Twitter für Lebensretter

Niederländische Forscher wollen Daten aus dem Kurznachrichtendienst nutzen, um Rettungskräfte bei ihren Einsätzen zu unterstützen.

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Niederländische Forscher wollen Daten aus dem Kurznachrichtendienst nutzen, um Rettungskräfte bei ihren Einsätzen zu unterstützen.

Der Kommunikationsdienst Twitter entwickelt sich immer mehr zum Informationsmedium: Nutzer teilen in 140 Zeichen mit, was in ihrer Umgebung geschieht – sei es nun ein Unfall, den sie gerade sehen, ein Feuer oder gar ein Erdbeben. Der Forscher Richard Stronkman von der TU Delft will die auf Twitter mitgeteilten Informationen in Zusammenarbeit mit Kollegen der Niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung (TNO) nun so aufbereiten, dass Rettungskräfte sie nutzen können: Zur besseren Einsatzsteuerung und auch zur Früherkennung von Gefahren. Dazu sollen die vertrauenswürdigsten Tweets herausgefiltert und bewertet werden.

Twitcident arbeitet mit semantischen Verfahren, um Data Mining zu betreiben.

(Bild: Twitcident)

Das System der Wissenschaftler hört auf den Namen Twitcident und kann die Nachrichten nach verschiedenen Kategorien sortieren – darunter die enthaltenen Geodaten, ob es bei einem Ereignis zu Verletzten gekommen ist, wie hoch die entstandenen Schäden sein könnten und ob die Nutzer, die die Informationen mitteilen, überhaupt in der Lage sind, relevante Informationen abzugeben. "Wir bringen Ordnung ins Chaos", sagt Stronkmans Kollege Fabian Abel.

Damit das funktioniert, haben die Forscher eine semantische Suche entwickelt, die den gigantischen Twitter-Datenstrom nach passenden Nachrichten durchforstet. "Wir versuchen, den Sinn einer Nachricht zu erfassen und zu verstehen", sagt Abel. "Es ist beispielsweise ein Unterschied, ob jemand sagt "Ich habe mir meine Zunge verbrannt" oder "Unser Haus brennt". Mit Hilfe semantischer Anreicherung können wir verschiedene Entitäten erkennen, die in einer Twitter-Nachricht erwähnt werden." Da mittlerweile jeden Tag über 340 Millionen Tweets abgesetzt werden, die von bis zu 140 Millionen Mitgliedern des Dienstes stammen, sollten sich genügend interessante Informationen finden lassen, glauben die Forscher. Die kritische Masse an Nutzern sei längst erreicht, um adäquate Datenmengen zu liefern.

Twitter bietet mittlerweile eine unüberschaubare Menge an Informationen..

(Bild: Twitcident)

"Diese Informationen nutzbar und vor allem auffindbar zu machen, ist allerdings eine nicht triviale wissenschaftliche Aufgabe – besonders, wenn sich dies auf jede mögliche Krise anwenden lassen soll", sagt Stronkman. Eine Testversion, die nicht ganz ein Jahr lang online war, habe gezeigt, dass das Twitcident-System wesentlich genauer sei als einfache Suchanfragen nach Schlüsselwörtern. Hinzu kommt, dass die Software auch Karten, Fotos, Videos und relevante Statistiken einblenden kann. "Wir haben das System beispielsweise an Sylvester in der Informationszentrale einer regionalen Polizeibehörde in den Niederlanden getestet", sagt Abel. Dabei habe Twitcident geholfen, die Verwendung illegaler Feuerwerkskörper aufzudecken oder angezeigt, wo Autos in Brand geraten seien. "Wir wollen der Polizei dabei helfen, die öffentliche Ordnung zu schützen."

Das Twitcident-System wird im Endausbau nicht nur Rettungskräften offen stehen, sondern nach einer Beta-Phase, bei der niederländische Polizeien und Feuerwehren teilnehmen können, auch für alle anderen interessierten Nutzer. So könnten etwa Veranstalter eines größeren Musikfestivals Twitcident nutzen, um über Unfälle oder Versorgungsprobleme im Bild zu bleiben. Die Analyse erfolgt dabei in Echtzeit.

Beispiel Feuerwehreinsatz: Twitter als Früherkennungswerkzeug.

(Bild: Twitcident)

Derzeit muss das System allerdings noch konkret auf bestimmte Ereignisse "getunet" werden, wie Abel erklärt – auch geografisch. Deshalb fürchtet er auch nicht, dass die Technik autoritären Regimen zur Überwachung ihrer Bevölkerung dienen könnte, wie er gegenüber der "BBC" sagte. "Bei Katastrophen können die Informationen, die bei Twitter auflaufen, Leben retten."

Die von Stronkman, Abel und ihrem Team entwickelte Filtertechnik könnte sich unterdessen auch für andere Datenarten eignen: Tatsächlich gibt es bereits Börsenhandelsfirmen, die bei Twitter nach neuen Trends suchen, um Kursentwicklungen vorherzusehen. Auch hierbei hilft eine semantische Einordnung der 140-Zeichen-Botschaften. (bsc)