DMR: Digitaler und analoger Betriebsfunk mit demselben Endgerät

Der ETSI-Standard DMR verspricht Anwendern wie Taxizentralen oder der Landwirtschaft verbesserte Sprachqualität und Frequenznutzung gegenüber Analogfunk – bei gleichbleibenden Kosten. Motorola zeigt auf der Hannover Messe Dual-Mode-Geräte.

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Von
  • Sven-Olaf Suhl

Seinen ersten Auftritt auf der Hannover Messe überhaupt nutzt Motorola, um marktreife Endgeräte und Sendeanlagen für Digital Mobile Radio (DMR) vorzustellen. Der vom European Telecommunications Standards Institute (ETSI) im vergangenen Jahr veröffentlichte Standard (TS 102 361) eignet sich aus Sicht des US-Elektronikriesen vor allem für Anwender, die ein abgegrenztes Areal mit eigenem Betriebsfunk versorgen wollen und dabei Wert auf niedrige Betriebskosten und geringen Administrationsaufwand legen. Hierzu zählen zum Beispiel Taxizentralen, Schrottplätze oder Großgärtnereien, die mit einer einzigen Basisstation – optional durch Repeater verstärkt – bis zu einige Dutzend Funkgeräte ansprechen wollen. Diese Klientel nutzt bislang analoge Funktechnik und ist nicht geneigt, in professionelle Mobilfunksysteme wie TETRA zu investieren.

DMR-Handfunkgerät Motorola DP 3600 mit zweizeiligem Display (Bild: Motorola)

DMR ist wie die ETSI-Standards GSM oder TETRA ein Zeitmultiplex-Verfahren (TDMA, Time Divison Multiple Access) und bietet in einem Kanal von 12,5 kHz Bandbreite zwei virtuelle Kanäle, was Motorola zufolge einer Verdoppelung der Kapazität gegenüber Analogfunk entspricht. Der Backnanger Anbieter von TETRA- und DMR-Ausrüstung Selex beziffert die Kapazität des Verfahrens auf 160 Kommunikationskanäle je 1MHz. Moderne Sprachcodecs sollen die Verständlichkeit der Kommunikation gegenüber Analoggeräten verbessern, DMR ermöglicht Vollduplex (gleichzeitiges Sprechen und Hören) sowie Gruppenrufe, das heißt die gezielte Ansprache mehrerer Funkgeräte, ohne dass die übrigen Teilnehmer mithören. Daten überträgt DMR per IPv4 mit 9,8 kBit/s brutto, Motorola verspricht effektiv 2,2 kBit/s pro Kanal.

In Deutschland nutzen die Betriebsfunker von der Bundesnetzagentur lizenziertes Spektrum in den Bereichen 136 bis 174 MHz (VHF) beziehungsweise 403 bis 470 MHz (UHF). Für diese Frequenzbereiche bietet Motorola MOTOTRBO (sprich –turbo) getaufte Hardware an, darunter Handfunkgeräte mit bis zu 5 W Sendeleistung sowie bis zu 40 W starke Geräte für den Fahrzeugeinbau und Basisstationen mit Repeater-Funktion.

Die Handfunkgeräte ähneln in Design und Bedienerführung ihren Pendants aus dem analogen beziehungsweise digitalen Profifunk – der Netto-Listenpreis für das DMR-Einsteigermodell DP 3400 mit Push-to-talk-Taste, Drehrad für die Kanalwahl und separatem Notrufknopf beträgt 600 Euro; es ist damit laut Motorola etwas billiger als ein vergleichbares Analog-Gerät. Hinzu kommen Geräte mit Zehnertastatur und alphanumerischem Display für SMS-ähnliche Botschaften (700 Euro) sowie optionalem GPS-Empfänger (plus 70 Euro). In die Geräte lassen sich zusätzlich "Option Boards" einbauen, das heißt von zertifizierten Drittanbietern entwickelte Hardware, die weitere Dienste zur Warendisposition oder Flottensteuerung via DMR versprechen.

Um möglichst schnell Kunden für MOTOTRBO zu gewinnen, haben die US-Amerikaner, die nach eigenem Bekunden "so ziemlich jeden" auf der Welt eingesetzten Funkstandard im Angebot haben, ein Migrationsszenario entworfen: Hierbei setzen sie bei den Sende- und Empfangseinheiten in den DMR-Geräten "software-defined-radio"-Chips ein, die es ermöglichen, in demselben Frequenzbereich analog oder DMR-moduliert zu funken. Wer also eine MOTOTRBO-Basisstation erwirbt, kann über diese vorhandene Analog-Funkgeräte versorgen, ein "Turbo"-Funkgerät kann auf einem Kanal analog funken, stellt man das Drehrad weiter, sendet es auf dem nächsten via DMR.

Obwohl DMR mit Funktionen wie Rufpriorisierung, Notruf und Gruppenruf/Rundspruch ähnliche Leistungsmerkmale wie TETRA oder GSM-R besitzt, befürchtet Motorola keine Kannibalisierungseffekte durch DMR zu Lasten seines TETRA-Geschäfts: DMR sei als preisgünstige "out-of-the-box"-Lösung für die Funkversorgung begrenzter Areale konzipiert – zum Beispiel für die Taxi-Genossenschaft einer kleineren Stadt, erläutert Motorola-Produktmanager Dietmar Kloß gegenüber heise online. Dank Repeatern werde hier eine Nutzergruppe in einer Funkzelle geführt. Der Aufbau zellulärer Netze auf Basis von DMR sei zwar denkbar, doch würden die Einspareffekte durch die wachsende Komplexität des Netzes und seiner Verwaltung zunichte gemacht. Droschkenkutschern in Großstädten wie Berlin empfiehlt Kloß hingegen ein gemeinsames TETRA-Netz, das mit seiner zellularen Struktur das gesamte Gebiet versorgt.

In einem zentral gesteuerten TETRA-Netz können verschiedene Fuhrunternehmen oder auch andere Nutzergruppen funken, ohne befürchten zu müssen, dass die Konkurrenz mithört – entsprechend dem Konzept des seit Langem geplanten gemeinsamen TETRA-Netzes für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Eine friedliche Koexistenz beider TDMA-Verfahren erwartet auch Uwe Jakob von b+w Electronic Systems. Die Oberhausener errichten unter anderem GSM- Infrastruktur für Handynetzbetreiber oder TETRA-Netze für große industrielle Anwender: "DMR kann den Markt für professionellen Digitalfunk (PMR) im Mittelstand aus seinem Dornröschenschlaf wecken, weil die Anwender vorhandenes lizenziertes Analog-Spektrum weiternutzen können", erwartet Jakob, der zuvor für die von EADS übernommene PMR-Sparte von Nokia tätig war. (Sven-Olaf Suhl ) / (jk)