OECD: Hände weg vom Internet!

Mit ihren Vorschlägen zum bevorstehenden ITU-Gipfel haben die europäischen TK-Netzbetreiber nun auch die OECD zum Gegner.

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Von
  • Richard Sietmann

Das Marktmodell der Netzzusammenschaltung im Internet funktioniere ausgezeichnet, es habe einen Schub für Wachstum und Wettbewerb ausgelöst und die Preise der Datenübertragung so dramatisch gesenkt, dass sie inzwischen um einen Faktor 100.000 geringer als die für eine Telefonminute sind. Mit dieser Begründung wendet sich die OECD in einer jetzt veröffentlichten Studie vehement gegen Änderungen an dem bestehenden System des Internet-Verkehrsaustausches unter den Netzbetreibern.

Über solche Änderungen soll Anfang Dezember in Dubai auf der World Conference on International Telecommunications (WCIT) zur Neufassung der International Telecommunication Regulations (ITRs) verhandelt werden, eines Rahmenabkommens über die Netzzusammenschaltung und Verrechnung von Verkehrsleistungen unter dem Dach der International Telecommunication Union (ITU).

Insbesondere der Vorschlag (PDF-Datei) des Verbands der Europäischen TK-Netzbetreiber ETNO ist umstritten, weil er darauf abzielt, mit dem Prinzip "Sending Party Network Pays" (SPNP) das traditionelle Verrechnungssystem der Sprachtelefonie generell auf die IP-Netzzusammenschaltung zu übertragen und in dem ITU-Rahmenabkommen zu fixieren, so dass es dann den Interconnection-Vereinbarungen der einzelnen Betreiber zugrundegelegt werden müsste.

"Die kommerziellen Vereinbarungen, die sich über die vergangenen 20 Jahre herausbildeten, haben einen wirksamen globalen Markt für Konnektivität geschaffen", heißt es dagegen in der Studie des in Paris ansässigen zwischenstaatlichen Think-Tanks zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik unter den 29 führenden Industrieländern. "Der Markt für den Austausch des Internetverkehrs hat weltweit die universale Konnektivität gesichert, die Investitionen für den wachsenden Bedarf bereitgestellt und für ein Umfeld gesorgt, das Innovationen und die Vielfalt unter all den Akteuren im Internet fördert."

Während die nationalen Regulierungsbehörden den klassischen Telefonmarkt verhältnismäßig streng reguliert hätten, um politische Ziele wie die universale Konnektivität und den Wettbewerb zu verwirklichen, habe "der Internetmarkt dieselben Ziele mit sehr wenig regulierender Intervention erreicht, dabei aber im Hinblick auf Preise, Effizienz und Innovation weitaus mehr geleistet als die alten Märkte". In dem Maße, wie der Internetverkehr wuchs und die Zeitmultiplextechniken des Sprachverkehrs an Bedeutung verloren, sei das Internetmodell für den Verkehrsaustausch zum weltweiten Standard geworden.

Die OECD-Untersuchung "Internet Traffic Exchange – Market Develoments and Policy Challenges" der Arbeitsgruppe für die Politik zu Kommunikationsinfrastrukturen und -diensten beruht auf einer Umfrage unter 4331 Internet-Netzbetreibern aus 96 Ländern, die nach Angaben der Autoren 86 Prozent aller Internet Service Provider umfasste. In der Auswertung der Auskünfte zu insgesamt 142.000 Peering-Verträgen zeigte sich, dass eine überwältigende Mehrheit von 99,51 Pozent der IP-Interconnection-Vereinbarungen nicht in Schriftform, sondern allein auf mündlicher Absprache zustande kam. "Die Parteien in diesen Vereinbarungen umfassen nicht nur Internet Backbone, Access und Content Distribution Networks, sondern auch Universitäten, NGOs, Regierungsstellen, Personen, Geschäfte und Unternehmen aller Art – eine Breite der Trägerschaft des Internet, die weit über den Einflussbereich irgend einer Regulierungsinstanz hinausgeht."

Die eingeführten Spielregeln seien so verbreitet und zeigten einen solchen Grad an Übereinstimmung, "wie ihn ein externer Regulierer schwerlich erreichen könnte". In dem sich jetzt zutage tretenden Konflikt zwischen den alten Preis- und Regulierungsmechanismen und dem freien Markt des Internet empfiehlt der OECD-Bericht deshalb, jetzt "einen klaren Trennungsstrich zwischen den beiden Modellen zu ziehen" und sicherzustellen, "dass die Ineffizienzen des herkömmlichen Telefonmarktes nicht auf das Internet übergreifen". (anw)