Iran: Soziale Netzwerke sind "Sünde" – nicht aber für die neue Politriege

Im Iran gilt die als unislamisch, gar als Sünde, sich an sozialen Netzwerken zu beteiligen. Aber der neuen Politriege im Land scheint das egal zu sein. Der Präsident twittert, sein Außenminister ist Facebook-Fan.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 21 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Farshid Motahari
  • dpa

Im Iran sind, ob nun aus politischen oder moralischen Gründen, mehr als fünf Millionen Seiten im Internet gesperrt. Als Teil der strengen Internetkontrollen hat das Regime in den vergangenen Jahren Filter eingerichtet. Es gibt sogar eine "Cyber-Polizei", um die Internetaktivitäten der Menschen zu überwachen. Besonders beachtet werden dabei die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter. Der einflussreiche Kleriker, Ajatollah Lotfollah Safi-Golpaygani, bezeichnet sie als "unislamisch" und die Mitgliedschaft in solchen Netzwerken als "Sünde".

Für die "Cyber-Polizei" sind diese Netze "das gefährlichste und abscheulichste Spionagewerkzeug", das je vom "Großen Satan" – gemeint sind damit die USA – in islamischen Ländern eingesetzt worden ist.

Neben den fast 20 Millionen iranischen Twitter- und Facebook- Mitgliedern scheinen solche Warnungen und Moralpredigten auch der neuen politischen Riege im Land ziemlich egal zu sein. Präsident Hassan Ruhani ist Twitter-User, sein Außenminister Mohammed Dschawad Sarif ist auf Facebook aktiv. Und auch Ruhanis erster Vize Eshagh Dschahangiri postet regelmäßig auf Facebook.

Seit seinem Wahlsieg im Juni nutzt Ruhani Twitter verstärkt auch für politische Statements. Ob er nun Marsieh Afcham zu ihrer Ernennung als erste Außenamtssprecherin der iranischen Geschichte gratuliert, oder allen Juden zum Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest – der neue Präsident geht anscheinend gerne online. "Das ist auch ein sehr geschickter politischer Schachzug", sagt ein Politologe in Teheran. Ruhani punkte mit Twitter im Ausland, und im Inland würden seine Kritiker das, zum Beispiel die überraschenden Glückwünsche an "alle Juden", nicht oder erst sehr spät mitkriegen.

Der Außenminister und Computer-Freak Sarif nutzt Facebook sogar für politische Essays. Besonders im Syrien-Konflikt und angesichts des erwarteten militärischen Einsatzes der USA gegen das dortige Regime, versucht Sarif über Facebook – wie Ruhani über Twitter –, an Regime-Kritiker und Gegner ranzukommen. Er erläutert die iranische Position dann mit einer moderneren Rhetorik. Die moderate Nachrichtenagentur Isna wundert sich nur, wie der Präsident und Außenminister überhaupt Zugang zu den sozialen Netzwerken finden.

Nach den im Iran geltenden Gesetzen ist die Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken nicht illegal, der Zugang über VPN aber schon. "Das ist schon hohe Kunst, auf so was Blödes zu kommen", sagt ein Computerexperte in Teheran. Nur über VPN ist ein Zugang zu den blockierten Seiten möglich. "Die Gesetzte sind deshalb so bescheuert, weil man ja nicht über 20 Millionen Nutzer als Kriminelle abstempeln kann", sagt ein Jurist in Teheran.

Das gleiche gelte auch für Satellitenschüsseln, so der Jurist. Die sind auch gesetzlich verboten, werden aber landesweit genutzt. In machen Wohnvierteln gibt es alle sechs Monate eine Polizeirazzia, die Schüsseln werden von den Dächern entfernt. Aber nur eine Stunde später kommt ein Installateur und baut neue an.

Bis jetzt hat sich im Iran keiner über die Twitter- und Facebook-Aktivitäten der neuen Regierung beschwert. Es ist aber rechtlich unklar, ob es überhaupt erlaubt ist, die politischen Statements des Präsidenten oder seines Außenministers über soziale Netzwerke nachrichtlich zu verwenden. Ruhani scheint es jedenfalls nicht groß zu stören. Dies teilte er kürzlich auch führenden ultrakonservativen Klerikern des Landes mit. "Man sollte nicht länger engstirnig mit der Gesellschaft umgehen, da die ganze Welt jetzt sowieso übers Internet oder Satellitenfernsehen miteinander verbunden ist." (anw)