Distributorenmessen: Nie waren sie so wertvoll wie heute

Erinnern Sie sich? Vor wenigen Jahren wurde der Sinn von Messen im Internet-Zeitalter grundsätzlich in Frage gestellt. Höchstens noch „virtuellen Messen“ gab man eine Zukunft. Heute redet niemand mehr davon. Der Bedarf der Marktteilnehmer nach persönlichem Austausch ist so groß wie eh und je. Wenn nicht sogar noch größer. Die Messen der Distributoren profitieren davon.

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Von
  • Damian Sicking

Lieber Ingram-Micro-Geschäftsführer Gerhard Schulz,

Lachen bis der Arzt kommt: Ingram-Management auf der IM.TOP

(Bild: Ingram Micro)

es ist schon interessant: vor einigen Jahren wurde regelmäßig darüber diskutiert, ob IT-Messen im Zeitalter des Internets noch sinnvoll und zeitgemäß seien (Stichwort: "Systems" in München). Heute spricht niemand mehr davon. Es hat sich gezeigt: In unserer virtuellen Internet- und Cloud-Welt sind Messen mit Menschen und Dingen, die man sehen und anfassen, die man auch hören, riechen und – ja, auch das gibt es – schmecken kann (Prösterchen!) so gefragt wie eh und je. Vielleicht sogar noch gefragter.

Geschäfte werden – Internet hin, E-Commerce her – eben noch immer von und mit Menschen gemacht. Da ist es hilfreich, wenn man einmal miteinander spricht, wenn man sich auch mal in die Augen guckt, die Hand schüttelt und – natürlich – ein Bier miteinander trinkt. Die frühere HP- und Actebis-Geschäftsführerin Bärbel Schmidt hat, so erzählt man heute, von ihren Vertriebsleuten verlangt, dass diese sich nach dem ersten Treffen mit einem neuen Kunden mit diesem duzen, beim zweiten Treffen die Nacht mit ihm durchmachen und nach einem halben Jahr sozusagen zur Familie gehören. Es geht eben nicht in erster Linie um Produkte. In erster Linie geht es darum, gemeinsam etwas zu erreichen. Und das wollen ja Hersteller und Distributoren, Hersteller und Händler, Distributoren und Händler. Da muss man miteinander sprechen. Umso besser, wenn man sich auch gut versteht.

Den Distributoren kommt in diesem Spiel durchaus eine Schlüsselrolle zu. Die Broadliner bemühen sich ja derzeit stark um Value add. Ein Händler sagte mir, dass es durchaus ein Value sein kann, wenn ein Distributor die Plattform einrichtet und zur Verfügung stellt, auf der sich Händler und Hersteller austauschen können. Das muss keine riesige Messe wie die gerade stattgefundene IM.TOP oder die Channel Trends+Visions sein, das können auch gerne kleinere Events sein wie zum Beispiel gemeinsame Kochabende, wie Devil sie zusammen mit Microsoft, LG, Symantec/Norton und Red4Power derzeit durchführt.

Natürlich kosten dieses Events Geld. Viel Geld. Zum Teil kommen da auf einen Aussteller stattliche Summen in hohem fünfstelligen Bereich pro Veranstaltung zu. Und da so ein Aussteller in der Regel nicht nur bei einem Distributor vertreten ist, sondern bei mehreren großen (Ingram Micro, Tech Data, Also Actebis) und kleineren (Devil, Bluechip etc.) und dazu auch noch bei den Kooperationen wie Synaxon, ElectronicPartner, Expert und Euronics, läppern sich die Beträge ganz schön zusammen.

Wenn man so viel Geld ausgibt, dann muss man auch die Frage nach dem Return on Invest (ROI) stellen. Also die Frage: Lohnt sich das überhaupt? Die einzige Antwort kann nur lauten: Kommt drauf an. Kommt ganz drauf an, was man daraus macht. Wenn, wie mir ein Händler jetzt berichtete, er auf dem Stand eines Ausstellers auf der IM.TOP mehr als zehn Minuten sich die Beine in den Bauch steht, ohne dass das Standpersonal auch nur Notiz von ihm nimmt, dann ist das Geld sicher nicht gut angelegt (der Händler zog dann verärgert zur Konkurrenz dieses Ausstellers weiter).

Wann kann eine Hausmesse wie die IM.TOP als gelungen bewertet werden? Ich denke, eine Distributoren-Hausmesse ist dann gelungen, wenn der Veranstalter einen optimalen Rahmen geschaffen hat, damit sich Aussteller und Besucher qualifiziert austauschen können. Dass auch die Logistik (An- und Abreise, Parken, Essen und Trinken etc.) stimmen muss, versteht sich von selbst. Letzten Endes ist es wie auf einer Party: Der Veranstalter sorgt für das leibliche Wohl und die fetzige Musik – sich amüsieren und tanzen bis der Arzt kommt, müssen die Gäste dann aber selbst.

Lieber Herr Schulz, nach meinem Eindruck hat das Organisationsteam der IM.TOP in diesem Jahr wieder einen guten Job gemacht. Nicht zuletzt auch die "Erlebniswelten" wie zum Beispiel ein Klassenzimmer, eine Arztpraxis oder ein Wohnzimmer, in denen die entsprechenden IT-Lösungen anschaulich vermittelt wurden, kamen beim Publikum gut an. Die geführten Touren waren nach meiner Beobachtung jedenfalls stark nachgefragt.

Lieber Herr Schulz, vor einem Jahr hatte ich mich an dieser Stelle ebenfalls mit der IM.TOP befasst. Damals lautete die Überschrift über der auch heute noch lesenswerten Kolumne: "Eine Veranstaltung von Männern für Männer". In diesem Jahr, so mein Eindruck, war der Frauenanteil bedeutend größer als vor Jahresfrist. Rein optisch gesehen (doppelt gemoppelt?) sicher ein Gewinn. Aus einer geschäftlichen Perspektive aber fragt es sich: Ist das gut oder vielleicht doch eher nicht (vgl. dazu die Forschungsergebnisse, die ich in meiner letztjährigen Kolumne dazu angeführt habe)?

Beste GrĂĽĂźe!

Damian Sicking

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