Abmahnmaschinerie der Medienindustrie gerät ins Stocken

In Nordrhein-Westfalen sollen DSL-Anschlussinhaber nur noch ermittelt werden, wenn sie mehr als 3000 Musik- oder mehr als 200 Filmdateien über ihren Tauschbörsen-Client zum Download angeboten haben.

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Von
  • Holger Bleich

Rechtsanwälte der Medienindustrie dürften es in Zukunft deutlich schwerer haben, an die Daten von Personen zu kommen, die urheberrechtlich geschützte Dateien in P2P-Börsen tauschen. Ihre bislang meist erfolgreich praktizierte Methode, massenhaft Strafanzeigen zu erstatten, um die Staatsanwaltschaften Anschlussinhaber zu dynamisch vergebenen IP-Adressen ermitteln zu lassen, läuft mehr und mehr ins Leere: Zum einen, weil außer der Deutschen Telekom kaum noch ein Provider bei Flatrate-DSL-Verträgen die Verbindungsdaten speichert; zum anderen, weil viele Staatsanwaltschaften den Anschlussinhaber nicht mehr ermitteln wollen.

Wie heise online bereits berichtete, erarbeiteten die deutschen Generalstaatsanwaltschaften Leitlinien zum möglichst einheitlichen Umgang mit dem Phänomen der Massenstrafanzeigen. In Nordrhein-Westfalen (NRW) mündete dies nun in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaften. Demnach sollen in NRW Anschlussinhaber nur noch ermittelt werden, wenn sie mehr als 3000 Musik- oder mehr als 200 Filmdateien über ihren Tauschbörsen-Client zum Download angeboten haben. Ähnliche Empfehlungen wie die von den Generalstaatsanwaltschaften in NRW gibt es auch in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt.

Von einer "Kapitulation der Justiz vor Raubkopierern", wie der Kölner Stadt-Anzeiger titelte, möchte man aber nichts wissen. Im Gespräch mit heise online relativierte Franz-Heinrich Pohl, Oberstaatsanwalt und gleichzeitig Sprecher der Kölner Generalstaatsanwaltschaft, entsprechende Medienberichte. Es handle sich nicht um "Leitlinien", betonte er, sondern lediglich um Empfehlungen der Generalstaatsanwaltschaften ohne Weisungscharakter: "Es steht weiterhin jedem Staatsanwalt im Land frei, welche strafprozessualen Maßnahmen er in diesen Fällen anwendet."

Pohl begründete die Empfehlung damit, dass die Ermittlung von Anschlussinhabern allein ohnehin nicht ausreiche, um den Täter mit Sicherheit zu identifizieren. "Danach wäre beispielsweise eine Hausdurchsuchung nötig, um an Beweise zu kommen, aber dies wäre angesichts des Delikts unverhältnismäßig und deshalb vielleicht sogar verfassungswidrig." Die Massenstrafanzeigen dienen Pohls Ansicht zufolge ohnehin nur dazu, anschließend Schadensersatzforderungen zu stellen und den vielen abmahnenden Anwaltskanzleien Gebühren in die Kasse zu spülen. "Wir haben die Rechtsanwälte nach Ermittlung der IP-Adresse stets auf das Privatklageverfahren verwiesen, aber mir sind bei den tausenden IP-Adressen nicht mal zehn Fälle bekannt, bei denen sie diesen Weg gewählt haben."

Bei der Empfehlung habe man sich an die Formulierungen im neuen Gesetz zur besseren Durchsetzung geistigen Eigentums gehalten, das voraussichtlich am 1. September in Kraft treten wird. Darin wird den Rechteinhabern gegenüber Providern nur dann ein Auskunftsanspruch zugebilligt, wenn es sich um mutmaßliche Rechtsverletzungen "im gewerblichen Ausmaß" handelt. Noch weiß niemand, was genau unter dieser schwammigen Formulierung zu verstehen ist. Oberstaatsanwalt Pohl betont daher, dass strafrechtlich auf jeden Fall ermittelt wird, wenn jemand Raubkopien verkauft oder beispielsweise Filme vor dem Kinostart in eine Tauschbörse einspeist.

Siehe dazu auch:

(hob)