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Was war. Was wird.

Der Blick auf das Ende ist ein nüchterner, nicht nur, weil auch Mickey Spillane immer so begann. Und er ist ein trauriger, gerade in dieser Woche, im Angesicht des Messeschnellwegs, seufzt Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Ich schüttelte den Regen von meinem Hut und trat ein. Niemand sagte ein Wort."

Was lässt sich über eine Woche sagen, in der Gary Gygax und Joe Weizenbaum gestorben sind? Zwei Männer, die es liebten, Witze zu erzählen. Der Christ, der Greyhawk, Dragonlance und Planescape geschaffen hat, und der Jude, der mit Eliza das größte Fopp-Programm schrieb und der in der Wall of Fame bei den Computer-Philosophen geführt wird, zusammen mit Max Bense, Gotthard Günther und Herbert Marshall McLuhan. Ohne Gary Gygax würden wir heute nicht von "Dungeons & Dragons" oder D&D sprechen. Und wer in Digitalien schon unterwegs war, bevor das Web die Kommunikation verhunzte, wird sich an den "Dialog"-Befehl des Geonet-Standards vieler deutscher Mailboxen erinnern, der eine Hommage an Weizenbaums Eliza war. Der Herr der Trolle und der Kritiker der Trolle aus der KI-Abteilung werden fehlen in einer phantasielosen Branche, die zunehmend verkümmert. Als die traurigen Nachrichten zur CeBIT kamen, starrte ich auf den Messeschnellweg.

"Niemand ging über die Brücke in so einer einsamen Nacht wie dieser. Der Regen hing fast wie Nebel in der Luft, es war ein kalter, grauer Vorhang, der mich von den blassen Schemen der Gesichter absperrte, die hinter den beschlagenen Fenstern der vorbeizischenden Autos zu sehen waren."

*** Am Geburtstag von Mickey Spillane ist der Blick auf das Ende, mit dem Spillane immer begann, ein ganz besonders nüchterner. Das betrifft nicht nur das Ende der Maßnahme A, der Maßnahme R und der Maßnahme SCH, die Einwohner der schönen Stadt Hannover ertrugen, solange viel Verkehr war. Die jeweilige Umpolung einer Fahrspur ist mit dieser CeBIT an ihrem Ende angekommen, meint die Verkehrsleitzentrale. Wo keine Leitmesse mehr, da ist auch keine Leitzentrale nötig. Ausgerechnet die Uralt-These von Nicholas Carr, dass IT nicht wichtig ist, hat eine Antwort bekommen: Die IT muss sich anpassen und nicht länger uralte Richtlinien erlassen, die niemanden helfen. Wer selbst sein Gerät, sein Mobiltelefon und seine Software innerhalb gesetzter Grenzen anschaffen kann, braucht keine großen Messen mehr, auf denen die Einkäufer von Firmen gehätschelt werden.

*** Man mag es den Niedergang der IT-Kultur nennen. Es waren eben ganz andere Messen, als die Monstren von Univac und Cray oder die Minis von DEC ausgestellt waren. Sie gingen über 10 Tage, zwei Sonntage und den 1. Mai inklusive, worüber sich niemand beschwerte. Was wird von der CeBIT 2008 in Erinnerung bleiben? Am ehesten wohl der Auftritt der Bundesdruckerei mit heißen Hostessen in erstklassiger Robert Palmer-Ästhetik, komplett mit der Message: Wer die sicheren Pässe dieser Firma nicht mag, ist entweder verklemmt, Hinterwäldler oder eine Frauenrechtlerin wie Dagmar Metzger. Perfekt zu den roten Frauen passend die unschuldigen, ganz in Weiß gekleideten Mädchen und Jungen in Balthus-Ästhetik, mit denen Asus für seinen EeePC Werbung machte, der langsam auf ordentliche Werte kommt, mit denen Linux für Jedermann akzeptabel wird.

*** "Seid ehrlich, Leute. Die Leute essen nun einmal mehr Erdnüsse als Kaviar." Ein hübscher Satz von Mickey Spillane, gerichtet an die Literaturkritiker, die seine Bücher verrissen. Sechs von diesen Büchern landeten in der Liste der absoluten Top-Bestseller des vergangenen Jahrhunderts. Ich könnte vermelden, dass heute Vita Sackville-Est geboren wurde oder dass heute anno 1913 ihre Liebhaberin Virginia Woolf ihren ersten Roman veröffentlichte, aber Wayne, Wayne? Die feinsinnigen Reflexionen von Philip Marlowe oder die spöttischen Bemerkungen von Sam Spade müssen sich schon mit Mike Hammer messen, wenn er einer strippenden Psychologin die Eingeweide wegschießt. Den bemerkenswertesten CeBIT-Auftritt hatte darum der erklärte Spillane-Fan Steve Ballmer, der sich in Hannover als Hündchen präsentierte und erst in Las Vegas auf der Mix 08 den Chihuahua rausließ, komplett mit Bellen und dem Monkey Dance. Wer sich die ganze Stunde anschaut, wird neben der Nachfrage eines c't-Mitarbeiters die Erkenntnis mitnehmen, dass Apple-Evangelisten Weicheier sind, genauso dünn besaitet wie ihre Rechner. Ansonsten gilt, Erdnüsse rausholen, nach Möglichkeit eine Dose Miller-Light (das ist hart an der Grenze des Zumutbaren, ich weiß, aber Spillane kennt keine Gnade) und dann: Web-Developers, Web-Delopers ... Den Knaller lieferte in Las Vegas offenbar der nicht ganz unbekannte Web-Developer Miguel de Icaza von Novell ab, dem es im Rudel mit Chihuahua Ballmer unwohl ist.

