US-Musikindustrie kann Neuauflage des ersten Filesharing-Prozesses nicht verhindern

Die RIAA-Anwälte sind mit ihrer neuen Eingabe gescheitert, die Zulassung zur Berufung sowie einen Aufschub der noch nicht terminierten Neuverhandlung bis zur Klärung einer möglichen Berufung zu erreichen.

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Von
  • Nico Jurran

Im Oktober 2007 freute sich der Verband der großen US-Labels (Recording Industry Association of America, RIAA) noch darüber, in dem ersten Filesharing-Fall, der es bis zur Verhandlung gebracht hatte, einen spektakulären Sieg davon getragen zu haben. Heute muss der Verband erkennen, dass diese Freude verfrüht war.

Zur Vorgeschichte: Im Oktober 2007 befanden zwölf Geschworene die damals 30 Jahre alte Amerikanerin Jammie Thomas im US-Bundesstaat Minnesota schuldig, unter dem Benutzernamen "tereastarr" über den Shared-Ordner eines Kazaa-Clients insgesamt rund 1.700 Musik-Dateien verbreitet zu haben. Da sie durch die Weitergabe der Stücke an andere Internetnutzer vorsätzlich die Urheberrechte führender Plattenfirmen verletzt habe, wurde die alleinstehende Mutter in 24 Fällen schuldig gesprochen und zur Zahlung einer Geldstrafe von 222.000 US-Dollar (damals rund 156.000 Euro) verurteilt. Thomas und ihr Anwalt gingen erwartungsgemäß in Berufung. Sie halten die Entscheidung der Jury für unangemessen und beantragten eine Korrektur oder die Wiederaufnahme des Verfahrens.

Im Mai 2008 bekam der Fall jedoch eine überraschende Wende: Der Richter Michael Davis erwägte nun, den Fall neu zu verhandeln, da er die Geschworenen offenbar falsch instruiert habe. Davis hatte die Jury in seinen Anweisungen zur Urteilsfindung unter Punkt 15 unterrichtet, dass die Bereithaltung von Musikstücken über ein P2P-Programm an sich schon eine Urheberrechtsverletzung darstelle. Dies ist zwar die Kernthese der Musikindustrie, diese sogenannte "Making Available"-Theorie wird von einigen Juristen aber scharf kritisiert. Für eine Urheberrechtsverletzung müsse die tatsächliche Weitergabe einer Kopie nachgewiesen werden, argumentieren die RIAA-Gegner. In der US-Rechtsprechung gebe es einschlägige Präzedenzentscheidungen zu dieser Frage. Eine solche Entscheidung hatte Richter Davis in der Zwischenzeit offenbar zur Kenntnis genommen. Seine Anweisung Nummer 15 sei ein "offensichtlicher Rechtsfehler", räumt der Jurist in seiner Begründung (PDF-Datei) ein, und könnte bindender Rechtssprechung in einem Präzedenzfall des gleichen Gerichtsbezirks widersprechen. Im Streit des Softwareherstellers Computer Associates (CA) gegen einen Autoverleiher hatte das Gericht festgestellt, dass für eine Urheberrechtsverletzung die "tatsächliche Verbreitung einer Kopie" nachgewiesen werden müsse. Darüber hinaus nahm Davis die Entwicklung in einem weiteren Filesharing-Fall (Atlantic vs. Howell) zur Kenntnis, in der Richterkollege Neil Wake sein ursprüngliches Urteil revidiert und schließlich von der "Making Available"-Theorie abgerückt war.

Mit einer neuen Eingabe (PDF-Datei) im Oktober 2008 wollten die RIAA-Anwälte jedoch die Zulassung zur Berufung sowie einen Aufschub der noch nicht terminierten Neuverhandlung bis zur Klärung einer möglichen Berufung erreichen. Diese Eingabe wurde vom Richter Michael J. Davis nun zurückgewiesen (PDF-Datei), womit der Weg für eine Neuverhandlung offen ist. Laut Davis habe die Eingabe der RIAA keine Anhaltspunkte geliefert, warum das ursprüngliche Urteil nicht aufgehoben werden sollte. Selbst wenn sich bei der Neuverhandlung letztlich herausstellen sollte, dass die Anweisung Nummer 15 im Ursprungsverfahren juristisch korrekt gewesen sei, so ändere dies doch nichts daran, dass sich Richter und Geschworene mit der "Making Available"-Theorie hätten genauer beschäftigen müssen. Tatsächlich bliebe eine große Rechtsunsicherheit, wenn Davis das ursprüngliche Urteil nicht aufheben würde, da es eben in diesem Punkt – ohne weitere Begründung – anderen Urteilen des gleichen Gerichtsbezirks widerspricht. (nij)