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Was war. Was wird.

Asylant Assange macht eine Ansage und alles wird gut? Hal Faber traut dem Frieden nicht, der Blick nach Moskau macht schlechte Laune. Er erinnert sich en gros an den ersten Kuss, die erste CD, und fürchtet den ersten Einsatz der Bundeswehr im Innern.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Tralala, la la, die Bouzouki klang durch die Sommernacht, pling, pling und die Welt war neu und wunderbar und der Himmel war voller Tzatziki. Schluss mit den lauen Nächten, das Sommerrätsel ist vorüber und doch rate ich verdrossen weiter. Schuld daran ist die CD, die ihren Geburtstag feiert und der NDR, der da behauptet, die erste CD sei wie der erste Kuss. Beides vergisst man nicht. Grübeln ist angesagt, total recall geht anders. Der erste richtige Kuss ist kein Problem, aber die erste CD? Die erste CD-ROM kenn ich noch, die PC-SIG Library, installationstechnisch war das ein Albtraum. Aber die erste CD? Sie wurde sicher umstandslos auf Kassette kopiert, um im Auto gehört zu werden, wo HiFi sowas von egal war. Vielleicht wurde sie schnell wieder verkauft, so wie das ReDigi mit iTunes-Songs macht, zum Entsetzen der Recording Industry Association of America. Die lehnte einstmals die CD ab und gab HiFi-Enthusiasten den Rat, zerkratzte Platten regelmäßig durch Neukauf zu ersetzen.

*** Tralala, la, la? Mit dem Urteil gegen Pussy Riot ist aus dem großen Russland die ärmliche Überwachungsdiktatur Putinesien geworden. Man muss die Musik von Nadeschda Tolokonnikova, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch nicht mögen, um in ihrem Anti-Putin-Gebet die politische Aktion zu sehen, den ausgespielten Protest gegen die Allianz von Kirche und Staat. Die Verurteilung wegen ihres "Rowdytums aufgrund religiösen Hasses" ist ein schlechter Witz. Das Musik politisch sein kann und nicht dieses Heile-Welt-Gedudel, wird von manchen Westlern mit Erstaunen festgestellt. Ist Russland nicht so wunderbar frei, dass ein Julian Assange seine World Tomorrow im zwanglosen Gespräch mit puren Demokraten zeigen kann? Nicht diese larmoyanten Gespräche, sondern das Schlusswort von Nadeschda Tolokonnikova wird in die Geschichtsbücher eingehen.

*** So bleibt der Skandal, dass die Geschichte Pussy Riot in den Hintergrund rückt, weil ein asylsuchender australischer Frauenverächter in seinem Bemühen, sich einem Haftbefehl zu einem Verhör in Schweden zu entziehen, mit Hilfe von Ecuador zu einem Che Guevara aus dem Cyberspace verklärt wird. Wenn diese Wochenschau am Sonntag gelesen wird, will Julian Assange "vor" der Botschaft seine Botschaft verkünden und man ist kein Hellseher wenn es wieder einmal heißt, wie an jenem 28. September 2010, als die Verstoßung des Jüngers Daniel Domscheit-Berg verkündet wurde: "WikiLeaks remains strong, financially and in terms of human resources." Zur Schmierenkomödie von Assange gehört die triste Wahrheit, dass Wikileaks als Whistleblower-Plattform praktisch tot ist, weil nur noch Material wie die von Anonymous besorgten Stratfor-Mails publiziert wird, das taktisch passt. Noch trauriger sind diese "News". Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

*** Beim Fall Assange zeigt sich die Schwarmintelligenz von ihrer schlechten Seite. Da wird aus dem in Diplomatensprache formulierten Aide Memoire Großbritanniens die Drohung konstruiert, dass Ecuadors Botschaft "gestürmt" würde, da wird in Unkenntnis schwedischer Gesetze ein Videointerview für Assange gefordert. Dass ein Untersuchungsrichter bei der Befragung etliche Experten hören muss, dass Gutachter antreten werden und dass in der Woche nach der Befragung von Assange Anklage erfolgen muss oder er als freier Mann durch Schweden reisen darf, wird ausgeblendet, denn jeder ist Experte, beim Fall Assange sowieso. Das Theater wird weitergehen, auch wenn der Ton etwas herunter gedreht wird: auf die Weigerung Großbritanniens, dem Mann freies Geleit zu geben, wird Ecuador den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anrufen.

