Was war. Was wird.
Vorbild sein und Liechtenstein, das geht nicht zusammen. Hal Faber findet Rezepte ohnehin wichtiger als Vorbilder, schließlich ist er dick und nicht Lehrer. Das große Fressen ist angerichtet, während die Kultur mal wieder im bösen Internet verendet.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Es war einmal vor langer Zeit, da regierte der Gute Gert das Land, mit Hilfe von Bild, BAMS und Glotze. Seine Untertanen ließen ihn machen, denn sie hatten ja Vorbilder, die der Gute Gert für sie ausgewählt hatte. Ein jeder werkelte und buckelte in der Hoffnung, auch einmal so vorbildlich wie Heinrich von Pierer, Klaus Zumwinkel und Peter Hartz zu werden. Nicht unbedingt reich wie Bill Gates oder berühmt wie Mister Piggi, aber bekannt, vermögend und eine "ehrliche Haut", wie das der Gute Gert nannte. Das war, ich sagte es, vor langer Zeit. Heute ist der Gute Gert ein sprechendes Gaswerk, heute sind die Vorbilder ramponiert, weil sie Geld im Puff verjubelten, als Schmiere unter die Leute verteilten oder schlicht nach Liechtenstein zum Stiften brachten. Ratlos fragt die Zeitung, in der immer ein kluger Fisch eingewickelt wird, was blos los ist mit den Vorbildern. Dabei ist es ganz einfach: kein Mensch braucht Vorbilder, aber jeder gute Rezepte und gute Musik. Vorbilder können übermächtig sein und ein junges Leben nachhaltig schädigen. Ich zum Beispiel wollte immer Journalist werden, niemals Arzt oder Lehrer - und was wurde ich? Dick.
*** Wir lernen: Rezepte sind wichtiger als Vorbilder. Das zeigt die ach so gesunde, ausgewogene und nährstoffreiche Ernährungsberatung des Berliner SPD-Mannes Thilo Sarrazin, die im letzten WWWW der Auslöser für eine kleine Rezeptsammlung unter den Lesern war. Nun hat Kochen mit Sarrazin sehr schön gezeigt, wie unsinnig die Vorschläge des Berliner Finanzministers sind, fehlerhafte Angaben zur Flüssigkeitsmenge inklusive. Wer den Ekel vor Billigfleisch überwindet und sie streng befolgt, müsste auf lange Sicht verdursten und ist obendrein unterernährt. Da lobe ich mir doch die angetragene leckere Spaghettisoße und selbst die Raucher-Variante hat ihren Charme.
*** Passend zur Sammlung findiger Heise-Leser ist Mahlzeit ans Netz gegangen, eine freie Fotosammlung für freie Bürger, die das Treiben der Kochbuch-Abmahner satt hat. Nun wird der eine oder andere sicher einwenden, dass inmitten der in dieser Woche ausgebrochenen Debatte über "bildungsferne Menschen" eine Menüfolge mit Austern, Taube, Boeuf Bourguignon und Käse unpassend ist, zumal die ganz an Hartz IV Verzweifelten verhungernd und verdurstend aus dem Leben gehen. Aber gutes Essen ist auch ein Widerstand gegen die Manie des artigen Danke Sehr des deutschen Volkes. Doch den Deutschen ist's egal.
*** Nicht ganz so egal kann den Deutschen das Urteil sei, dass in dieser Woche über verschlüsselte E-Mails veröffentlicht wurde. Es steht in der allgemeinen Hysterie über verschlüsselnde Terroristen ziemlich allein da: Das Verschlüsseln alleine ist kein Hinweis auf eine terroristische Vereinigung, selbst wenn verschlüsselte Mails niemals gesendet werden, sondern nur in einem Entwurfsordner bei einem Web-Dienst gespeichert sind. Diese Methode, die die Attentäter vom September 2001 zur Kommunikation benutzten, kann kein Indiz für eine terroristische Vereinigung sein, so die Urteilsbegründung. Knirschen die Strafverfolger mit den Zähnen? Aber nicht doch, sedierte Beamte machen es offenbar anders und fragen schlicht: "Wie is'n Ihre Mailadresse?". Sollte es wirklich eine Standleitung zu den Web-Providern geben, müsste die Volksseele kochen. Das entsprechende Rezept (großer Kessel, Gewürze, Strafverfolger, etwas Öl) wird hier nicht in allen Details veröffentlicht.
