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Was war. Was wird.

An diesem Wochenende, da die USA ihre Zivilisation feiern, Europa Sangeskünste vorführt und in Deutschland Meisterschaftsträume ein abruptes Ende fanden, da ist Hal Faber über sein neues Fahrrad froh, ohne das diese Wochenschau nicht erschienen wäre.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Mein neues Fahrrad ist da, hurra. Im Fahrzyklus eines Heise-Journalisten ist ein gutes Fahrrad überlebenswichtig, wenn die Deadline näher rückt und die sorgfältig berechneten Staus den Weg verstopfen. Außerdem lässt sich auf dem Rad das zauberhafte Umland der schönsten Stadt der Welt erkunden: Die norddeutsche Tiefebene ist traumhaft schön. Schweinemast reiht sich an Putenmast, sodass man immer wieder die Luft anhalten muss beim Radeln. Nur in Celle ist das anders, da machen sie in Pferden. Berühmt ist Celle außerdem für sein Celler Loch. Wie üblich, gibt es zur Entstehung des Celler Loches zwei Erklärungsversuche, einmal wissenschaftlich, einmal als Räuberpistole. Da wird dann allen Ernstes behauptet, dass die deutsche Superkampftruppe GSG 9 im Auftrag des Verfassungsschutzes nachts ein Loch in die Gefängnismauer sprengte, um einen Informanten in die RAF-Szene einzuschleusen. Auf einschlägigen Fotos vom Tatort ist zu sehen, dass die Moniereisen unbeschädigt waren, ein sprengtechnischer Pfusch, der allenfalls einer GSG 08/15 würdig wäre. Was nicht sein kann, darf nicht sein und ist es auch nie gewesen, befindet nun der niedersächsische Innenduftexperte Uwe Schünemann. Er will die 244 niedersächsischen Verfassungsschützer direkt dem Innenministerium unterstellen, damit der Präventivstaat in der Tiefebene keine Löcher hat.

*** Mit einer Polizeirazzia hat der gesamtdeutsche Präventivstaat gezeigt, was er drauf hat. Vorerst sind es Pleiten, Pech und Pannen, die eigentlich seit Jahren nicht mehr vorkommen sollten. Angefangen von Gerichten, die das schwachsinnige Argument akzeptierten, die Beschreibung der Angriffe gegen die Weltbank-Tagung anno 1988, die im Buch Autonome in Bewegung abgedruckt ist, sei eine Anstiftung zu Straftaten. Wie damals auf dem Höhepunkt der RAF-Hysterie reicht wieder einmal der Besitz eines Buches aus, eine Hausdurchsuchung zu rechtfertigen. Die Palette der Dummheiten reicht bis zur Gewerkschaft der Polizei, die mit Verweis auf die RAF-Debatte hetzt wie sonst nur eine Zeitung mit vier Buchstaben. Doch alles wird getoppt von einem begnadeten Schauspieler, der mit den Razzien verhindern will, dass Globalisierungsgegner Aufmerksamkeit erregen.

*** Als ähnlich gelungene Heiligendammbruchaktion darf man auch die Teilaktion bewerten, die Server von SO36 zu besuchen und 25 Mail-Postfächer und zwei Mailinglisten mehr oder weniger geschickt zu kopieren. Diese Aktion passierte auf Anordnung des nicht ganz unbekannten Ermittlungsrichters Hebenstreit, dem Kämpfer gegen die Online-Durchsuchungen. Hebenstreit glaubte den Sprengexperten des Verfassungsschutzes, die "signifikante Übereinstimmungen" zwischen dem Buchtext, abgehörten Telefongesprächen und Reden auf linken Tagungen gefunden hatten. So ist die Beschreibung einer Straftat im Sinne des Präventivstaates schon eine Straftat. Bleibt die Frage, was den überwachungsgeilen Beamten im Verfassungsschutz zu Kopf gestiegen ist. Sitzen sie nicht alle auf gut lüftenden Stühlen aus Steifensand?

*** Blühenden Unsinn zu verzapfen, das ist kein Privileg der Staatsorgane. Googelt man diesem panikmachenden Artikel hinterher, so landet man sinnigerweise bei Laufbahnverordnungen der Fernmeldeaufklärer der Bundeswehr. Dass diese Truppe Kryptographie beherrschen muss und die Arbeit mit dem neuen Notes auch in der Kommunikation mit den Tornados, die am Hindukusch für uns die Aufklärung besorgen, das sollte selbstverständlich sein. Auch die Angabe, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter mit Spyware überwachen können, hilft nichts, aber auch gar nichts bei der Erkenntnis, wie die geheimnisvollen Bundestrojaner heimlich ihre Online-Durchsuchung verrichten. Das Einzige, was so gefördert wird, ist die Heroisierung des CCC ausgerechnet durch einen CDU-Mann. Zu hoffen ist, dass die Freiheitsredner ihre Sache besser machen und aufklären, statt Unsinn zu verbreiten. Denn die Schweinerei, die Schäuble & Co vorhaben, ist eine organisierte Kriminalität gegen die Verfassung.

