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Was war. Was wird.

Wenn die Wiedereinführung des Start-Knopfs das meistdiskutierte Thema der Woche ist, wozu braucht es dann Informatik, fragt sich Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wir leben in großen Zeiten. Der Mond ist erorbert, der Mars ist durchsucht, die Fichte ist durchleuchtet und Omega-3 ist verwurstet. Am Tag der Milch könnte man allenfalls beklagen, dass es für den Latteschaum noch Kühe braucht. Alles ist entdeckt, erforscht und ergoogelt. Alles? Alles: "Die digitale Revolution ist abgeschlossen – jetzt leben wir im digitalen Zeitalter", tönt es aus Hamburg, wo der Informatik-Unterricht gedrosselt wird wie eine Telekom-Leitung. Wozu noch Informatik lernen und an Algorithmen basteln, das können diese Computer doch viel besser. Lasst uns lieber unbeschwert im digitalen Zeitalter leben und fröhlich den Start-Knopf drücken, klicken oder sonstwie betouchen: Wenn seine Wiedereinführung das meistdiskutierte Thema der Woche unter den geschätzten Fachlesern ist, wozu braucht es dann Informatik? Und wozu braucht es in dieser sinnlosen Informatik Normen, Protokolle und Standards? Lasst uns lieber einfach klicken und dieses Netz im digitalen Zeitalter benutzen, statt dröge Fragen zu stellen nach der "drögen Observanz von Protokollen, die von den pickligen Jünglingen der Netz-Pubertät noch über RFC, Request for Comments, auf dem schüchternsten aller Wege zu Stande kamen".

*** Auf die Frage, ob Elbinformatik nicht wichtiger als die Elbphilharmonie ist, könnte die Antwort freilich lauten, wozu braucht es die Elbe und was soll dieses Provinzkaff Hamburg sein, in dem man Informatik abstuft? Eine Stadt, in der Zeitungen mit wirren Artikeln wie "Das Leben: Ein Film" gedruckt werden, die die neue Überwachungsbox von Microsoft, Googles Glasses und die private Spielzeugdrohne zu einem düsteren Bild des Lebens im digitalen Zeitalter zusammensetzen. Artikel, die nach der Einforderung einer EU-Verordnung gegen Überwachung im Stil der wunderbaren neuen Grenzkrontrollen so enden: "Aber Luftgewehre sind auch keine Lösung". Nein? Ja, muss man da zu stärkeren Waffen greifen, gar Sprengtechnik als Schulfach anstelle von Physik und Chemie einführen?

*** Dann lieber Berlin, mitsamt einer tageszeitung, die zum Internet mit "Die Überwachung lieben" das psychologische Gegenstück liefert: Gott tanzt da den Lacancan, wenn das Netz der Große Andere ist und die Schwarmintelligenz Gott, verkörpert in dem Belohnungs- und Bestrafungssystem von eBay. "Besonders die ethische Entscheidung verliert ihren Wert, wenn sie lediglich vor dem anonymen Blick des Schwarms bestehen soll, dem die jeweils individuelle Qualität der ihn bildenden Einzelnen abgeht." Uff, mein lieber Scholli, dabei sind wir doch so wenige Einzelne. Wir schalten zurück zur obig zitierten Konferenz über Internet-Standards: "Wo, bitteschön, scheint denn eine neue Anarchie auf, die alle diese verknöcherten Regularien, wenigstens für kurze Zeit, zum Teufel schickte?"

*** War da nicht Früher (TM) alles besser, als der Große Andere noch schlicht der "kapitalistische Staatsapparat" oder der siegreiche "Arbeiter- und Bauernstaat" der Düffeldoffels war? Abseits aller Protokolle und Standards muss die Frage gestellt werden, welche Rolle der Staat spielt, nicht nur dann, wenn er wie in Hamburg den Informatik-Unterricht in seinen Schulen zurückfahren will. Müssen sich Bund und Länder nicht darauf beschränken, die eigene IT-Infrastruktur mit Schnittstellen den Bürgern zur Verfügung zu stellen und damit basta? Oder braucht es den fürsorglichen Versorgungsstaat, der uns mit dem elektronischen Personalausweis eine komplette IT-Infrastuktur zum Nachweis der e-Identität zur Verfügung stellt? Hat dieser Staat dann eine Verantwortung für das Funktionieren der öffentlichen IT, für offene Daten, für den Zugang aller Bürger zum Internet und für die Gewährleistung der Netzneutralität? Momentan sieht es so aus, als ob dieser unser Staat im digitalen Zeitalter zum Nachtwächter-Staat zurückgedreht werden soll, mit aller Informationsgefangenschaft brenzliger Tabuworte.

