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Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber, dritte Ausgabe: Von Bürgermeistern, Goldrausch und Bogonen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber
Die Wochenschau von Hal Faber geht nunmehr in die dritte Woche. Wie immer möchte sie den Blick für die Details schärfen: Immer wieder gibt es Informationsbröckchen, die es nicht zur richtigen Nachricht schaffen. Sie mögen nicht in das Bild passen, das eine Firma von sich präsentieren will. Sie passen nicht in die angesagten Technik-Trends oder sie sind wirklich so kümmerlich, dass es der Sammlung bedarf. Manches bleibt auch unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle: Menschen, Computer, Sensationen verdecken den Blick auf Hintergründiges und Zusammenhängendes. Die Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist, so es die Bröckchenlage zulässt, Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Früher hieß es, dass Reisen bildet. Heute haben wir das Internet und Microsoft. Und so lernen wir -- per Mausklick -- dass die Schweizer einen Preisüberwacher haben. Ausgerechnet in der globalen Trutzburg des Bankwesens sitzt ein Beamter, der kontrolliert, ob die Schweizer nicht zu teuer einkaufen müssen. Das mutet so nostalgisch an wie einst ein sowjetischer Sparkommissar; aber der gute Mann prüft jetzt tatsächlich, ob man Windows 98 in Redmond billiger kaufen kann als in Bern. Das ist Globalisierung at its best. Sollte das globale Dorf jemals einen Bürgermeister wählen, ich schlage einen Schweizer vor.

*** Der Goldrausch im Internet nimmt einfach kein Ende. Während viele Pessimisten orakelten, dass die EDV-Abteilungen der Wirtschaft nach der Jahr-2000-Prüfung und der Euro-Umstellung ihre Etats weit gehend ausgeschöpft hätten, setzt sich der IT-Boom völlig unbeeindruckt fort. Das viele Geld führt zu einem interessanten psychologischen Effekt: Kollektives schlechtes Gewissen scheint sich in den Chefetagen auszubreiten wie andernorts der Grippe-Virus. Versuche, die Krankheit durch massive Spendenkampagnen oder gar die Gründung einer eigenen Internet-Bank für die dritte Welt zu bekämpfen, kratzen nur oberflächlich an den Symptomen herum. Die "Infoquelle", eines dieser Finanzblättchen im Internet, das vom Aktien-Boom mit fast schon esoterischen Tipps für hoffnungsvolle Neu-Spekulanten profitieren will, analysiert dagegen messerscharf, und empfiehlt als Heilmittel die richtige Einstellung: "Reichtum fängt im Kopf an. Viele Menschen halten sich selbst davon ab, es zu Reichtum zu bringen, weil sie unbewusst Angst davor haben oder negative Aspekte damit verbinden, viel Geld zu besitzen. Wieder andere haben das Gefühl, selbst nicht genug wert zu sein. Wir haben hier Infos und praktische Übungen für Sie, mit denen Sie Ihre Einstellung zum Geld positiv verändern können." Pecunia non olet -- Geschäftemacherei mit der Hoffnung, ökonomisch unsicheren Zeiten zu entkommen, offensichtlich auch nicht...

*** Apropos Goldrausch: Kaum ein Tag vergeht ohne Kunde von großartigen Fusionen, die noch größere Synergieeffekte produzieren, glänzende Geschäfte im Internet eröffnen und von allen Angestellten und Teilhabern bejubelt werden. Von daher mag es erstaunen, wie wenig die Übernahme von CareInsite durch Healtheon/MD beachtet wurde. In den Nachrichtenteilen der Rubrik Wirtschaft erschienen zumeist kurze Notizen von der Übernahme, die immerhin 4,7 Milliarden Dollar kostet. Ansonsten wurde die Nachricht ignoriert. Das mag daran liegen, dass es in Deutschland kein Pendant zum privatwirtschaftlich organisierten Medizinmarkt der USA gibt. Dort arbeiten eine Reihe von großen Firmen daran, im Cyberspace die E-Gesundheitsvorsorge im großen Stil zu installieren. Seriöse Fachzeitungen gestatten in den von Forschern geschriebenen Fachartikeln Werbung für Web-Sites wie Cancersource, die ihrerseits Kooperationen mit der Industrie eingehen.

