Erstmals Streik bei Amazon in Deutschland

Die Gewerkschaft Verdi macht ernst. Am Dienstag streiken erstmals Beschäftigte beim Internet-Versandhändler Amazon. Das Unternehmen versichert, dass die Kunden die Folgen nicht zu spüren bekommen. Verdi sieht das anders.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Gitta Keil
  • Jörn Perske
  • dpa

Der Zorn bei den Beschäftigten des Internet-Versandriesen Amazon wächst. Am Dienstag beginnen Hunderte Mitarbeiter mit dem Arbeitskampf. Am größten deutschen Standort in Bad Hersfeld legen bis zum Vormittag nach Gewerkschaftsangaben 600 Beschäftigte die Arbeit nieder, in Leipzig sind es 300. Verdi hatte zu dem Tagesstreik aufgerufen. Wann und wie die Protestaktion vorangetrieben wird, ließ Verdi offen. Auswirkungen für die Kunden würden nicht erwartet, versichert Amazon.

Bereits am frühen Morgen herrscht ein ohrenbetäubender Lärm vor dem großen Versandzentrum von Amazon, das an der Autobahn 4 in Osthessen liegt. Die Streikenden tragen gelbe Westen (Aufschrift: Tarifverträge schützen!), pusten kräftig in Trillerpfeifen und schwenken rot-weiße Fahnen. Es gibt aber auch viele Beschäftigte, die wortlos an ihnen vorbei zur Arbeit gehen. Ähnlich ist das Bild in Leipzig: Trillerpfeifen, laute Musik. Hier wurde vor dem Versandzentrum sogar eine Spur des vielbefahrenen Autobahnzubringers zur A 14 mit städtischer Genehmigung gesperrt.

Amazon ist derzeit der weltgrößte Onlinehändler.

(Bild: dpa, Amazon)

Die Protestler fordern einen Tarifvertrag nach den Konditionen des Einzel- und Versandhandels, was das Unternehmen bisher ablehnt. Amazon orientiert sich an der Bezahlung in der Logistikbranche. Darin liegt der Konflikt. Überwinden lassen wird sich dieser wohl nicht so schnell. Die Positionen sind verhärtet. Es geht schließlich um Grundsätzliches. Und viel Geld. In Bad Hersfeld sind rund 3300 und in Leipzig etwa 2000 Mitarbeiter beschäftigt.

"In den vergangenen Monaten haben wir eine Reihe von informellen Gesprächen mit Verdi geführt. Obgleich wir bereit sind, diese Gespräche fortzusetzen, sehen wir im Moment keine gemeinsame Basis für Verhandlungen", erklärt Amazon. Ein Einzelhandelstarif für Logistikzentren mache "keinen Sinn".

Verdi wertet den Streik bereits am Morgen als vollen Erfolg, glaubt die Betriebsabläufe des Versandriesen empfindlich stören zu können. Der ein oder andere Kunde werde womöglich, seine Bestellung nicht so schnell wie üblich erhalten, meint Verdi-Streikleiter Heiner Reimann in Bad Hersfeld. Die Deutschland-Zentrale in München verweist aber darauf, dass Amazon schließlich acht Logistikzentren mit 9000 Beschäftigten habe. Da lässt sich Arbeit verlagern. "Derzeit erwarten wir keine Auswirkungen auf die Auslieferung an Kunden", sagt eine Amazon-Sprecherin. Nicole Püschel von der Leipziger Streikleitung sieht das anders: "Die Laster stehen Schlange, das deutet ja daraufhin, dass da drinnen nicht alles so rundläuft. Wir wollen unseren Betrieb ja nicht kaputtmachen, wir wollen ein Signal setzen."

Karsten Seilius (34), einer der Streikenden in Bad Hersfeld, glaubt: "Zur Zeit kann Amazon den Streik bestimmt aussitzen. Vor Weihnachten ist die Zeit, in der wegen der vielen Bestellungen ein Streik viel wirkungsvoller wäre."

Sein Kollege Johannes Busch meint hingegen, dass der Ausstand etwas bringt. "Man muss halt mal anfangen. Es ist frustrierend, dass sich in der Chefetage niemand bewegt." Den 55-Jährigen ärgert die ablehnende Haltung des Unternehmens, wenn es um einen Tarifvertrag geht. "Reine Taktik. Die wollen nur Geld sparen. Unsere Arbeit muss aber ordentlich honoriert werden." Seilius stört die Atmosphäre in der Firma: "Es herrscht große Angst bei befristet Beschäftigten, dass Verträge nicht verlängert werden." Er vermisst auch bessere Sozialleistungen.

Auch in Leipzig ist der Unmut groß. 97 Prozent der Verdi-Mitglieder hatten sich für den Streik ausgesprochen. Verdi-Mann Jörg Lauenroth-Mago ist zufrieden, auch wenn der Betrieb bei Amazon weiterläuft. "Wir streiken nur einen Tag, wir wollen der Geschäftsführung sagen: He, wir meinen es ernst." Der beim Wareneingang beschäftigte Steffen Jacob ärgert sich über die starre Haltung des Unternehmens. Es gehe aber nicht nur um Geld. "Es geht auch um unsere Rechte und um eine andere Art des Umgangs mit uns". Ihn wurmt zudem, dass die Leipziger immer noch weniger verdienen als ihre Westkollegen. (mho)