*** An einem anderen Gerichtshof spielt ein Fall, der ungleich weniger Aufsehen erregt. Es geht um Florian Müller, in diesem Gewebe mal Patentexperte oder nur Patent-Blogger, mal Kampagnengründer genannt. Nach Darstellung von Paid Content ist er vor allem eine von Oracle bezahlte Sockenpuppe. Auch gute Taten haben ihre Lobbyisten, und hinterrücks sind manche Feinde dicke Freunde, wenn es um Patente geht. Notfalls wird die eigene Tochter gewürgt. Auch die Liste der von Google finanzierten Vereine, Forschungsgruppen und Wissenschaftler ist eine interessante Lektüre, reicht sie doch bis zu den nachtaktiven Beratern und den Skript-Kiddies als Untergruppe von Anonymous. Und der Leerstuhl für Softwaretechnik freut sich.

*** Den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes über den Einsatz der Bundeswehr im Inland kann man eine Katastrophen-Entscheidung nennen oder begrüßen und wohlwollend prüfen. Man kann auch daran erinnern, dass Otto Schily jetzt ein glücklicher Mann sein muss. Die Auswirkungen dieser Entscheidung haben es jedenfalls in sich. Kommt eine Katastrophe, bei der die Polizei überfordert ist, darf die Bundeswehr kämpfen oder nach Artikel 73 Absatz 1 das Kommando über wichtige Infrastukturen wie Eisenbahn und Telekommunikation übernehmen. Wer denkt da nicht an Castor-Transporte? Mehr noch: Angesichts der ständig eintrudelnden Nachrichten vom Kampf im Cyberwar und von den Lükex-Übungen kann eine IT-Katastrophe schnell einmal dazu führen, dass Tarnnetze über DE-CIX ausgeworfen werden und das Internet strammstehen muss. Das abgegebene Sondervotum des Verfassungsrichters Rainhard Gaier ist, traurig genug, ein Stoff für unsere Geschichtsbücher:

"Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen. Wie ist beispielsweise zu verhindern, dass im Zusammenhang mit regierungskritischen Großdemonstrationen – wie etwa im Juni 2007 aus Anlass des „G8-Gipfels“ in Heiligendamm – schon wegen befürchteter Aggressivität einzelner teilnehmender Gruppen „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze“ eintretende massive Gewalttätigkeiten mit „katastrophalen Schadensfolgen“ angenommen werden und deswegen bewaffnete Einheiten der Bundeswehr aufziehen? Der bloße Hinweis des Plenums, dass Gefahren, die „aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen“, nicht genügen sollen, kann in diesen Fällen die selbst definierten Einsatzvoraussetzungen kaum wirksam suspendieren."

Was wird.

Während Curiosity auf dem Mars herumfuhrwerkt und das Steuerteam auf der Erde nach der Marszeit lebt, kommt in der anstehenden Sommerwoche ein Remake des Films Total Recall des darob deprimierten Regisseurs Paul Verhoeven ins Kino, in dem das Eis im Inneren des Mars von tapferen Menschen mit Gedächtnisstörungen geschmolzen wird und der Planet zum Leben erwacht. Die "totale Erinnerung" beruht auf der Geschichte Erinnerungen en Gros von Philip K. Dick, der sie in einem Anfall von Panik schrieb, als er sich vom CIA verfolgt fühlte. Seine Handlung spielt auf der Erde, nicht auf dem Mars und erzählt von Gedankentransmittern, die unbequemen Menschen eingeplanzt werden und erzählt von den Machenschaften der Firma Rekal. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Firmen (PDF-Datei) ist zufällig. Dass ein auf Banken- und Kreditkartenabrechnungen spezialisiertes Unternehmen in Sachen Gesichtserkennung unterwegs ist, ist doch totaler Blödsinn. Sowas konnte nur Philip K. Dick schreiben.

Apropos Banken: Das unabhängige Datenschutzzentrum Schleswig-Holstein hat auf die bedenkliche Praxis von Banken aufmerksam gemacht, sich zu Werbezwecken hübsche Daten-Banken ihrer Kunden anzulegen. Diese Erschleicherei erinnert daran, dass die lauen Sommernächte zwar vorüber sind und viele die "Sahara-Hitze" plagt, doch dass die Sommerakademie der Datenschützer bevorsteht. Da will man tief in soziale Netzwerke eintauchen statt in die Ostsee. Und die erste CD? Natürlich Dire Straits, Brother in Arms. (vbr)