*** Der Schritt, mit dem Brockhaus ins Internet zu gehen, und Site an Site mit der Wikipedia um Leser zu konkurrieren, wurde in dieser Woche online wie offline heftig diskutiert. Während die einen sich freuten und schlicht "Willkommen, Cyber-Brockhaus" titelten, wurde anderswo das Ende einer Kultur beschworen. Den einsamen Höhepunkt lieferte wieder einmal eine Münchener Zeitung, die ein seltsames Koch-Rezept hat: Fortlaufend testet sie den Bill-Gates-Faktor ihrer Leser. Fällt er höher aus als 1 Graff, wird der Kettenhund losgelassen und darf loskollern über den Hypertext als heimtückische demütigende Seuche: "Insofern ist der Hypertext des Netzes zugleich der hypertrophe Über-Text. Darin liegt der kognitive Clou einer im Internet geführten Enzyklopädie. Sie demütigt den Suchenden mit der überbordenden Fülle dessen, was er noch wissen könnte, wenn er es denn zu bewältigen vermöchte." Zur Einordnung: Die Zeitung ist mittlerweile bekannt für inhaltlose Bildstrecken mit dümmlichen Kommentaren.
*** Ein Rezept, das gründlich daneben gegangen zu sein schien, mag sich als der Kassenschlager der nächsten Jahre erweisen. In dieser Woche haben wir die berauschende Darstellung von Der Prinz und das Mädchen erlebt, natürlich in Gestalt von Prinz Alwaleed Bin Talal Bin Abdulaziz Alsaud und SCO verkörpert von einer kleinen Person, die jedem Befehl gehorchen muss, ganz gleich, ob er von einer Kommandozeile oder direkt aus Redmond kommt. Natürlich gibt es nach den bisher bekannt gewordenen Details auch die Option, dass Steve "Chuck" Norris und seine Partner (SNCP) abspringen, wenn sie die Details aus dem Koffer gelesen haben. Denn wie der inzwischen von namenlosen Helden transkribierte Text bezeugt, ist die Entfesselung der Untoten im Memorandum (MOU) an eine kleine, aber feine Bedingung geknüpft: "SNCP may terminate this MOU if it is not satisfied with the results of such due diligence examination." Der Prinz schaut also in den Koffer und auf die Codezeilen. Wir greifen derweil zu Shakespeare, am längst vergessenen Tag, als Karate Kid nach Deutschland kam, Zack-Zack!:
Schlimmer als wahres Ăśbel ist erklungen,
Falsch süße Tröstung von Gerüchtes Zungen.
Was wird.
Die Münchener haben es gut, jedenfalls besser als die Hamburger, die mit 42 verschiedenen Stimmelzettelheften kämpfen. Sie können heute bei schönem Wetter die Thermoskanne mit Knoblauch-Tahin-Miso Brühe füllen und sich aufmachen, die Sprengung des Agfa-Hauses zu feiern, das dem "Agfa-Park Giesing" weichen muss. Wo einstmals Kameras gebaut wurden, soll ein adretter Wohnpark hin, komplett mit einem Gedenkstein an das Zeitalter der analogen Fotografie. Die große Polaroid-Party feiern wir dann alle im März.
Irgendwie stimmt es mich traurig, dass es keine Hannoveraner Spezialität in das WWWW-Kochbuch geschafft hat, weder der Maschseekarpfen noch die Lüttje Lage. Andererseits braucht die schönste Stadt der norddeutschen Tiefebene keine Werbung, wenn gerade zwar keine Hochhäuser gesprengt werden, sondern nur die Hotelpreise mit Kawumm explodieren. Ja die CeBIT naht und die IT-Welt hübscht sich auf. Hallen voller Vorbilder warten und Dieter "Superstar" Bohlen und Steve "Developers!" Ballmer kommen auch, wie die guten Blogger von Messe: schnell weg verraten haben. Ja, in unserer schönen Stadt wartet niemand auf Godot.
Das Allerbeste ganz zum Schluss: da haben sich doch die Veranstalter nicht lumpen lassen, und verkünden in ihrem Hausblog, der für schlappe 10.000 Euro von "Consultants" produziert wird, dass nicht nur Kinder und Frauen, sondern auch Blogger auf die Messe dürfen. Richtig gelesen: Blogger! Etwas, das noch einfacher ist als Zubereiten von Labskaus, um wenigstens eine Spezialität aus dem Norden zu nennen. Blogger! Zeigt uns die andere CeBIT! Gebt uns "Impulse". Oder, im Fäule-Ton: "Demütigt den Suchenden mit der überbordenden Fülle dessen, was er noch wissen könnte, wenn er es denn zu bewältigen vermöchte."
Und wer Hannover wirklich so schlimm findet, kann ja nach Brüssel oder Chemnitz fahren – oder vielleicht auch nach Kölle. Da gibt es dann "wässriges Durcheinander" oder "Klitzscher". Oder Kölsch. Schluck. (Hal Faber) /