Merkel und Schäuble beharren auf heimlichen Online-Durchsuchungen

Die Kanzlerin hat die SPD aufgefordert, im Streit über Online-Durchsuchungen einzulenken und keine "sicheren" Räume für Terroristen zu dulden. Unterstützung erhielt der Innenminister auch von Kollegen aus dem Ausland.

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Im andauernden Streit über heimliche Online-Durchsuchungen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Koalitionspartner SPD zum raschen Einlenken aufgefordert und die Pläne von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble erneut mitgetragen. "Wir können nicht viel Zeit vergehen lassen, weil die Gefahren da sind", sagte Merkel auf einem Kongress zum neuen CDU-Grundsatzprogramm in Hanau am gestrigen Dienstag, noch bevor die jüngsten Verhaftungen von Terrorverdächtigen in Deutschland bekannt wurden. Ermittler müssten auch Zugang zu Computern von Terroristen haben. "Es kann keinen Raum geben, wo Terroristen sicher sein können." Im neuen Parteiprogramm, das die Christdemokraten im Dezember in Hannover verabschieden können, wird Datenschutz allgemein mit "Täterschutz" in Verbindung gebracht.

Auch der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, betonte mit ähnlichen Worten wie die Kanzlerin gegenüber der FAZ: "Der Staat muss verfolgungsfreie Räume verhindern." Das gleiche Argument hatten zuvor CSU-Spitzenpolitiker sowie CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla ohne Erläuterung der Verfassungsvorgaben und den vom Bundesverfassungsgericht festgeschriebenen Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung herangezogen.

Bei einem Treffen der Innenminister der deutschsprachigen Länder in Weimar erhielt Schäuble ferner Rückendeckung von seinen Kollegen aus der Schweiz und Österreich für seine Vorhaben zur Terrorabwehr. Der österreichische Innenminister Günther Platter betonte, dass er die Vorschläge des CDU-Politikers "bis hin zur Online-Durchsuchung" mittrage. In seinem Ministerium würden entsprechende Maßnahmen analog geprüft. Es gehe nicht nur darum, Verbrechen aufzuklären, sondern diese von vornherein zu verhindern. Die Prävention habe den selben Stellenwert wie die Repression, sagte der Österreicher. Auch in der Schweiz gebe es gesetzliche Initiativen für Online-Razzien, erläuterte zudem der für Justiz und Polizei zuständige Bundesrat Christoph Blocher.

Schäuble selbst bezeichnete die von ihm gewünschte Befugnis des BKA zur Ausforschung "informationstechnischer Systeme" als nicht verhandelbar. "Es gibt international niemanden, der bei der Gefahrenabwehr des internationalen Terrorismus darauf verzichten will", behauptete er. Deswegen müsse auch hierzulande eine klare Rechtsgrundlage geschaffen werden. Entsprechende Lizenzen für Online-Durchsuchngen existieren seinem Ressort zufolge aber in Europa erst in Rumänien, Zypern, Lettland und Spanien.

Den Vorschlag der Sozialdemokraten, Online-Durchsuchungen aus dem umstrittenen Entwurf zur Novelle des BKA-Gesetzes auszuklammern, nannte Schäuble nicht akzeptabel. Die Maßnahme sei gar keine Erfindung von ihm, sondern unter seinem SPD-Vorgänger Otto Schily eingeführt worden. "Es kann ja nicht wahr sein, dass etwas, was die SPD gemacht hat, nun deswegen falsch ist, weil der Bundesgerichtshof dafür ein Gesetz verlangt." Schäuble hatte nach der BGH-Entscheidung die Durchführung von Online-Razzien durch Geheimdienste im Inland zunächst gestoppt. Auch ein Entwicklungsprojekt für den so genannten Bundestrojaner beim BKA liegt momentan auf Eis.

"Wir beim BKA haben Online-Durchsuchungen noch nicht durchgeführt", bestätigte Ziercke in diesem Sinne. "Wir haben zwar Vorbereitungen dafür getroffen, hatten aber noch zusätzliche Entwicklungen durchzuführen." Deshalb finde er die Forderung aus seiner eigenen Partei, der SPD, "wir sollten jetzt erstmal zeigen, wie Online-Durchsuchungen in der Praxis funktionieren, unlauter". Man könne ihm nicht auf der einen Seite die Mittel wegnehmen und "auf der anderen Seite sagen, ich soll ein fertiges Produkt vorführen". Außerdem habe er "noch nicht erlebt, dass verdeckte Maßnahmen im Bereich der Schwerstkriminalität so breit öffentlich diskutiert werden". Insgesamt gibt es laut Ziercke derzeit 230 Ermittlungsverfahren mit islamistisch-terroristischem Hintergrund in Deutschland. 109 davon bearbeite das BKA. "Wir haben eine abstrakte Gefährdungslage, die sich schon mehrfach konkretisiert hat." Es gäbe zwar nach wie vor "keine konkreten Anhaltspunkte für eine Anschlagsplanung. Die Lage ist aber weiterhin angespannt", erklärte Ziercke ebenfalls noch vor der Festnahme von drei Verdächtigen mit angeblich islamistischem Hintergrund, die Sprengstoffanschläge in Deutschland geplant haben sollen.

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sagte dagegen in der ARD nach der Festnahme der drei Terrorverdächtigen: "Es gab eine unmittelbare Bedrohungslage." Die Festgenommen sollen sich nach Medienberichten Wasserstoffperoxid in einer so hohen Konzentration beschafft haben, dass es nur eine Woche gelagert hätte werden können. Deshalb sei vermutet worden, dass Anschläge kurz bevorstanden. Aus der Chemikalie lässt sich zusammen mit Aceton und Salzsäure relativ einfach Sprengstoff herstellen. Einen zündfähigen Sprengkörper soll es nach Aussage mehrerer Ermittler aber noch nicht gegeben haben. Auch die Anschlagsziele hätten noch nicht festgestanden. Die Rede ist davon, dass die Verdächtigen den Frankfurter Flughafen und den US-Militärflughafen in Ramstein im Visier gehabt haben sollen.

Zum aktuellen Stand der Debatte um heimliche Online-Durchsuchungen privater PCs siehe:

Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz am vergangenen Montag:

Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen vom vergangenen Wochenende im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)