*** In den USA wird an diesem Wochenende gefeiert, weil vor 400 Jahren die Zivilisation an der Küste von Virginia anlandete. Mit dem Jubiläum wird die Indianertochter Pocahontas als Mutter aller Amerikaner gefeiert. Ein Wochenende lang wird man schöne Reden über Integration und die Vorzüge der Demokratie hören, die die Eingeborenen von den Tabakpflanzern vermittelt bekamen. Aber Amerika hat viele Facetten: Vorige Woche berichtete ich von einem Herausgeber, der einen Redakteur gehen ließ, der einen Apple-kritischen Text veröffentlichen wollte. Nun ist dieser Redakteur wieder eingestellt worden. Die unabhängige Presse lebt, auch wenn sie von Firmen wie Apple oder Microsoft nach Kräften gegängelt werden soll. Im Zweifelsfall übernehmen sogar Blogger die Berichterstattung.

*** Von solchen Wechselwirkungen ist Deutschland weit entfernt. "Wenn es das Internet nicht gäbe, wäre solch ein Beitrag niemals erschienen", schreibt ein Kommentator. Nun gibt es das Internet und nun? Beitrag verschwunden, Blog geschlossen und weiter kann es mit dem großen Selbstbetrug gehen, den ein gewisser Kai "Knut" Dieckmann exklusiv veröffentlichen will. Ein schönes Porträt über diesen verdrucksten Mann hält die Netzeitung parat: "Es ist offenbar in Ordnung, über die Gehälter von Ex-Bundeskanzler Schröder zu mutmaßen, es ist beinahe schon obligatorisch sich über das Sexleben von Berühmtheiten auszulassen, aber Spekulationen über Führungskräfte von Zeitungen – Mitglieder derselben Borchardt- und Bocca-di-Bacco-Tischgesellschaft -, die sollen gefälligst ausbleiben." Einige Schweine sind immer gleicher.

Was wird.

Christian Klar ist von Bundespräsident Köhler nicht begnadigt, Ségolène Royal ist nicht gewählt worden. Werder Bremen hat sich aus dem Kampf um die deutschen Meisterschaft verabschiedet. Das extragrüne WWWW muss leider in der Schublade der Leute bleiben, die bei Heise als "Curator of the digital library" arbeiten. Wenn diese kleine Wochenschau erscheint, hat Roger Cicero den Wettbewerb europäischer Meistersinger nicht gewonnen. Ohne beckmesserisch zu sein, kann Swing aus Deutschland es nicht mit der lebendigen osteuropäischen Liedkultur aufnehmen, die uns eine wunderbare Weise nach der anderen bescherte, schräge Auftritte inklusive. Das Wetter.

Das Wetter? Aber nein, wir haben ja auch ein Jubiläum, morgen. Vor 315 Jahren erschien der erste gedruckte Wetterbericht der Welt, in einem Nachrichtenblatt, das sich "Sammlung für den Fortschritt von Landwirtschaft und Handel" nannte. Noch heute ist der Wetterbericht ein Vorbild für den verlässlichen Qualitätsjournalismus, auch wenn das Wetter manchmal nicht mitspielt, der Journalist nicht das schreibt, was sein Publikum neuerdings vorgelesen haben will.

Eine Sturmfront kündigt sich für den deutschen Ärztetag am Mittwoch an, weil die Ärzte mit der elektronischen Gesundheitskarte überhaupt nicht mehr einverstanden sind. Ob es hilft, wenn ab Montag in Berlin Telematik-Spezialisten darüber beraten, was die elektronische Gesundheitskarte eigentlich kostet? Vielleicht wird diese Frage etwas spät gestellt. Vielleicht hilft eine Namensänderung: Nach Hartz und Riester hätte eine "Ulla-Schmidt-Gedächntniskarte" das Zeug zum Knüller oder ein fesches anglistisches Kürzel mit lautmalerischem Bonustrack: "PFH-Card" (Pay for Health).

Vorbildlich gelöst hat man das beim ollen Weltkommunikationstag. Der ist am Donnerstag und nichts Geringeres als der World Information Society Day. Jetzt aber ab aufs Fahrrad, der Heise-Parkplatz wartet! (Hal Faber) / (anw)