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Was war. Was wird.

Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie hat keine Schüler: Was krachend scheitert, muss noch lange nicht aus der Welt sein, und Kosten sind nicht immer eine Geldfrage befürchtet Hal Faber, der die ersten Jahresendprognosen wagt.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist ziemlich genau ein Jahr her. Am 12. Dezember 2011 sprach der damalige Bundespräsident Christian Wulff ein paar Takte auf die Mailbox des Journalisten Kai Diekmann. Verhandelt wurde über das höchste deutsche Amt und die Rolle des investigativen Journalismus, während Wulff auf dem Weg zum Emir war und sich Diekmann in einem New Yorker Hotel amüsierte. Wulffs Ausführungen sind heute bereits große Kunst, "Ohne Titel" zwar, aber da wir jetzt den vollen Wortlaut haben, können wir mit Max Liebermann titeln: "Wirre Wunst auf dem Weg zum Emir, in Öl". Ein bisschen O-Ton gefällig, nicht nur die bekannten Snippets vom Rubikon, den keine Person, sondern ein journalistisches Verhalten überschritten hat. Angeblich fehlt unseren Zeiten ein Shakespeare, das Gesprochene in großes Theater zu übersetzen, daher ja da Ölbild zum Genöle:

"Ich habe alles offengelegt, Informationen gegeben, gegen die Zusicherung, dass die nicht verwandt werden. Die werden jetzt indirekt verwandt, das heißt, ich werde auch Strafantrag stellen gegenüber Journalisten morgen und die Anwälte sind beauftragt. Und die Frage ist einfach, ob nicht die Bild-Zeitung akzeptieren kann, wenn das Staatsoberhaupt im Ausland ist, zu warten, bis ich Dienstagabend wiederkomme, also morgen, und dann Mittwoch eine Besprechung zu machen, wo ich mit Herrn ... den Redakteuren und Ihnen, wenn Sie möchten, die Dinge erörtere und dann können wir entscheiden, wie wir die Dinge sehen und dann können wir entscheiden, wie wir den Krieg führen."

Da hat einer also "alles offengelegt" gegenüber Journalisten und möchte darum mit entscheiden, wie der gemeinsame "Krieg" geführt werden kann. Sieht man davon ab, dass wir heute wissen, dass keineswegs alles offengelegt wurde und viele Informationen immer noch nicht auf dem Tisch liegen, bleiben zwei Punkte: 1.) Ein Staatsoberhaupt will mit der Bild-Zeitung Krieg führen, gegen die öffentliche Meinung, mit Informationen, die die Bild-Journalisten nicht verwendet werden dürfen. 2.) Die Arbeit dieser Journalisten ist für das Staatsoberhaupt "Investigativ-Journalismus". Schlimmer kann die Desinformation nicht ausfallen. Ein Jahr später, kurz vor dem Wahlkampf, wird in Deutschland ein völlig überflüssiges Leistungsschutzrecht diskutiert, bei dem die wichtigsten Punkte erst nach der Verabschiedung des Gesetzes von Gerichten festgesetzt werden müssen. Die verzagte Politik reagiert auf die Bild-Zeitung und ihre Kohorten, die da glauben, was Investigativ-Journalismus heute ist, nämlich der eilige Konsum von Snippets bei den Informations-Talibanen: "Viele Leute, die es eilig haben, bleiben auf Google News und landen gar nicht mehr beim Original."

*** Jeder Journalismus hat seine Zeit, das gilt auch für die begleitenden Theorien wie dem etwas klapprigen Baukasten zu einer Theorie der Medien, in dem all die hübschen Desiderate stecken, aus denen am Nicht-Ende (weil es kein Ende mehr gibt) das digitale Gesamtkunstwerk steht. Aber hey, wir haben ja den Baukasten: "Zum ersten Mal in der Geschichte machen die Medien die massenhafte Teilnahme an einem gesellschaftlichen und vergesellschafteten produktiven Prozeß möglich, dessen praktische Mittel sich in der Hand der Massen selbst befinden." Wer immer in der Bahn, an der Haltestelle, im Hörsaal und in der Frühstückspause hinterm Steuer sein Smartphone zückt, hat es verdient, dass wir ein lautes "Quäl dich, du Sau!" zurufen zur Ermunterung im Gesamtkunstwerk. Um die anderen, die sich im Besitz von Produktionsmitteln wähnen und nonchalant die Miethaitrick-Kultur loben, muss man sich keine Sorgen machen. Das Lebbe geht weida, sagen sie in Frankfurt. Aber das schrieb ich schon. Starten wir lieber den lustigen Wettbewerb "Bettelbriefe an den Weihnachtsmann", nach Vorbild der ehrwürdigen Time: Gesucht wird ein ähnlich dramatischer Text, der dem Heise-Leser vor Augen führt, dass das Ende der Welt nahe ist, wenn er nur mit Adblock diese kleine Web-Präsenz in der norddeutschen Tiefebene besucht.

