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Was war. Was wird.

Kaum ist eine Kampagne vorbei, kommt schon die nächste Zumutung. Deshalb und auch aus anderen Gründen sehnt sich Hal Faber nach einer Klappe, durch die der größte Unsinn entsorgt werden kann.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein Lied, zwo, drei, vier: Fußball Ist Unser Leben, la lala lala lala la la, und wieder und immer wieder (bitte den Realplayer weiter laufen lassen). Ja, wenn die Freunde von Bundeswehr und Polizei zusammen stehen, AWACS über uns kreist und in München die Fußballfans großflächig eingezäunt werden, dann bekommt die Welt einen feinen 1936er-Hautgout. Sind wir nicht alle Freunde im Kampf gegen den Terror? Schließlich geben wir Deutschen auch das letzte Bisschen Daten her, nur um an die begehrten Tickets zu kommen, die Politiker unter sich aufteilen. Wir sind sogar bereit, uns Qosmio-Laptops von Toshiba zu kaufen, weil im Preis ein Vorrundenticket enthalten ist. Oder wie wäre es mit dem Welcome-T-Shirt von T-Com, um beim größten Nationalteam aller Zeiten dabei zu sein, und endlich einmal im Rampenlicht der Medien zu stehen? Kaum ist die Kampagne "Du bist Deutschland" vorbei, kommt mit "Wir stellen was auf die Beine!" die nächste Zumutung. Ein Blick in die Details beim Trikot-Kauf mit den zugehörigen Tarifen XXL Local, XXL Free-time und XXL Full-time gefällig?

*** "Das Welcome-Trikot ist ein hochwertiges Shirt im Stil des Nationaltrikots – mit aufgesticktem DFB-Emblem und aufgedruckter Streifen-Deko in den Farben schwarz-rot-gold. Zu jedem Welcome-Trikot gehört eine Registrierungsnummer. Mit dieser und einem Ganzkörperfoto im Welcome-Trikot können Sie sich aufstellen lassen, wenn Sie ihre persönlichen Daten auf der Aktions-Website eingegeben haben." Wenigstens tritt diese Ganzkörperkultur in Weiß an und nicht in dem grässlichen Rot, in dem man schon 1934 gegen die Ösis gewann. Zum registrierten Team-Deutschen passt der gläserne, gnadenlos ausspionierte WM-Spieler in einem System Klinsmann, das nichts dem Zufall überlassen will, der im Fußball zu Hause ist. Telekom unterstützt DFB-Spionage heißt es dann, wenn Chefspion Urs Siegenthaler 16 Laptops bekommt. Es hat schon seine Logik, wenn infolge der gnadenlosen Kommerzialisierung der Sport der Wirtschaft folgt.

*** Bleibt nur die Frage, ob der Staat der Wirtschaft folgen kann und selber eine Staats-AG wird. Bei der Geldmelkmaschine Fußball-WM hat es fast schon den Eindruck. Ist das E-Government am Ende nichts anderes als ein E-Banking mit anderen Mitteln? Hatte es zur Vorstellung des digitalen Personalausweises noch geheißen, Alterszertifikat, Adresszertifikat und Namenszertifikat auf dem Ausweis sollen eine Serviceleistung für alle Bürger sein, ist nun das Gerücht in der Welt, mit diesen Zertifikaten solle ein schwungvoller Handel getrieben werden. Das ist zwar nach dem derzeitigen Personalausweisgesetz verboten, aber Gesetze können bekanntlich geändert werden. Der Staat als Datenhändler für alle Identitätsnachweise ist derselbe Staat, der ein Mautgesetz hat, das die Nutzung der Mautdaten für andere Zwecke verbietet. Der freie Verkauf von Identitätsdaten wäre ein wunderbare neue, nie versiegende Einnahmequelle.

*** Auch anderswo sprudelt es. Der Fall Tron hat kein Ende. Mit zwei Verhandlungen am Dienstag und am Donnerstag bekommt die Auseinandersetzung um den in Deutschland ach so einzigartigen Namen Floricic langsam die Qualität der Auseinandersetzungen im Fall SCO gegen IBM, Novell und den Rest der Welt. Der uralte Anwaltstrick, beim drohenden Ende die Mandatschaft des gegnerischen Anwaltes zu bezweifeln, ist dabei ebenso lustig wie der Versuch, in letzter Minute aus der tragischen Geschichte um einen jungen Hacker ein Verfahren um das Persönlichkeits- und Markenschutzrecht der Eltern zu machen. Selbst die Diskussion um die Qualität der Diplomarbeit von Boris Floricic flackert wieder auf. Dabei ist der junge Hacker längst eine Person der Zeitgeschichte geworden, sein Leben und Tod ein Beispiel für zerbrechliche Identitäten in der deutschen Hackerszene. Für Außenstehende ist das alles Pop. So fasste die Süddeutsche Zeitung in der vorletzten Woche in ihrem Fernsehprogramme die Wiederholung des Films "23" mit den Worten zusammen: "Film über Leben und Sterben des Hackers Tron".