Es mag auch daran liegen, dass selbst in den USA niemand so richtig weiß, wie ein kompletter Wirtschaftskreislauf zwischen Arzt, Krankenhaus, Versorgungsträger und Patient funktionieren kann. In Deutschland brachte es der Health Online Service aus dem Hause Burda nur zu kurzer Blüte. Selbst Healtheon/MD, eine der Wunderfirmen des Wundergründers Jim Clark (Netscape) krebst nach Internet-Maßstäben in den Niederungen eines lahmen Geschäfts. Was läuft, sind Internet-Klagemauern vom Schlage Dr. Koop, wo Arzt wie Patient sich virtuell ausheulen können. Mit der Übernahme von CareInsite gewinnt Healtheon/MD an Gewicht: Im Kaufpreis inbegriffen ist Medical Manager, die Mutterfirma der Web-Site. Sie stellt Software für das Praxenmanagement von niedergelassenen Ärzten her; 190.000 Ärzte sollen mit ihr arbeiten. Die Daten dieser Ärzte sind das eigentliche Kapital.

Schwenken wir den Blick zur Konkurrenz, zu HealthCentral und iVillage, einem Gesundheitsdienst für Frauen. Im Zuge der Untersuchungen der Datenmisch-Praktiken von DoubleClick fanden Ermittler der amerikanischen FTC, dass beide Sites mit einem Vermarktungsvertrag an DoubleClick gebunden sind. Anstößig fand das offenbar niemand. Schließlich mag es ein Vorteil sein, wenn ein Patient nur Werbung über Medikamente bekommt, die seiner Krankeit oder Gesundheit entsprechen. Aus diesem Grunde berichten alle medizinischen Web-Sites von einer großen Offenheit der Besucher, die geduldig eine Cyber-Anamnese über sich ergehen lassen, wenn sie dem Anbieter trauen. Bedenklich wird die Sache erst durch einen anderen Aufkauf, diesmal bei den Werbern von DoubleClick. Die hatten die Firma Abacus aufgekauft, die Angaben zu Personen nicht im Cyberspace handelt, sondern ein ganz normaler Adressenbroker ist. Der beabsichtigte Datenabgleich zwischen den Beständen von DoubleClick und Abacus, zwischen Klickdaten und Meatspace, brachte die Trade Commission ins Spiel und die Kunden in Rage, die zugestimmt hatten, das DoubleClick ihre Surf-Daten speichert. Von einer Verknüpfung mit Daten aus dem realen Leben war nie die Rede gewesen.

In einem ähnlichen Dilemma sehen sich die Ärzte, die für den technischen Support des Medical Manager Angaben zu ihrer Person gemacht haben. Sie finden diese Angeben nun bei Healtheon/MD wieder, die sie aktiv vermarkten will. Merger kennen keinen Kündigungsschutz, besagt ein geflügelter Spruch der Manager. Datenschutz kennen sie auch nicht.

Was wird

Weil sowohl Reichtum als auch das Surfen im Internet einsam machen, haben die Götter des Cyberspace die CeBIT erfunden. Eine Woche lang wird die Niedersachsen-Metropole wieder zum Nabel der IT-Welt -- eine Woche lang Stau auf dem Messeschnellweg, in der U-Bahn und den Restaurants der Stadt. Während Computerfreaks in den Augen der Öffentlichkeit imer noch als langhaarige, übernächtigte Figuren in Jeans und ausgeleierten T-Shirts gelten oder als anarchistische Cyber-Punker, ist der gemeine Hannoveraner da mittlerweile besser im Bilde: Er erlebt die Messe als eine Invasion jugendlicher Krawattenträger. Und wundert sich umso mehr: Denn nach der Bogonen-Theorie ( A theory that characterizes the universe in terms of bogon sources -- such as politicians, used-car salesmen, TV evangelists, and suits in general --, bogon sinks -- such as taxpayers and computers --, and bogosity potential fields.) dürfte die Veranstaltung niemals funktionieren. Der Gedanke ist irgendwie tröstlich.

Aber eigentlich startet nächste Woche an der schönen Leine ja die Expo 2000 -- nur gut getarnt als CeBIT. Das Thema der Expo ist Planet of Visions. Entsprechend weitsichtig fallen die Visionen aus. Palms in Farbe, Linux-PDAs mit Spracherkennung und Visor-Handhelds mit Temperaturfühlern und Fitnessanleitungen zeigen uns das Leben von morgen. Und wenn jemand neben Ihnen steht und verzweifelt mit seinem Palm spricht, doch bitte den Bildschirmschoner auszuschalten, dann streicheln Sie doch einfach einen einsamen PC, der unter Windows 2000 werkelt. Tapfer, tapfer.

Manch geplagter Hannoveraner mag mit seinem nüchternen, norddeutschen Verstand solche Verhaltensweisen so genannter User (erinnert sich noch jemand an den Film Tron, in dem Software-Programme in religiösen Streit gerieten angesichts der Frage, ob der User wirklich existiere?) pathologisch nennen. Oder als weiteren Hinweis sehen, die CeBIT beweise tatsächlich die Bogonen-Theorie. (Hal Faber) (jk)