*** Noch eine Wiederholung: Es begann in diesem gauckigen WWWW mit dem Hinweis, dass die ITU in Dubai einen feindlichen Angriff auf das Netz starten wird. Es endete vorerst in einem krachenden Missklang, mit Deutschland als verspätetem Mitnöler. Ist es die Rückkehr des Gilbs, jener Deutschen Bundespost, der Demokratie und Menschenrechte völlig schnuppe waren. Kommen die Zeiten wieder, als der unautorisierte Gebrauch des Mäuseklaviers in Faxgeräten zur Einstellung des Absendernamens flugs mit 250 DM Strafe geahndet wurde? Die Verabschiedung der ITR führt dazu, dass der Rechtfertigung von staatlicher Internet-Regulierung auf nationaler und internationaler Ebene Tür und Tor geöffnet wird. Das Fass ist aufgemacht – das wird uns die nächsten Monate und Jahre sehr intensiv beschäftigen, womit die erste Jahresendprognose vorliegt.

*** Doch halt! Das Jahr ist nicht zu Ende, denn auch bei uns ist wieder einmal deutlich geworden, dass die Wurst zwei gequetschte Seiten hat: Was hier als Kosten beim Zugriff auf TK-Daten bejammert wird, kostet uns die Demokratie. Ich kann im Rahmen dieser kleinen Wochenschau nur auf diesen recht langen Text des Verfassungsschutz-Überläufers Hansjoachim Tiedge verlinken und ihn zur Lektüre empfehlen, obwohl er einige Längen hat. Das bedenkenlose Überwachen des Telefons, die Speicherung und Nicht-Löschung von Daten in NADIS, der allgemeine Hang zur Schnüffelei auch bei nichtigstem Anlass hat eine deutsch-deutsche Tradition, auf die niemand stolz sein kann. Umso trauriger ist es, dass dieser allgemeine deutsche Pannendienst nicht wegreformiert wurde, sondern in aller Scheinheiligkeit weitermachen kann, es gibt ja Bonn und diese furchtbaren Bombenbauanleitungen im Internet. Da ist man schnell bei der Angst, dass Deutschland das Glück verlässt. Immerhin haben wir in ein paar Wochen ein ganz wunderbares Waffenregister und damit die Sicherheit, dass Newtown weitab vom Schuss ist.

*** Wo bleibt das Positive? Wie wäre es mit der Nachricht aus dem Maya-Kalender, dass die Welt am nächsten Freitag untergeht? Oder wie wäre der heutige Geburtstag von Beethoven, einem der Komponisten von Saturday Night Fever. Was ist mit der Folter in diesem Möbelhaus? Ganz unspektakulär hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall des gefolterten Khaled al Masri geurteilt. Bei näherer Betrachtung des Urteils findet sich der Verweis auf Wikileaks und die Veröffentlichung von Cablegate. Ist es ein Verdienst der Cypherpunks von Wikileaks, ist es das 58 Zeichen lange Passwort im Wikileaks-Buch der Guardian-Redakteure, die am Cablegate beteiligt waren? Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie hat keine Schüler.

Was wird

Im kleinen Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene stehen Veränderungen an. Mit einem rund um den Abschiedskuchen improvisiertem Abschiedsblues endet die Arbeit eines Chefredakteurs, dessen Qualität unter anderem darin bestand, dass die Dinge mit ihm mitunter nicht eben einfach zu erörtern waren. Dabei stand er hinter seinen Redakteuren und auch hinter den Zulieferern, den freien Journalisten. Die wutentbrannten Hersteller-Anrufe auf seiner Mailbox schenken wir uns heute, sie sind gelöscht. Das letzte Ständchen gibt Slowhand Clapton.

"Once the rockets are up, who cares where they come down – That's not my department, says Wernher von Braun", so formulierte es Tom Lehrer in seinem Protestsong über die apolitischen Wissenschaftler. Was insofern schon damals nicht unbedingt stimmte, weil die USA die V2-Raketen nach dem Krieg nutzten, um die ersten Bilder von der Erde zu schießen, lange vor der letzten Mondlandung: Irgendjemand musste die stählerne Filmkassette suchen und die Bilder entwickeln. Ähnlich sieht es aus, wenn Not my department in Hamburg startet. Und die Raketen? Interessierte Bastler treffen sich auf der Konferenz mit dem unspektakulären Titel Exceptionally Hard and Soft Meeting 2012. (jk)