Hessens CIO: "Deutschland-Online ist ein einziger Reinfall"

Harald Lemke, CIO der hessischen Landesregierung, hat die E-Government-Strategie des Bundes als völlig ineffektiv kritisiert. Auch die Wirtschaft behindere "mit ihrem Gezänk" die Vernetzung des Landes.

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Harald Lemke, Chief Information Officer beziehungsweise Staatssekretär für E-Government und Informationstechnik der hessischen Landesregierung, hat die E-Government-Strategie des Bundes als völlig ineffektiv kritisiert. "Deutschland-Online ist ein einziger Reinfall und sein Geld nicht wert", erklärte der Staatssekretär auf dem Forum Public Sector des Branchenverbands Bitkom am heutigen Dienstag in Berlin. Laut dem IT-Direktor haben weder Bund noch Länder oder Kommunen E-Government tatsächlich auf der Agenda. Vielmehr erschöpfe sich die gemeinsame Initiative für die Digitalisierung der Verwaltung darin, "sich drei Mal im Jahr auf Staatssekretärebene zu treffen mit einem Budget für Kaffee und Kuchen". Heraus kämen allein "die Sorte von Beschlüssen, die zuvor in Arbeitsgruppen fein gewogen wurden und auf grüner Liste durchgewunken werden". Eine deutschlandweite Standardisierung im IT-Bereich, bei der es bei Deutschland-Online jenseits des dünnen Ziels der "Verwaltungsmodernisierung" gehen müsse, bräuchte laut Lemke dagegen Geld, eine klare Strategie und ein echtes politisches Bedarfsszenario.

Auch die Wirtschaft bekam in der E-Government-Philippika des Staatssekretärs ihr Fett ab. Lemke bemängelte die "absolute Sprachlosigkeit der IT-Branche", wenn es darum gehe, einem Politiker zu erklären, "warum er IT machen soll". Große IT-Projekte seien in der Regel riskante Projekte, verwies Lemke etwa auf den Fall Toll Collect und die LKW-Maut. Fehler würden "gnadenlos von Opposition und Presse in die Öffentlichkeit gezerrt" und "Skandal" gebrüllt. "Wir Deutsche sind gut darin, solche Projekte zu zerreden, bis die ganze Welt über uns lacht", wetterte der CIO der Wiesbadener Landesregierung. Wenn mal etwas funktioniere, rede dagegen "kein Schwein darüber". Es sei daher kaum verwunderlich, dass kaum ein Politiker "den Stress" zur Erarbeitung und Durchführung einer zentralen IT-Strategie auf sich nehme. Dazu bräuchte es nämlich auch Rückhalt von ganz oben, um Widerstände bei Gewerkschaften, Abteilungs- und Ressortleitern oder Staatssekretären zu brechen.

"Mit ihrem Gezänk" behindere die Industrie informationstechnische Innovationen zusätzlich, schlug Lemke weiter in die Kerbe. Als Beispiel nannte er den Streit um das geplante Hochgeschwindigkeitsnetz der Deutschen Telekom. Hier gebe es nicht nur ein Unternehmen, das mehrere Milliarden investieren und Rendite erwirtschaften wolle. Zusätzlich bringe sich da auch eine Wirtschaft in Spiel, "die Korken verkaufen will, aber nicht hat", stichelte der IT-Direktor gegen das Drängen der Telekom-Wettbewerber auf eine Beteiligung an dem neuen Breitbandvorstoß. Der Kampf werde so an Justiz und Politik herangetragen, die es aber auch nicht jedem Recht machen könnten.

Hessen selbst hat laut Lemke mit der Unterstützung des Ministerpräsidenten eine Vorbildfunktion beim Zusammenführen von IT-Landschaften übernommen. So habe man begonnen, gemeinsame Verzeichnisse, ein E-Mail-System für alle und andere technische Grundlagen für eine gemeinsame IT-Architektur zu schaffen. Mit der Einführung von SAP-Software seien zudem alle Ministerien komplett auf kaufmännische Buchführung umgestellt worden. "In Hessen schreibt jeder Landesbedienstete abends auf, für welche Kostenstelle er welche Zeit gearbeitet hat", umriss Lemke die anlaufende "IT-Revolution". Die Unsitte von Referenten, nach einer Anfrage zig Vermerke aus allen Abteilungen anzufordern und so eine "Angstleiste" zu erstellen, könnte damit leicht zu einer unfreiwilligen Mitarbeitervermehrung führen. Im Kabinett habe ferner mit der Inbetriebnahme eines Informationssystems das Zeitalter des ressort- und fachübergreifenden Dokumenten- und Workflow-Managements begonnen.

Mit Geld allein kann ein solches IT-Vorhaben laut Lemke aber nicht zum Erfolg geführt werden. So habe das hessische Kabinett auf das 300 Millionen Euro schwere IT-Budget des Landes für die neue strategische Ausrichtung nur noch 10 Millionen oben drauf gesattelt. Als ein "viel schärferes Schwert" bezeichnete er aber den geänderten Paragraph 5 im Haushaltsgesetz. Er ermöglicht die Sperrung aller IT-Mittel, wenn sie nicht standardkonform ausgegeben werden. So lasse sich der Fluss des Hauptbudgets lenken. Für Lemke ist damit klar, dass ein CIO nicht nur in die Geschäftsführung gehört, sondern auch ins Kabinett. Dem Ruf des Bitkom nach einem "Bundes-CIO" und "Innovationsminister" steht der Staatssekretär momentan trotzdem skeptisch gegenüber. Das mache nur Sinn, "wenn es auch einen Bundes-CEO" gibt, betonte Lemke. Sonst bleibe es im E-Government beim gegenwärtigen "l'art pour l'art".

Einen skeptischeren Blick auf die Informationalisierung warf Brigadegeneral Günther Schwarz. "IT bremst uns bei konkreten Modernisierungsprojekten", monierte der Leiter des Kompetenzzentrums Modernisierung der Bundeswehr. Für wichtiger als den Aufbau "riesiger Datenbanken" erachtet er die Erreichung größerer Freiräume für menschliche Entscheidungen. Aus der zweijährigen Erfahrung in seiner jetzigen Position zog er das skeptische vorläufige Resümee: "Wir werden unter SAP erstickt", da das Implementierungsprogramm SASPF einen "Auswuchs IT-gesteuerter Kontrollwut" darstelle. Die moderne IT müsse zu "neugierigen Menschen" passen, die Innovationen vorantreiben, und nicht umgekehrt, forderte der Soldat. Nachdem die Einführungsstrategie für das SAP-Modell der Bundeswehr aber Mitte Januar gleichzeitig mit dem neu ausgerichteten Herkules-Projekt auf der Hardthöhe gebilligt worden sei, gelte es nun bei der Umsetzung zu verhindern, dass der unverbrauchte Rest der insgesamt für die IT-Modernisierung veranschlagten zwei Milliarden Euro auch noch für Dinge ausgeben werde, "die wir nicht brauchen". (Stefan Krempl) / (jk)