IT-Händler und Distributoren: Jetzt geht’s um die Wurscht

Tech-Data-Geschäftsführer Michael Dressen ist ein Freund der gepflegten Provokation. Jetzt hat er wieder zugeschlagen. In einem Interview kündigt er den baldigen Tod vieler IT-Händler an. Nur ein- oder zweitausend werden überleben, behauptet er. Das muss natürlich hinterfragt werden. Und wenn Dressen Recht hat: Was bedeutet das dann für die Distributoren?

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Von
  • Damian Sicking

Lieber Tech-Data-Chef Michael Dressen,

Tech-Data-Chef Michael Dressen

(Bild: Tech-Data)

gerade haben Sie wieder eines Ihrer berühmt-berüchtigten Interviews gegeben. Und einmal mehr nehmen Sie kein Blatt vor den Mund und sagen pointiert Ihre Meinung. Diesmal geht es um Big Data und die Auswirkungen auf den indirekten Vertriebskanal, also den Handel. Ihre These: Es bleibt kein Stein auf dem anderen, die nächste Umwälzung der Branche beginnt und wird über den IT-Handel hinwegfegen. Big Data, so Ihre These, wird ungeheure Auswirkungen auf die Endgeräte und den Endgerätevertrieb haben. "Der Device-Markt, den wir heute kennen, wird weiter schrumpfen", sagen sie. Die Hardware wird entweder direkt von den Herstellern vermarktet oder von großen Retailern und Etailern. Im stationären Handel, vor allem im Fachhandel, werde "eine Bereinigung stattfinden: Händler werden verschwinden, verkauft oder gehen pleite", so Ihre Sicht auf die Dinge. Nur noch 1.000 bis 2.000 Händler werde es in Zukunft geben, behaupten Sie. Das ist starker Tobak, und sicherlich fragte sich Mancher, der Ihr Interview gelesen hat, ob Sie das wirklich Ernst meinen oder vielleicht doch eher einen an der Waffel haben.

Ich denke, man muss präzise sein. Zunächst einmal die Frage: Von welchen Händlern reden Sie? Meinen Sie den reinen Händler, dessen Business sich sozusagen auf An- und Verkauf beschränkt? Also meinen Sie die Art von IT-Händler, den man früher einmal Kistenschieber nannte? Dieser Tante-Emma-Laden der IT-Branche, den Computershop an der Ecke, der ist ja heute schon weitgehend aus unserem Stadtbild verschwunden. Ich denke, die Zahl dieser Dinosaurier des IT-Handels liegt heute nur noch im niedrigen fünfstelligen Bereich. Und vielen geht es eher schlecht als recht. Zukunftschancen: negativ.

Oder meinten Sie, lieber Herr Dressen, auch den "handeltreibenden Dienstleister", wie Bechtle-Gründer Ralf Klenk stellvertretend für die Systemhäuser insgesamt sein Unternehmen immer bezeichnet hat? Also den IT-Dienstleister, der vorwiegend oder ausschließlich Businesskunden adressiert und Ihnen ein breites Angebot aus Hard- und Software sowie entsprechenden Dienstleistungen (Lösungen!) anbietet? Für diese IT-Unternehmen sind die Zukunftschancen aus meiner Sicht unverändert gut. Hier passt der Claim des Baumarktes: "Es gibt immer was zu tun". An dieser guten Perspektive ändert auch Big Data nichts. Im Gegenteil: Big Data ist für Systemhäuser und Dienstleister sogar noch eine zusätzliche Möglichkeit, Geschäft zu generieren und Umsatz zu erzielen.

Lieber Herr Dressen, also ganz so dramatisch, wie Sie die allgemeine Lage und vor allem die Zukunft schildern, ist sie dann vielleicht doch nicht. Was aber zweifelsohne richtig ist: Wir erleben momentan eine Zeit tiefgreifender Veränderungen im Handel. Und diese Veränderungen gehen natürlich auch nicht an der Distribution vorbei. Das zeigen unter anderem auch die Schwierigkeiten, in die in diesem Jahr bereits einige namhafte Distributoren geraten sind. Und das wird voraussichtlich noch nicht das Ende der Fahnenstange sein.

Es ist doch ganz einfach: Wenn die Zahl der Händler zurückgeht, also der klassischen Distributionskunden, und wenn zweitens auch noch das Absatzvolumen von Schlüsselprodukten wie PCs, Monitore, Drucker, Eingabegeräte, teilweise sogar auch Server, wegbrechen, dann muss die Distribution handeln. Dann kann "Weiter so" nicht die Antwort sein. Dann müssen sich die Distributoren mit der Frage beschäftigen, wie in Zukunft ihr Geschäftsmodell aussehen soll und womit sie in Zukunft Geld verdienen können. Und auch: mit WEM sie in Zukunft Geld verdienen können. Also auch diese Frage muss gestellt werden: Wer kann morgen unser Kunde sein?

Ich bin überzeugt davon, dass bei den großen Distributoren genau diese Fragen heute schon diskutiert werden. Ich hoffe es jedenfalls. Alles andere wäre ja fahrlässig. Und ich denke, dass der Endkunde als Zielkunde immer näher ins Fadenkreuz der Distributoren kommt. In Deutschland ist Also nach meiner Beobachtung in dieser Hinsicht am weitesten. Es gehört zur Strategie des Tech-Data-Konkurrenten aus Soest, IT-Dienstleister zu übernehmen und diese neu erworbenen Kompetenzen dann interessierten Händlern und Systemhäusern anzubieten. Die Also-Mitarbeiter operieren dann direkt bei den Endkunden der Systemhäuser. Aus der Sicht der IT-Unternehmen ein zweischneidiges Schwert: Einerseits können Sie nun ihren Kunden Leistungen anbieten, die sie mit eigenen Bordmitteln nicht leisten können, andererseits öffnen sie ihrem Distributor die Tür zu einem neuen Kunden. Natürlich besteht die Gefahr, dass sich das Systemhaus dadurch selbst überflüssig macht. Aus Sicht von Also dagegen ist dies ein sehr geschicktes Manöver, und zwar aus den gleichen Gründen. Also bekommt neue potenzielle Kunden quasi auf dem Präsentierteller serviert. Das berühmte Bein, das der Distributor damit schon mal in der Tür hat.

Wer weiß, lieber Herr Dressen, vielleicht ist das ja die Zukunft für die Distribution. Dass sie eines Tages selbst aktiv ins Endkundengeschäft einsteigt – einsteigen muss sogar, weil dem traditionellen Geschäft der Distribution die Grundlage entzogen worden ist. Handel, auch Großhandel, ist und bleibt nun einmal Wandel.

Mit besten Grüßen

Damian Sicking

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