*** Besonders bizarr ist dabei eine Erklärung, mit der die "Eltern von Tron zusammen mit Freunden" vom CCC gegen die Wikipedia die unterste Schublade aufziehen: "Was wäre erst geschehen, wenn es sich um einen spektakulären Sexualmord oder Terroranschlag gehandelt hätte?" So "erklärt" sich nur jemand, der Unterstellungen verbreiten will, das zeigt ein schneller Klick auf Terrorverdächtige wie Osman Hussein (keine Adresse) oder Terroropfer wie Jean-Charles de Menezes (keine Adresse, aber die offizielle polizeiliche Umschreibung "located within a three-storey block of nine flats in Scotia Road, Tulse Hill"). Warum die Eltern Sexualmord und Terroranschlag erwähnen, "bleibt erst mal frei", um es mit Tron zu sagen. Rätselhaft auch die Rolle des CCC. Auf dem Kongress 22C3 zirkulierte die in die Geburtstadt von Ayn Rand geschickte einstweilige Verfügung und sorgte für große Erheiterung darüber, wie man St. Petersburg verwechseln kann. Nun wird raunend von einer "raffinierte(n) Fehlinformation der Presse durch Wikimedia in Berlin" fantasiert. Am Ende ist es vielleicht das Schlechteste nicht, wenn nach dem Prozess die freie Enzyklopädie als Massenmedium dem Presserecht unterliegt, komplett mit neuen Berufsbildern wie Sitzredakteur und Wikipedia-Umschreibern: Presserechtlich kann die Namensnennung nicht beanstandet werden.

*** Ich komme zu den Jubiläen und Abschieden. 50 Jahre alt ist er geworden, der Fernsehturm in Stuttgart, der erste seiner Art. Erdacht und gebaut von einem findigen Ingenieur, der demonstrierte, "wie man technisch notwendige Einrichtungen auch schön und anziehend bauen kann". Im Zeitalter scheußlicher Fußgängerunterführungen und der hässlichen Mobilfunkantennenanlagen, die hier und da als Bäumchen getarnt werden, können wir darüber nur staunen. Ein ebenfalls berühmter Kollege, der Fernsehturm am Alexanderplatz wird gerade im Auftrag der Telekom mit einem magenta-silbernen Fußball verschandelt. Kältebedingt sind die Arbeiten ins Stocken geraten – der Verstand ist schon länger abgeschaltet. Warum reicht es nicht, die 3000 Ethernet-Ports magentafarben zu dekorieren, die allein für das Endspiel im Stadion installiert wurden?

*** Wir nehmen Abschied vom Telegramm. 145 Jahre lang sendete Western Union, doch am 27. Januar war Schluss, eine Ära ging zu Ende. Hannelore und Betty sind auch Out. Die Vornamen, aus denen das schicke H+BEDV Datentechnik gebildet wurde, müssen Avira weichen, das einfacher zu sprechen ist. Noch heißt die verdienstvolle Auerbach Stiftung Auerbach-Stiftung, aber bald mag der Irrsinn aus der virtuellen Welt in die reale übergreifen.

Was wird.

Nach den Kinderklappen und der Kunstklappe wäre ein Türchen ganz angebracht, durch das der größte Unsinn dieser Branche entsorgt werden kann. Nehmen wir nur das endlose Gerede vom Web 2.0, dass Die Ritter der Schwafelrunde von sich geben. Im Kern ist es nur ein gutes Geschäft, wenn eine Gefälligkeitsrezension eines Bloggers über die neue Software eines anderen Bloggers erscheinen kann. Da sollte man sich den Sermon über "Social Software" sparen und lieben von Web $,e reden. Ähnliche Aversionen hege ich, wenn ich den Begriff Security 2.0 höre, mit dem Symantec zur CeBIT aufwarten will. Vorstellen soll das Ganze Symantec-Chef Thompson auf der kommenden RSA-Konferenz. Ich wäre schon mit Security 1.0 zufrieden. Betrachtet man sich die Tickermeldungen der vorigen Woche, sind wir höchstens bei Security 0.98beta, ungeachtet aller sicheren und gehärteten Betriebssysteme.

Unternimm was! geht zu Ende und Microsoft stellt die angeförderten Gründer-Gewinner in München vor. Reich wie Bill Gates werden, dessen Millarden die Finanzcomputer sprengen, das ist schon ein lohnenswertes Unternimmen. Ansonsten: Bleibt alle warm verpackt da draußen, die Blicke fest auf die rutschige Realität gerichtet, bis zur CeBIT die Sonne von Windows Vista mit schicken neuen Fonts aufgeht. (Hal Faber) / (anw)