gang.

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Die bisherige Haltung der US-Regierung zu ACTA ist weiter in die Kritik geraten. 50 renommierte Rechtsprofessoren haben den US-Senat Mitte der Woche in einem offenen Brief darauf hingewiesen, dass das Anti-Piraterie-Abkommen ohne nachträgliche Zustimmung des Kongresses nicht in Kraft treten könne. Es geht dabei nicht um die Angemessenheit der ACTA-Inhalte, sondern um fundamentale Fragen der Gewaltenteilung, schreiben die Experten. Insbesondere die Senatoren, die für die Anerkennung völkerrechtlicher Übereinkünfte zuständig seien, müssten hier ihrer Verantwortung gerecht werden und die Sache eingehend etwa mithilfe öffentlicher Anhörungen prüfen. Sie müssten verhindern, dass ACTA rechtswidrig durch die Hintertür eingeführt werde.

Das federführende Büro des US-Handelsbeauftragten Ron Kirk ist bislang davon ausgegangen, dass der internationale Vertrag nicht der Ratifizierung durch die Volksvertreter bedürfe. Die Begründung für diese These hat sich mittlerweile aber gewandelt. Zunächst hieß es in Washington, dass die USA allein aufgrund bestehender Regierungsbefugnisse dem Vertrag beitreten können. Die Rechtsabteilung des Außenministeriums erklärte dagegen jüngst, dass es einer Zustimmung des Kongresses doch bedürfe. Diese habe der Gesetzgeber aber bereits mit der Verabschiedung des "Prioritizing Resources and Organization for Intellectual Property Act" (Pro IP) 2008 vorab erteilt.

Die Juraprofessoren lassen auch dieses Argument nicht gelten. In dem genannten Gesetz zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern werde allein ein zwischen mehreren US-Regierungseinrichtungen abgestimmter Plan zur Bekämpfung der Produktpiraterie quasi freigegeben, nicht jedoch ein vergleichbares internationales Abkommen, ist in dem Schreiben nachzulesen. Zudem hätten die ACTA-Verhandlungen bereits 2007 begonnen, sodass das ein Jahr später beschlossene Gesetz nicht mehr im Voraus ein Plazet des Kongresses signalisieren könne. Die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) hat zusätzlich herausgearbeitet, dass das Außenministerium bislang nicht einmal die erforderlichen Vorbereitungen getroffen hat, um ACTA potenziell auch ohne Beteiligung des Kongresses Rechtsgültigkeit zu verschaffen.

In Europa kommt das Ratifizierungsverfahren derweil nur schleppend in Gang. Ursprünglich sollte der Ausschuss für Entwicklung des EU-Parlaments in dieser Woche als erstes Gremium der Bürgervertretung über das Schicksal der Vereinbarung abstimmen. Der Berichterstatter des Ausschusses, Jan Zahradil, konnte aber bei der jüngsten Sitzung durchsetzen, dass das Votum verschoben wurde. Der tschechische Konservative hatte bereits im Januar klar gemacht, dass für ihn trotz einiger Bedenken ein striktes Nein zu ACTA nicht zur Debatte stehe.

Im Innenausschuss fand derweil eine erneute Anhörung (PDF-Datei) zu den Vertragsinhalten statt. Der dortige Berichterstatter, der griechische Sozialdemokrat Dimitris Droutsas, unterstrich dabei seine Vorbehalte gegen ACTA. Eine Annahme des Abkommens würde demnach die aufkommende Debatte über den Umgang mit dem kulturellen Erbe und kreativen Gütern frühzeitig abwürgen und die Weichen möglicherweise falsch stellen. Zudem könnten Grund- und fundamentale Freiheitsrechte beschädigt sowie ein Präzedenzfall für kommende Generationen gesetzt werden.

Ein Abgesandter von EU-Handelskommissar Karel De Gucht betonte dagegen, dass ACTA entgegen der Einschätzung Neelie Kroes', der für die Digitale Agenda zuständigen Kommissarin, keineswegs erledigt sei. Formal sei bei den Unterredungen zu dem Abkommen zwar einiges falsch gelaufen, erkannte der Vertreter der Brüsseler Regierungseinrichtung an. Inhaltlich seien weitere Maßnahmen zur besseren Copyright-Durchsetzung aber nötig. Man gehe weiter davon aus, dass der mit der ACTA-Prüfung beauftragte Europäische Gerichtshof die Übereinkunft für vereinbar mit dem EU-Recht erklären werde und das Parlament erst in Folge die entscheidenden Ratifizierungsschritte unternehmen könne. Für die "European Digital Rights"-Initiative (EDRi) ist so deutlich geworden, dass die Kommission vorherige Abstimmungen der Volksvertreter ignorieren und ihnen gegebenenfalls ACTA noch einmal vorlegen wolle. (gr)