Schon in einem Jahr kommt ein Infiniti mit elektronischer Lenkung auf den Markt

Nissan bringt Steer-by-Wire in Serie

Rechtlich betrachtet ist Steer-by-Wire bei Pkws in Europa mittlerweile kein Problem mehr, doch eine Serienanwendung fehlt bisher. Nissan will die Technik in etwa einem Jahr in einem Infiniti auf den Markt bringen

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  • Gernot Goppelt
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Yokohama, Japan, 17. Oktober 2012 – Unter dem Begriff Drive-by-Wire werden alle Techniken im Auto zusammengefasst, bei denen die Betätigung ohne mechanische Verbindung erfolgt. Doch die einzige By-Wire-Technik, die sich bisher durchgesetzt hat, ist das E-Gas – Steer-by-Wire und Brake-by-Wire haben es dagegen bisher nicht in die Serie geschafft. Das könnte sich bald ändern, denn Nissan will in rund einem Jahr eine elektronische Lenkung in Serie bringen, voraussichtlich in einem Fahrzeug der Edelmarke Infiniti.

Lenken per Draht

Bei der neuen Nissan-Lenkung werden die Lenkbewegungen elektronisch an drei redundant angeordnete Steuergeräte weitergegeben, die sich ständig gegenseitig überprüfen. Diese geben dann den Fahrerwunsch an die Vorderachse weiter, wo die Räder elektromotorisch eingestellt werden. Über die redundanten Steuergeräte hinaus ist außerdem eine mechanische Lenksäule vorhanden, die mit einer Kupplung versehen ist. Nissan beschreibt deren Funktionsweise nicht näher, sie wird aber offenkundig permanent offen gehalten, um die mechanische Entkopplung zu gewährleisten. Demnach würde sie im schlimmsten Fall, dem Versagen der Elektronik, schließen, damit der Wagen konventionell gelenkt werden kann.

Eine elektronische Lenkung ohne mechanischen Durchtrieb verspricht viele Vorteile. Die Radbewegungen sind vollkommen vom Lenkrad entkoppelt, sodass sich Funktionen und Eigenschaften realisieren lassen, die bei einer klassischen, mechanischen Lenkung nicht oder nur mit hohem Aufwand möglich sind. So können zum Beispiel Fahrbahneinflüsse, die auf die Räder einwirken, problemlos ausgefiltert werden. Mit seinen Lenkbewegungen gibt der Fahrer nur seinen "Fahrerwunsch" vor, das eigentliche Lenken wird von einem Steuergerät übernommen. Vom Kampf der Räder mit einer schwierigen Fahrbahn muss der Fahrer dabei nichts mitbekommen, wenn die Entwickler es so wollen. Nicht immer ist es zwar sinnvoll, dass keine Fahrbahn-Rückmeldung erfolgt, doch prinzipiell lässt es sich so einstellen.

Charakteristik per Software

Ein weiterer Vorteil ist, dass sich die Lenkcharakteristik völlig problemlos variieren lässt, Was sonst kompliziert über mechanische Übersetzungsänderungen gemacht werden muss, ist hier nur eine Funktion der Software. So lässt sich (wie etwa bei BMWs Aktivlenkung) eine geschwindigkeitsabhängige Charakteristik einstellen, oder der Autohersteller kann dem Kunden verschiedene Programme wie "Sport" oder "Komfort" anbieten – vielleicht sogar so etwas wie "Gelände", damit man als Fahrer mitbekommt, wie sich das Geläuf anfühlt, eigentlich unverzichtbar bei einem Geländewagen. Nissan glaubt sogar, eine realistischere Rückmeldung bewerkstelligen zu können als mit einer mechanischen Lenkung. Der Grund: Es ist möglich, Einflüsse der Fahrbahn in Echtzeit und im gewünschten Maße zurückzumelden – Nebeneffekte wie Resonanzen im Fahrwerk bleiben aber außen vor, weil es keinen mechanischen Pfad für ihre Übertragung gibt.

Auch eine Funktion wie die Geradeauslaufkorrektur, die zum Beispiel die Lenkung im VW Golf bietet, ist bei Steer-by-Wire kein Problem. Die Lenkung, welche ZF-Lenksysteme bereits für den Golf V entwickelte, kann automatisch eine leichte Richtungskorrektur vornehmen, wenn sie bei Geradeausfahrt ein leichtes Abdriften erkennt. Typischerweise ist das bei Autobahnen der Fall, weil diese immer ein leichtes Seitwärtsgefälle haben, damit das Wasser ablaufen kann. Auch ein solche Funktion ist bei einer B-Wire-Lenkung ein Klacks: Wenn das Lenkrad auf Geradeaus steht, die Radsensoren aber einen abweichenden Winkel melden, wird deren Stand kurzerhand korrigiert, der Fahrer bekommt nicht einmal etwas davon mit.