Klimakiller als Rohstoff

Aus schlecht wird gut: Die chemische Industrie hat Kohlendioxid als Wertstoff entdeckt und produziert in Pilotanlagen schon Kunststoffe auf CO2-Basis. Kann das Klimagas das Erdöl wirklich ersetzen?

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Von
  • Uta Deffke
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Aus schlecht wird gut: Die chemische Industrie hat Kohlendioxid als Wertstoff entdeckt und produziert in Pilotanlagen schon Kunststoffe auf CO2-Basis. Kann das Klimagas das Erdöl wirklich ersetzen?

CO2 ist grün. Zumindest in der Leverkusener Pilotanlage von Bayer MaterialScience. In dieser Farbe baumelt es als Schaumstoff-Schriftzug von der Decke, auch die Pilotanlage selbst ist in grünes Licht getaucht – die glänzenden Rohre, die vielen Hebel und Ventile, der große wärmeisolierte Stahltopf. Hierein strömt das ungeliebte Klimakiller-Gas CO2, das – verflüssigt in Druckflaschen – draußen vor dem Gebäude lagert. Zusammen mit einem anderen Stoff, einem speziellen Katalysator, Wärme und Druck wird es hier nach ausgeklügelter Rezeptur in etwas Sinnvolles verwandelt: Polyole – Ausgangsstoffe für die Herstellung von Polyurethan, jenem Schaumstoff, aus dem das grün baumelnde CO2 geschnitten ist.

Seit knapp anderthalb Jahren wird hier die Polyolproduktion aus Kohlendioxid im Kilogramm-Maßstab erprobt. Sehr erfolgreich, wie Projektleiter Christoph Gürtler versichert. Die zähe, durchsichtige Flüssigkeit wird in Behälter abgefüllt und ein paar Hundert Meter weiter in einer zweiten Anlage zu Polyurethan-Schaum verarbeitet. Aus ihm bestehen beispielsweise Matratzen oder das Innere von Skischuhen. "In diesem Schaum ist das CO2 chemisch gefangen. Es kommt nicht wieder raus, das haben wir in umfangreichen Tests gezeigt", betont Gürtler.

Dream Production heißt das Projekt, an dem – vom Bundesforschungsministerium gefördert – neben Bayer auch die RWTH Aachen und der Energieversorger RWE beteiligt sind. Und es klingt tatsächlich wie ein Traum: Aus dem gefürchteten Treibhausgas soll ein nützlicher Rohstoff für die Produktion von Chemikalien, Kunststoffen und Kraftstoffen werden. Weil er nicht mehr in die Luft gepustet wird, soll die Methode sogar dem Klima zugute kommen. Wenn alles gut geht, will Bayer ab 2015 die ersten neuen Schaumstoff-Produkte auf den Markt bringen.

Die Idee ist bestechend, schließlich werden jährlich weltweit 35 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen. Tendenz steigend. Die Folgen: Der Planet heizt sich auf, die Polkappen schmelzen, Meeresspiegel steigen an. Während sich die Politik von einer erfolglosen Klimakonferenz zur nächsten hangelt, machen sich Ingenieure und Chemiker Gedanken darüber, wie man das ungeliebte Gas nutzen kann. Schließlich steckt in Kohlendioxid Kohlenstoff, die Basis für große Teile der modernen Chemie.

Bisher holt sich die Branche den Kohlenstoff aus dem Erdöl. Etwa zehn Prozent der weltweiten Förderung fließen in die Chemieindustrie, die aus den Kohlenwasserstoffen die meisten ihrer Produkte herstellt – darunter Plastik und Medikamente. Während Öl immer teurer und langsam knapper wird, ist vom CO2 zu viel vorhanden. Unter anderem dank der für CCS (Carbon Capture and Storage) entwickelten Abtrenntechnologien ist es zudem vergleichsweise günstig zu haben. So wird CCS zu CCU – Carbon Capture and Use. Das abgetrennte Gas soll nicht unter die Erde gepresst, sondern genutzt werden. Die Bayer-Chemiker bekommen ihren Rohstoff beispielsweise aus dem nahegelegenen Braunkohlekraftwerk Niederaußem, das der Projektpartner und Energieversorger RWE betreibt. Dort steht auch eine Pilotanlage zur Aminwäsche. Mit diesem Verfahren wird Kohlendioxid aus dem Rauchgas gefiltert, indem es zunächst an flüssige Amine – Stickstoffverbindungen – bindet, von denen es später wieder getrennt wird. Auf diese Weise gelingt es, dem Rauchgas etwa 90 Prozent CO2 zu entziehen.

Zahlreiche Unternehmen und Labore weltweit forschen an diversen Abscheideverfahren – je nach Art des Abgasstroms und je nach benötigtem Reinheitsgrad des CO2. Die Aminwäsche ist dabei das am weitesten fortgeschrittene Verfahren. Mit ihm lassen sich zudem Kraftwerke vergleichsweise einfach nachrüsten. Allerdings hat es gewichtige Nachteile: Die Aminwäsche ist energieaufwendig und vermindert den Wirkungsgrad des Kraftwerks um etwa zehn Prozent. Wie bei allen derartigen Verfahren sind die Produktionsstandorte räumlich an Kohlekraftwerke gekettet – will man kein Pipeline-Netz für das benötigte Kohlendioxid aufbauen. Einige Pilotprojekte versuchen zwar, CO2 direkt aus der Luft zu gewinnen. Die derzeitigen Verfahren sind jedoch noch teuer und ineffizient. Ein weiterer Nachteil der Aminwäsche: Trotz Kreislaufführung gelangen Amine in die Atmosphäre, wo sie krebserregende Nitramine und klimaschädliches Ozon und Aerosole bilden. In welchem Ausmaß dies geschieht und welche Auswirkungen das regional und global haben kann, wird zurzeit intensiv untersucht, unter anderem von Forschern am Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS).

Die Idee, CO2 industriell zu nutzen, ist eigentlich nicht neu. Es steckt in der Kohlensäure von Limonaden, es hält Kühlschränke kalt, aus ihm entsteht Harnstoff zur Düngerherstellung. Sogar Aspirin, der Dauerschlager unter den Arzneimitteln, wird mithilfe von Kohlendioxid hergestellt. Die so verbrauchten Mengen sind mit jährlich 130 Millionen Tonnen weltweit allerdings marginal. Doch das soll sich ändern. Vorbild ist die Natur: Mittels Photosynthese gewinnen Pflanzen aus Kohlendioxid und Wasser unter Einwirkung von Sonnenlicht Kohlenhydrate. So träumen nicht wenige bereits von einer regelrechten CO2-basierten Wirtschaft.