*** Noch kann es anders werden, etwa bei der salafistischen Vorratsdatenspeicherung für alle, die unermüdlich von Bundesinnenminister Friedrich gefordert wird: Da könnte sich das reiche Deutschland doch einfach großzügig zeigen und die demnächst anstehenden Strafzahlungen übernehmen, die in Schweden nach FDP-Berechnungen ungefähr 6 Eurocent pro Bürger ausmachen. Das für eine "nicht hilfreiche" Maßnahme, die zumindest in Dänemark ganz anders eingeordnet wird als hierzulande, wo sie noch undurchführbar, eben "uigennemførlig" ist. Wie man bei der SPD rechnet, dürften wir bald von der designierten Internet-Ministerin Gesche Joost erfahren. Die CDU dürfte bis zur Wahl schweigen und seufzen: Wäre Thomas de Maizière doch einfach Innenminister geblieben.

*** So hat die Regierungskoalition jetzt einen Verteidigungsminister, der völlig sinnlose Kampfdrohnen befürwortet und von einer Aufklärungsdrohne abgeschossen wird. Die CD, die de Maizière den Bundestagsfraktionen "per Boten" zukommen ließ, offenbart ein derartiges Chaos, dass in Politikerbüros tagelang Drucker gequält wurden: Am Bildschirm ging wohl der Überblick verloren. Angefangen mit dem Entwicklungsauftrag von 2007 bis hin zu allen Zusatzvereinbarungen und Streichungen blieb eine Klausel erhalten und unbeachtet, die die Unterauftragnehmer zur Musterprüfung der Drohne verpflichtet. Auf dieser Klausel aufbauend verlangen die Parlamentarier Regress. Pikantes Detail am Rande: Im Entwicklungsvertrag steht nicht nur, dass eine vollständige Dokumentation der Hardware des Düsen-Motorseglers überreicht, sondern auch, dass sämtliche Software im Quellcode zur Verfügung gestellt werden muss. Diese Passage wurde von den US-Regierungsbeauftragten offenbar ersatzlos gestrichen. Wenn es nun tatsächlich zum Regress kommt, darf man auf die Prüfung des in Deutschland entwickelten SIGINT-Moduls gespannt sein, die der US-Regierung laut Entwicklungsvertrag zusteht. So lustig das gemeinsame Drohnenfliegen etwa über Afrika auch ist: Verstehen Sie Spaß ist ein Unterhaltungsprogramm, kein Verteidigungsprojekt.

*** In Istanbul ist der Polizei offenbar das Tränengas ausgegangen, anders kann der plötzliche Stopp des Einsatzes nicht erklärt werden. Wer Ironie finden will, sollte die Stellungnahme der syrischen Regierung von seinem Browser übersetzen lassen, die den brutalen Einsatz der Polizei kritisiert. Interessant ist, dass die besten Informationen über soziale Netzwerke fließen und von unseren türkischen Mitbürgern weitergereicht werden. Dass die schwer verfeindeten Fußballfans aller drei Großvereine in Istanbul gemeinsam agieren, hat die Welt auch noch nicht erlebt. Gestörte Mobilfunknetze und die Verteilung von analogen Internet-Einwahlnummern zeigen, dass der asynchrone Konflikt noch lange nicht ausgestanden ist.

Was wird.

Eine wichtige Ergänzung zur vorigen Wochenschau mit Major Tom geht weit zurück und soll doch in die Zukunft zeigen. Da schrieb eine Leserin: "Als die Grünen 1983 das erste Mal in den Bundestag einzogen, hat die Basis noch den Versuch unternommen sie zu kontrollieren. Es gab ständige Sitzungen des Bundeshauptausschusses in Bonn und begrüßt wurden die Bundestagsabgeordneten immer mit diesem Song." Nun, genutzt hat es nicht viel. Das Rotationsprinzip ist längst geshreddert, die grüne Basis darf sich bei Facebook tummeln. Die Grünen sind eine etablierte Partei geworden, zum Rückzug von Monsanto gibt es keine Erklärung. Die kommt von der Piratenpartei, sieht aber anders aus: Alles Augenwischerei, Leute, es geht munter weiter, dann halt mit BASF. Monsanto hat übrigens historische Verdienste: Die Firma versuchte einstmals vor Gericht, eine genkritische deutsche Mailingliste wegen eines Demonstrationsaufrufes schließen zu lassen und ließ darum ihre PR-Berater als Mitglieder die Liste subskribieren. Monsanto verlor den Prozess, weil die Mailingliste unmoderiert war. Der Verwalter der Mailingliste, der in den Ruin geklagt werden sollte, kam mit heiler Haut davon.

Wie wäre es denn, wenn Space Oddity in Zukunft allen frei drehenden Politikern vorgespielt wird? Ein erstes Playback könnte am 7. Juni erfolgen, wenn der Bundesrat über ein E-Government-Gesetz abstimmt, das der Bundesdatenschützer als ziemlich mangelhaft eingeschätzt hat. Pille einwerfen, Helm auf und ab geht die Post, ähem De-Mail, wird das wie gewünscht durchgezogen? (anw)