Chaos Communication Camp: Unfallfrei und Spaß dabei

Am späten Sonntagabend ging das 3. Chaos Communication Camp auf dem Museumsflughafen Finowfurt zu Ende. Die Veranstalter freuen sich über fünf Tage ohne wesentliche Zwischenfälle, aber auch ohne substanzielle Einnahmen.

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Von
  • Detlef Borchers

Mit einigen Abschiedszeremonien ist das Chaos Computer Camp 2007 am gestrigen Sonntag zu Ende gegangen. Schon in der Nacht davor spendierte die Natur die richtige Abschiedsstimmung. Es gab hauchfeinen Nieselregen, als ob die Hacker in einer Wolke schweben würden und dazu eine wunderbare Lichtshow. Zumindest den Organisatoren des Sommercamps hätte man das mit der Wolke gegönnt, denn die Mischung aus Zelten, Feiern und Lernen verlief ohne größere Zwischenfälle. Weder gab es die befürchteten Massenhacks noch die gefürchteten Verletzungen von Kletterern, die trotz aller Hinweise und Verbote auf den bröckeligen Hangars herumturnten. Andere Veranstaltungen in Finowfurt hatten hier schon Tote zu beklagen. Wo das Chaos ausbrach, war es wetterbedingt oder Folge misslicher Umstände.

Der Netzaktivist Markus Beckedahl von Netzpolitik gehörte zu den Leidtragenden: Die Folien seines Vortrags "23 Dinge, für seine Rechte zu kämpfen" lagen auf einem der drei Laptops, die auf dem Camp offenbar gestohlen wurden. In einem improvisierten Vortrag empfahl Beckedahl den Zuhörern vor allem, selbst zum Medium zu werden, aktiv zu bloggen und podcasten. Themen gebe es genug, die in Form des "Monitoring" verfolgt werden können. Das so angehäufte Fachwissen könne in Aufsätze für die Community fließen oder aber zum Anfüttern der Presse oder zum Abfragen politischer Positionen genutzt werden. Mit Demonstrationen wie der gegen die Vorratsdatenspeicherung und Überwachung könne das Ohnmachtsgefühl bekämpft werden. Der Weg über Eigen- und Bürgerinitiativen ist auch ein Abschied von der klassischen Politik: nur zwei Anwesende des gut besuchten Vortrages waren Mitglieder politischer Parteien.

In einer chaotischen aber gewollten Abweichung vom offiziellen Fahrplan referierte der Kryptologe David Chaum am Samstagabend über sein Wahlsystem Scantegrity. Es soll Wählern die Kontrolle über die Wahlen zurückgeben und damit das genaue Gegenteil unzuverlässiger Wahlcomputer sein. Zu der von Chaum proklamierten "cyber-sovereignty", die in einem White Paper (PDF-Datei) beschrieben ist, gehört auch der Einsatz des Systems in unterentwickelten Ländern: Mit Hilfe von Kameras, Videorekordern und einem Archivsystem hat Chaum eine Wahlkabine für den Einsatz in der dritten Welt entwickelt, wo Analphabeten einen Kandidaten wählen, indem sie mit dem Finger auf ein Foto zeigen. Über das Archivsystem soll ihre Stimmabgabe jederzeit verifizierbar sein, dennoch ist die Aufzeichnung anonymisiert.

Chaums Einlassungen passten vorzüglich zum OLPC, der unlängst in die Massenproduktion gegangen ist und natürlich im "Hackcenter" des Camps herumgereicht wurde. Schließlich ist der OLPC ein technisch geglückter Hack im besten Sinne, was ihn auch bei den Hackern beliebt macht, die standardmäßig Apple-Laptops besitzen. Offenbar denkt man im OLPC-Lager darüber nach, dass auch die erste Welt in den Besitz des Kindercomputers kommen kann. Der Deal soll denkbar einfach sein: einen OLPC kriegt der, der mindestens den doppelten Preis zahlt. Anders ausgedrückt, wer einen OLPC erwirbt, muss einen weiteren der dritten Welt schenken.

Ein Preissystem, das mit den Sponsor-Tickets auch beim CCC Tradition hat, aber nicht sonderlich erfolgreich ist. Während der traditionelle Kongress "zwischen den Jahren" Gewinn abwirft, ist die Freiluftveranstaltung für den Chaos Computer Club bei niedrigsten Eintrittspreisen ein Zuschussgeschäft. Das dürfte sich auch in diesem Jahr nicht geändert haben. Drei oder vier Winter-Kongresse sind nötig, bis man sich wieder daran wagen kann, die Geeks zum Zelten in Dörfern zusammenzurufen. Denn kostenlos im Sinne von Freibier ist vielleicht die Boozenight im Camp Anaconda oder die Aktion "Free Grappa for all" der Italienischen Botschaft, aber nicht die Elektrizität, die Müllabfuhr und vieles mehr. Billiger als ein Camp ist nur die bevorstehende Froscon, doch ohne Duschen und den Spaß am Zelten.

Ob in der Zwischenzeit die Zelte alternierend wieder in den Niederlanden aufgebaut werden können, ist fraglich. Dort waren die Veranstalter zum Schluss des letzten Camps namens What the Hack von zunehmenden Auflagen und Schikanen der Behörden so genervt, dass sie erwogen, auf deutschem Boden zu campieren. Zumindestens in Finowfurt brauchten die Hacker keinen Hubschrauberlandeplatz zu stellen und eine Hundertschaft Polizeibeamte mit zu versorgen, wie in den Niederlanden gefordert. Die einzigen beiden Polizisten, die sich zumindest offiziell während des Sommercamps blicken ließen, war die Besatzung eines Streifenwagens, die täglich ihren Mittagsimbiss in der Museums-Snack-Bar von Finowfurt holt.

Siehe zum 3. Chaos Communication Camp:

Zum 2. Chaos Communication Camp 2003 siehe auch:

(Detlef Borchers) / (vbr)