Oberstaatsanwältin kritisiert Abmahnungen gegen Filesharer

Die Staatsanwaltschaft in Berlin lehnt als eine der ersten in Deutschland die Ermittlung der Person hinter einer IP-Adresse grundsätzlich ab. Oberstaatsanwältin Vera Junker äußert sich dazu in der "Süddeutschen Zeitung".

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Die Staatsanwaltschaft in Berlin lehnt als eine der ersten in Deutschland die Ermittlung der Person hinter einer IP-Adresse grundsätzlich ab. Seit Herbst 2007 fragt sie nicht mehr beim Provider nach, wenn ihr von der Musikindustrie eine Anzeige zugeht. Das Verfahren werde sofort eingestellt, erläutert die Berliner Oberstaatsanwältin Vera Junker in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

Eine Nachfrage beim Provider bringe nicht viel ein, meint Junker, denn um herauszufinden, welche Person tatsächlich die Tauschbörse genutzt hat, müssten eine Hausdurchsuchung durchgeführt, der Rechner beschlagnahmt und Zeugen befragt werden. "In einer Wohnung leben ja meist mehrere Menschen, viele arbeiten mit WLAN, das auch Fremde nutzen können, wenn es nicht verschlüsselt ist", erläutert Junker. Der Aufwand sei unverhältnismäßig, "wir können nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen". Junker findet es schlimm, dass die Abmahnanwälte auf einer "extrem unsicheren Beweislage strafrechtliche Konsequenzen wie Durchsuchungen veranlassen wollen". Die Verfehlung sei zu gering, um Grundrechte auszuhebeln.

In diesem Jahr wurde das Gesetz zur besseren zivilrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte verabschiedet, es tritt im September in Kraft. Die Anwälte der Musikindustrie können Daten von Nutzern illegaler Tauschbörsen demnach auch ohne die Hilfe von Staatsanwälten direkt beim Provider erfragen, aber nur, wenn ein Richter einen gewerblichen Hintergrund bestätigen kann. Der normale Tauschbörsennutzer ist davon also nicht betroffen, hier hat die Musikindustrie keinen Anspruch, den Provider zu fragen, wer hinter einer IP-Nummer steckt.

Vor Kurzem haben die Generalstaatsanwaltschaften gemeinsame Leitlinien zur Entlastung von Massenstrafanzeigen vorgelegt. Danach müssten IP-Adressen nur bei einer Schadenssumme von mehr als 2000 Euro oder bei mehr als 100 Dateien aufgespürt werden. Junker wendet ein, die bloße Zahl der Titel sollte nicht über die Strafverfolgung entscheiden. "Die erwähnte Rechnung geht davon aus, dass sich der Nutzer alle heruntergeladenen Dateien auch gekauft hätte und folglich wirtschaftlichen Schaden verursacht hat. Es handelt sich jedoch um einen virtuellen Schaden", sagte die Oberstaatsanwältin.

Dabei sieht Junker keinen Abschreckungseffekt durch Abmahnungen: "Ich bezweifele, dass unsere Kiddies sich über drohende Strafen Gedanken machen, außer vielleicht im Einzelfall, wenn einer mal von einem Betroffenen hört, dessen Eltern hohe Abmahngebühren zahlen mussten."

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(anw)