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Was war. Was wird.

Du musst dein Leben ändern! Ach, was der Poet so leichthin in die Runde wirft, ist in der Realität ein gar schwierig Unterfangen, befürchtet Hal Faber. Vor allem, wenn Transparenz von manchen Leute auf ganz eigene Art verstanden wird.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern!" Nein, das ist nicht der Philoschnauzer Sloterdijk, sondern der Poet Rilke, und es ist bestens passend für diese Zeiten, in denen Prism und Tempora, Stellar Wind und Catide die Nachrichten dominieren. Du musst dein Leben ändern! Das gilt auch für den Super-Journalisten, der jetzt anfangen soll, das größte News-Portal Deutschlands zu füllen. Unter 30, zwei Jahre Personalführungserfahrung, fünf Jahre Erfahrung als Editor, eigener erfolgreicher Blog – das unternehmerische Selbst der Dotcomblasentage feiert fröhlich seine Wiederauferstehung. Du musst dein Leben ändern! Aber wie macht man das, wenn alles überwacht wird und die Anleitung zum Widerstand beschämend schlicht zum Verschlüsseln verkündet, dass der Schlüsseltausch "minimal komplizierter als die Bestätigung einer Facebook-Freundschaft" sei. Wer es so einfach schildert, hat sicher noch nie vom Man in the Middle gehört.

*** Nein, es ist nicht so einfach wie der Umgang mit Facebook-Freunden, wenn man sein digitales Leben wirklich ändern will. Aber es gibt viele brauchbare Anleitungen und ergänzende Hinweise für den ersten wichtigen Schritt. Wer sein Leben auf diese Weise minimal ändert, bekommt eine neue, ethische Identität für ein geglücktes Leben oder mindestens eine dicke Haut vor all den Mitlesern und gläsernen Faserfreunden – und zieht im besten Fall eine ganze Freundeskohorte mit. Gut, es ist erst der Anfang und bedarf der kontinuierlichen Pflege von alten und neuen Schlüsseln. Fortgeschrittene können gleich bei Social Media weitermachen, in dem Wissen, dass in allen Ländern derzeit vergleichbare Socmint-Einheiten aufgebaut werden, nicht nur in Großbritannien. Und wer ändert sich nicht, wer wird sich nicht im Leben ändern, geschweige denn sein Leben selbst ändern? Politiker. Die aktuelle Stunde mit den Zuhörern vor den Überwachungsgeräten kurz vor den Sommerferien im ziemlich leeren Bundestag war im Kanzlerinnensprech einfach nur "abstoßend" in der Demonstration parteiübergreifender Ignoranz. Da hat eine kluge Köpfin schon recht: "Wie aber soll sich eine Gesellschaft überhaupt eine Meinung bilden, wie weit die Rechte der Geheimdienste gehen dürfen, wenn nicht mal eine rudimentäre nachgelagerte Kontrolle möglich ist?"

*** Wir sind ja alle sooo empört über die schlimmen Dienste, nur nicht über unseren Bundesnachrichtendienst, der mangels ordentlicher Rechenzentren, "Mails, die auf .de enden" niemals nicht speichert, nur höchstens mal ausdruckt und einen gelben Strich am Rande macht. Einen roten Strich hat Reporter ohne Grenzen gezogen und an Ecuador appelliert, die Pressefreiheit im eigenen Land nicht bei all dem Whistleblower-Schutz zu vergessen. Julian Assange dreht mit dem ihm eigenen Größenwahn seine eigenen Runden in dieser Geschichte. Ob der von seinem Buddy Fidel Narváez Narváez ausgestellte und persönlich nach Russland geflogene Safepass überhaupt eine international anerkannte rechtliche Urkunde ist, wird derzeit debattiert. Anfragen zur Authenzität stehen derzeit noch aus. Einen Assange, der Ecuador direkt Ratschläge der Art erteilt, einen englischen Pressesprecher zu beschäftigen, kümmert das alles nicht. Er ist wieder im Geschäft, ist virtuell obenauf – und hatte er es nicht gesagt, in Cypherpunks? Am Ende bleibt bei aller Empörung nur die kleine gewitzte Ratte übrig, die nach den großen Reden auftaucht und sich hemmungslos am Büffet vollfrisst.

*** Derweil läuft der Prozess gegen Bradley Manning, auch wenn er wieder einmal ausgesetzt wird, bis zum 8. Juli. Die beste Aussage bisher: Es gab keinerlei Einschränkungen für die Intel-Analysten, die im SIPRnet nach Lust und Laune surfen durften. Erst nachdem Manning verhaftet wurde, wurden Regeln aufgestellt und Zugriffsrechte ausdifferenziert. Ja, manchmal ändern sie die Regeln, und dann ist schnell der urböse Inhalt gesperrt, aus hygienischen Gründen wie beim Guardian.

