Klartext: Träumen oder fahren?

"Never meet your heroes", riet James May 2003. Eine bittere Erfahrung zeigt, dass er Recht hatte.

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Von
  • Clemens Gleich

2003 traf BBC-TV-Redakteur James May einen großen Helden seiner Adoleszenz: den Lamborghini Countach. Wie kein anderes Auto dieser Zeit richtete sich der an Kinder wie James. Das Auto sah aus wie ein Tie Fighter, nur tiefer, härter, breiter, böser und mit viel größeren Heckflügeln. Der Countach war das einzige Poster, das in den Achtzigern Martin Elliots Fotokunstwerk "Tennismädchen kratzt sich am nackten Arsch" den Platz überm Bett streitig machen konnte. Entsprechend hoch waren James' Erwartungen an den Wagen, und entsprechend tief fiel er in die Enttäuschung, als der alte Lambo diese Erwartungen beim Fahren nicht erfüllen konnte.

Als ich Herrn Mays entnervende Erfahrung sah, schloss ich Vergleichbares für mich selbst aus. Italiener fahren hat immer etwas mit Liebe zu tun, und Liebe ist in ihrem Wesen doch bedingungslos. Wer eine Italienerin liebt, der wird, ja: muss ihr verzeihen, dass die Sicht nach hinten praktisch nicht vorhanden ist, dass sie mehr Armkraft verlangt als eine Kletterhalle, dass sie immer dann zickt, wenn man sie benutzen will. Ein eigenes Erlebnis hat mir jetzt jedoch gezeigt, dass James May Recht zumindest bedingt Recht hatte mit "triff nie deine Helden". Seine Maxime gilt immer dann, wenn die Realität keine Chance mehr hat, den Träumen gerecht zu werden. Der Countach konnte nichtmal ein Bruchteil so gut sein wie in der Erinnerung von James. Und ich habe die überall als "zum niederknien schön" beschriebene MV Agusta F3 mehr geliebt, als ich sie noch nicht gefahren bin.

Als ich das erste Bild des Dreizylinder-Renners MV Agusta F3 675 sah, blieb mein Herz einen Moment stehen. Der Claim von MV ist "Motorcycle Art". Er beschreibt ihre Maschinen realistisch. Irgendwann waren die ersten Maschinen fahrfertig. Glücklicherweise traf ich einen Kollegen, der mir auf meine tausend Fragen die Info gab, dass die Maschine "unfertig" sei und die Einspritzanlage nebst elektronischer Drosselklappensteuerung eine regelrechte Katastrophe. Deshalb verneinte ich später die Frage, ob ich mal fahren möchte. Ich wollte mir meine Phantasien nicht verderben lassen. Stattdessen kniete ich in den Fahrerlagern nieder zur Betrachtung dort anwesender F3-Kunstwerke. Bis heute komme ich kaum klar darauf, wie schön diese Maschine ist. Bei dieser Einstellung hätte ich bleiben sollen. Möchte man wirklich herausfinden, dass die heimlich verehrte Dame männliche Geschlechtsteile hat? Also ich nicht.

Es kam allerdings anders: Die Fastbike beauftragte mich für einen Test, die F3 800 zu fahren: fast identisches Motorrad, etwas mehr Hubraum, mehr Zeit für die Ingenieure, die Regelsysteme in den Griff zu kriegen. Es war ... nicht schlecht, nein. Das Krad war aber auch längst nicht so gut, wie es aussieht. Vielleicht ist das in diesem Fall gar nicht möglich, auf jeden Fall hat dieser Test einen Eimer Eiswasser auf mein ihr vorher so geneigt heißes Herz gegossen. Vorher mochte ich sie einfach lieber. Retrospektiv betrachtet wollte ich gar nicht wissen, dass sie auch nur ein Motorrad ist, mit allen Stärken und Schwächen, die bei kleinen Fahrzeugentwicklerteams eben herrschen. Es wäre besser gewesen, sie wäre in meinen Träumen eine perfekte Göttin geblieben.

Immerhin habe ich gelernt. Zum Beispiel verehre ich den BMW 507, diesen herrlichsten aller Bayern. Sollte mich irgendwann jedoch jemand fragen, ob ich mal fahren möchte, werde ich wohl vorschlagen: "Weißt was? Machen wir uns ein Bier auf und gucken die Maschine einfach nur an." Und sie wird Zeit meines Lebens traumhaft bleiben. (cgl)