*** Doch bleiben wir im schönen Hannover, wo es zum Frauentag richtig rappelte im Gebälk. Unzumutbar war die Messe, was die wirklich heißen Themen anbelangt, die in Deutschland eine Rolle spielen. Damit ist weder der Ablacher GreenIT noch die Sadomaso-Geschichte der Yps gemeint, die mit sozialdemokratischen Urzeitkrebsen eine moderne Koalition bilden wollte (und nun wohl doch wieder will, oder nicht, oder doch, oder nicht, oder doch, ach, verkackt ...). Bleiben wir nur bei heißen Themen wie der Online-Durchsuchung oder der elektronischen Gesundheitskarte. Zwei Projekte stellten sich mit der Behauptung vor, dass ihre Software jedwede Online-Attacke eines Trojaners in die Irre laufen lässt. Der patentierte Lock-Keeper des Hasso-Plattner-Institutes und der israelische USB-Stick von Yoggie. Man mag es glauben oder auch nicht: Beide Lösungen sind proprietär und erlauben keinen Blick auf die internen Konzepte. Man mag es glauben oder nicht und sich solange mit den bekannt gewordenen Sicherheitslücken von Firewire beschäftigen, über die das BKA in Rechnersysteme einsteigen könnte.

*** Auf den CeBIT-Rundgang der derzeit amtierenden Kanzlerin (nein, nicht Ayse Sergül) hat unser Bundesdatenschützer reagiert. Aktiv hat er außerdem die Weitergabe von Daten durch zwei IKK an eine private Krankenversicherung protestiert. Wenn es stimmen sollte, rollt eine Art Nordlichter-Liechtenstein auf das deutsche Gesundheitswesen zu. Dagegen verblassen die verschwurbelten Raunereien de Bundesärztekammer zur Datensicherheit von Patientenakten wie auch die triumphalen Meldungen einer Krankenkasse, die angeblich zwanzig Kärtlein online testen will. Wer schließlich der großen Ankündigung der Firma Sagem Orga folgte, alle Komponenten des kommenden Gesundheitssystems zu zeigen, stieß schließlich auf einen winzigen Stand in Halle 9, viel kleiner als der, auf dem Familie Zhou aus Shenzen in Halle 20 Märchen-erzählende Teddybären verkaufte – für Eltern, denen die Zeit fürs Vorlesen einer Gute-Nacht-Geschichte einfach fehlt. Sie sollen sich die entsprechenden eBooks via Handy kaufen und dann per Bluetooth in den Bären pfropfen. Heraus kommen ähnliche Märchen wie das von der guten Gesundheitskarte.

Was wird.

Im dicksten Weihnachtstrubel gingen wir über den Alexanderplatz. Wer nicht mit Kreuzereien vorbelastet ist, hat da Vorteile. Doch im Gourmet-Kaufhof musste es dann doch ein Kreuz sein, ein Kreuz auf einer roten Flasche mit Schweizer Wodka von einem Scheiter Sonderstand, die Joe für den Abend kaufte. Wenn die Russen die Schweizer Skiorte kaufen, so nehmen sich die Schweizer halt den Wodka. "Weißt du eigentlich, was unser wirkliches Unglück ist?", fragte Joe Weizenbaum. "Es ist dieser pfuscherhafte, dieser unpräsize Umgang mit der Sprache. Immer und überall. Schau dich hier einmal auf dem Alexanderplatz um. Alle reden von Wiedervereinigung. Dabei war es vielleicht mehr ein Anschluss." Denn Wiedervereinigung, das war und ist bis heute der offizielle Begriff der Nationalsozialisten für das Andocken von Österreich ans Reich. Lieber Joe, du wirst uns allen fehlen, auch wenn viele das Erbe weiter tragen wollen.

Zum Schluss hat wieder Mickey Spillane das Wort, der Mann, der mit den sexistischen Umschlägen seiner Taschenbücher den lebenslangen Intimfeind Hemingway überholte. Mit Mike Hammer, der einer Frau die Eingeweide wegschoss.

"Wie k-konntest du nur?", hauchte sie. Ich hatte wenig Zeit, nicht zu einer Leiche zu sprechen, aber ich schaffte es. "Es war leicht." (Hal Faber) / (jk)