Popkomm: Musikwirtschaft will Zugangsanbieter zur Kasse bitten

Angesichts fortbestehender massiver Urheberrechtsverletzungen über Tauschbörsen wächst der Druck auf die Provider, gegen das illegale Treiben vorzugehen oder den "Wert" getauschter Inhalte finanziell anzuerkennen.

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Angesichts fortbestehender massiver Urheberrechtsverletzungen über Tauschbörsen wächst der Druck auf die Provider, gegen das illegale Treiben von Nutzern vorzugehen oder den "Wert" getauschter Werke finanziell anzuerkennen und zu erstatten. "Wir müssen die Internetzugangsanbieter davon abhalten, unsere Inhalte weiter zu entwerten", gab Shira Perlmutter vom internationalen Branchenverband der Musikindustrie IFPI am heutigen Mittwoch auf der Messe Popkomm in Berlin als Parole aus. Es könne nicht angehen, dass jemand Geschäftsmodelle auf Werken Dritter aufbaue. Zuvor hatte bereits der Kulturstaatsminister der Bundesregierung, Bernd Neumann, dafür plädiert, die Provider stärker in die Pflicht zu nehmen.

Dass illegales Filesharing noch zu stoppen und ein größeres Bewusstsein für den Wert geistigen Eigentums zu schaffen ist, hält Alison Wenham vom Worldwide Independent Network im Gegensatz zu Perlmutter nicht mehr für möglich. Auch ihre Kinder würden via P2P und Bluetooth geschützte Inhalte kopieren und könnten mit Argumenten nicht davon abgehalten werden. Eine Kontrolle über die digitale Lieferkette anstreben zu wollen, ist ihrer Meinung nach ebenfalls utopisch. Auch würden die zunehmenden digitalen Musikverkäufe über das Internet nie den Verlust der Umsätze mit physikalischen Datenträgern aufwiegen. Die einzige Lösung für das Problem sieht Wenham im Herantreten an die Provider, die für das Anbieten des Zugangs zu Tauschbörsen zahlen sollen.

"Wir brauchen Geschäftsvereinbarungen mit Providern und Telcos", forderte die Vertreterin von Indie-Labels. Die Zugangsanbieter könnten sich nicht länger darauf zurückziehen, nur "dumme Leitungen" zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müssten sie die Tatsache anerkennen, dass ihre Backbones mit Hochgeschwindigkeit geschützte und für die Nutzer attraktive Inhalte liefern würden. "Dafür wollen wir beispielsweise 50 Euro verlangen", erläuterte Wenham ihr Erlösmodell. Dies sei letztlich im Interesse aller Beteiligten. Es gehe dabei schlicht um die Anerkennung des Werts digitaler Unterhaltungsinhalte.

Der Vorschlag ist letztlich nicht so weit entfernt von der Forderung anderer Musikmarktexperten, Politiker und Interessensvereinigungen wie der Initiative privatkopie.net, mit einer "Kulturflatrate" den Austausch geschützter Werke über P2P-Netze zu legalisieren. Allerdings geht es Wenham nicht um die Ausdehnung des pauschalen Vergütungssystems im Gegenzug für die Freigabe von Privatkopien, sondern um eine marktgerechte Lösung mit unterschiedlichen Preismodellen je nach Art der "angebotenen" Inhalte. Zudem lag ihre erste Kostennote deutlich höher als die kursierenden Zahlen für eine "P2P-Flatrate", die bei Summen zwischen fünf und zehn Euro pro Monat angesetzt werden.

Im Politik- und Lobbyumfeld hierzulande sind Pauschalmodelle für die Refinanzierung geschützter Werke jedoch nach wie vor umstritten. "Für die Verbraucher funktionieren Vergütungsabgaben gut", meinte Patrick von Braunmühl vom Bundesverband der Verbraucherschutzzentralen auf der Popkomm. Eine Content-Flatrate könne daher sinnvoll sein und die gegenwärtigen Einschränkungen bei der Nutzung von Inhalten durch Systeme zum digitalen Rechtemanagement (DRM) unnötig machen. "DRM wird nicht funktionieren", befand auch Katja Husen, Mitglied im Bundesvorstand der Grünen. Der Wettstreit um nicht knackbare Kopierschutzsysteme sei ein "Kampf gegen Windmühlen". Dagmar Sikorski-Großmann vom Deutschen Musikverleger-Verband befand ebenfalls, dass "es noch kein wirksames DRM gibt". Ein perfektes Inhaltekontrollsystem stoße zudem "an Grenzen des Datenschutzes".

Der FDP-Medienpolitiker Hans-Joachim Otto gab dennoch die Losung aus, DRM-Systeme weiter zu fördern und durchzusetzen, damit Pauschalabgaben möglichst überflüssig werden. "So viel DRM und individuelle Vergütung wie möglich", gab er als Ziel aus. Günter Krings, Experte für geistiges Eigentum der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erinnerte der gegenwärtige Kampf zahlreicher Urheberverbände gegen die im Rahmen der zweiten Stufe der Urheberrechtsnovelle geplante Einführung einer Obergrenze für die Vergütungspauschale zugleich an "die Zuteilung von Liegestühlen auf der Titanic". Auch er sieht die "langfristige Zukunft nicht im Pauschalsystem", obwohl er gemeinsam mit den Urheberrechtsexperten der anderen Fraktionen der von der Bundesregierung vorgesehenen Einführung einer Vergütungsobergrenze von fünf Prozent des Verkaufspreises von Kopiergeräten zunächst skeptisch gegenübersteht.

Generell ist die Meinungsbildung zum so genannten 2. Korb der Urheberrechtsreform bei den Abgeordneten noch kaum über den Stand der 1. Lesung hinausgekommen. Die Parlamentarier erhoffen sich zunächst neue Erkenntnisse durch eine Expertenanhörung im November. Krings will sich zudem erst wieder "mit voller Kraft an den 2. Korb machen", wenn der "noch wichtigere" Regierungsentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur zivilrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte vorliegt. Mit diesem will das Bundesjustizministerium unter anderem Auskunftsansprüche gegen Provider neu ins Urheberrecht einführen und so das Vorgehen gegen das illegale Filesharing vereinfachen. Die Verzögerungen im Bundeskabinett kann Otto aber verstehen, da mit der Implementierung der heiklen Direktive "so viele Fragen des Rechtsstaates betroffen sind". (Stefan Krempl) / (vbr)