*** Manchmal ändern andere das Leben, wie es seit Urzeiten existiert, ganz ohne Shitstorm. Die Ziehung der Lottozahlen wandert ab ins Internet, weil sie ohnehin nur noch auf dem iPad verfolgt wird, während auf dem Hauptscreen das Deutschlandlied der irischen Banker gespielt wird: Lotter live! Im pöhsen Netz längst angekommen sind die Mitfahrzentralen, vor denen jetzt das Bundeskriminalamt warnt. Schnell ist man Schleuser oder Terroristenchaffeur, und eine ordentliche Kontrolle durch die Mautbrücken der LKW-Maut gibt es auch nicht. Soviel ändert sich, damit alles beim alten bleibt und BKA-Chef Ziercke jammern kann:""In bestimmten Einzelfällen wäre es angemessen, diese Daten zu nutzen. Dafür müssten die Gesetze geändert werden." Bestimmte Ausnahmen bei schweren Straftaten? Aber nicht doch! In Zukunft reicht ein vager Anfangsverdacht bei der Raserkontrolle, damit das Smartphone beschlagnahmt werden kann zwecks Durchsuchung, ob eine Blitzer-App installiert ist. Wer sich an die Geschwindigkeit hält, ist verdächtig. Nun brauchen wir nur noch vergleichbare Anfangsverdächtigungen für Fahrradfahrer und Fußgänger. Wer bei Rot an der Ampel zuckt, wer keinen Helm trägt, dem darf ganz schnell das Smartphone abgenommen und analysiert werden.

Was wird.

Mit Ach und Krach hat es der Bundestag in die Sommerferien gebracht und uns unter anderem ein Anti-Abzock-Gesetz beschert. Schnell ist auch der Untersuchungsausschuss zum Euro Hawk in die Puschen gekommen, aber das nur, weil die Sommerzeit in diesem Jahr die schönste Wahlkampfzeit ist und jede Partei beim Euro Hawk mit Dreck werfen kann. So gibt es bald nicht nur das Sommerrätsel in dieser Wochenschau, sondern eine Kirmes ganz besonderer Art, mit 19 Spassvögeln und der Erkenntnis zum Schluss, dass eine Fähigkeitslücke der Bundeswehr mit einem großen Batzen Unfähigkeit gefüllt wurde. Das gilt nicht nur für die Beschaffer, sondern auch für den Auftragnehmer, wenn EADS-Chef Thomas Enders in der tageszeitung blühenden Unsinn erzählt: "Es braucht vielleicht 15 Minuten und dann ist man auf 45.000 Fuß (13,7 Kilometer). Anschließend fliegen sie auf einer Höhe von 60.000 bis 65.000 Fuß nach Afghanistan. Sie belästigen niemand. Warum in aller Welt ist das in Deutschland nicht möglich?" Das ist nirgendwo auf der Welt möglich, weil der Euro Hawk als eine Art Motorsegler 37 Minuten braucht, um die besagte Flughöhe zu erreichen. Dass die Drohne nach Afghanistan fliegen soll und keine Überfluggenehmigungen braucht, ist zusätzlicher Sommer-Quatsch.

Ein schönes Sommerwahlquatschthema wird auch die PKW-Maut bieten, die die CSU um jeden Preis haben will, bekanntlich nur für Ausländer. Das anders als bei den LKW die ausländischen PKW abgesehen von der Warschauer Allee mit einem Anteil von 5 Prozent vernachlässigt werden können, kratzt niemand. Damit die PKW-Maut kommt, müssen alle, alle zahlen, doch dann gibt es für echte deutsche Autos entsprechende Nachlässe bei der KFZ-Steuer. Versprochen. Wann genau diese Nachlässe kommen, kann niemand sagen, höchstens singen, wie diese irischen Banker, die beim Wort Rückzahlung so kerlig lachten.

Rechtzeitig zum großen Sommerfest hat ein deutsches Gericht sich mit dem Urheberrechtsschutz für Pornos befasst. Ihnen fehlt es als eine Art Nummern-Revue an der nötigen Schöpfungshöhe, weil sie primitiv umgesetzt sind. Im Vorfeld des kommenden Leistungsschutzrechtes ist das ein apartes Urteil in Hinblick auf primitiv umgesetzte Texte. Und wie wäre es, die saudummen Klickstrecken im Internet ähnlich zu bewerten? (jk)