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Was war. Was wird.

Früher, das waren noch Zeiten. Vorbei, vorbei, vergessen. Heute sorgen sich Kriminalisten, als Datenprofilneurotiker bezeichnet zu werden – und Hal Faber taucht ins "Deep Web" ein.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Na klar war früher alles besser, damals, als die CeBIT eine wahre Supermesse war und die schöne Stadt Hannover am Rande der norddeutschen Tiefebene verstopfte. Vorbei, vorbei, vergessen: In dieser Woche hat die Agritechnika die CeBIT mit über 400.000 Besuchern als Supermesse überholt. Hannover war wieder einmal verstopft, aus den Beuteln der Besucher lugten sperrige Treckermodelle, komplett mit einer iPad-App fürs Probestriegeln des Feldes. Früher, das waren noch Zeiten, als das Bundeskriminalamt die schlichte Rubrik "IuK-Kriminalität" in seinem Bundeslagebild aufführte. Heute heißt das "Cybercrime" und ist eine ganz ganz schlimme Sache. Zur Eröffnung der BKA-Herbsttagung fragte BKA-Chef Jörg Ziercke in seiner Rede die Zuhörer: "Wie schaffen wir es, das notwendige Vertrauen der Menschen in unserem Land in die polizeiliche Arbeit gegen gewissenlose Cyberkriminelle zu gewinnen und nicht als Totalüberwacher, Datensammelwütige und Datenprofilneurotiker denunziert zu werden?" Datenprofilneurotiker, diese Wortschöpfung sollte man sich merken, definiert doch der Duden den einfachen Profilneurotiker als Menschen, der ständig in Angst lebt, im Beruf zu wenig zu gelten.

*** In seiner zweiten Rede legte der oberste deutsche Kriminalbeamte dann nach: "Das Internet ist die Fernuniversität des religiös motivierten Terrorismus und dient der Vorbereitung realer Straftaten, wie den sogenannten 'flashrobs'. Hierbei verabreden sich unbekannte Personen im Internet, um gemeinsam Geschäfte zu überfallen." Terrorismus und Flashrobs der Profis, eine wahrlich düstere Perspektive, zumal die Definition der Profis Beachtung verdient: "Hier finden sich sowohl staatlich gelenkte Hacker als auch terroristische Gruppen und Hacktivisten. Hacktivisten verstehen sich als Kämpfer gegen Ungerechtigkeit, verstehen ihr Handeln als zivilen Ungehorsam gegen bestimmte politische Richtungen – ein virtueller Gang auf die Straße, um Unternehmen, Regierungsbehörden, Parteien, andere Gruppen oder Initiativen von ihrem – in den Augen von Gruppen wie Anonymous oder Lulz-Security falschen – Weg abzubringen."

*** Anonymous wollte genau wen vom Weg abbringen? Die LulzSec-Gruppe, die das Mailsystem der Beratungsfirma Stratfor gehackt und die Mails an Wikileaks weitergab, damit dort wieder eine große Geschichte erscheinen konnte, ist für ihre Aktion in Großbritannien hart bestraft worden. 32 Monate bekam "Ryan", 30 Monate "Kayla", der Strafrahmen wurde ausgeschöpft. Als Kopf der Gruppe firmierte "Anarchaos", der US-Amerikaner Jeremy Hammond, der sich schuldig bekannte. Sein Motiv war alles andere als ein Unternehmen oder eine Regierung von ihrem Weg abzubringen. "Das Volk hat ein Recht darauf, zu erfahren, was Regierungen und Unternehmen hinter verschlossenen Türen machen". Nun hat Jeremy Hammond das Fünffache der Strafen seiner Mithacker erhalten, nämlich die maximal möglichen 10 Jahre Haft. Sein Statement vor der Bekanntgabe dieser abschreckenden Strafe gehört in die Reihe großer Reden vor Gericht, wie die Rede von Chelsea Manning. Die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen, ist im Amerika von Barack Obama ein schweres Verbrechen: "Wenn wir die Wahrheit über die Macht aussprechen, werden wir bestenfalls ignoriert oder schlimmstenfalls unterdrückt. Wir haben es mit einer Machtzusammenballung zu tun, die ihr eigenes System der 'Checks and Balances' nicht mehr respektiert, von den Rechten ihrer eigenen Bürger oder den der internationalen Staatsgemeinschaft ganz zu schweigen. /.../ Ich habe mich angesichts des entsetzlichen Alptraums von Chelsea Manning, für die Veröffentlichung der Wahrheit den Rest des Lebens eingesperrt zu werden, gefragt, ob ich ein gutes Gewissen haben kann, wenn ich etwas Ähnliches ausrichten könnte und das unterlasse.

*** Jeremy Hammond bekannte sich wie Chelsea Manning dazu, ein Whistleblower zu sein. Das Gericht sah in ihm einen gemeingefährlichen Hacker, der imstande ist, die öffentliche Ordnung nachhaltig zu stören. Dass die für das Urteil verantwortliche Richterin mit einem Manager von Stratfor verheiratet ist, kann man unter Schecks und Bilanzen verbuchen. Unbeirrbar wird diese Regierung Bush 2.0 ihren Weg fortsetzen: Das Warnsignal für den Whistleblower Edward Snowden ist laut und deutlich, dafür sind die vermuteten US-Klagen gegen Julian Assange noch immer nicht bewiesen. Sicherlich wird es auch unsere Regierung nicht von dem Weg abbringen, dem NSA-Mann weiterhin das Asyl zu verweigern – das Wort ist auf dem Merkelphone einfach zu schwierig zu tippen. Wie bekannt Snowden inzwischen ist, kann man daran erkennen, dass er selbst in einer Besprechung des berühmten Online-Kochkurses von Ferran Adrià auftaucht, mit dem mathematische Kenntnisse geprüft werden, nicht nur für Hacker.

*** Mit Hilfe des vom FBI umgedrehten Hackers "Sabu" konnte die Gruppe der LulzSec-Aktivisten enttarnt und verhaftet werden. Das hatte BKA-Chef Jörg Ziercke freilich nicht erwähnt. Seine Grundsatzrede über Kriminalistik 2.0 handelte von einem guten Dutzend weiterer Fälle, ohne jemals zu erwähnen, ob und wie welche Taten aufgeklärt wurden. Das passt zur systematischen Verkennung und Denunzierung des politischen Hacktivismus. Gleich zweimal tauchte in der Rede der Fall der Hacker auf, die in die Abrechnungssysteme der Bank of Muscat in Oman und der Rakbank in den VAE eindrangen. Dass die daraufhin in Deutschland tätigen Geldabheber gefasst wurden und nunmehr zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurden, passt nicht ins düstere Lagebild und den Horrorgeschichten aus dem "Deep Web", das die eingeladenen Politiker beeindrucken soll.

*** Laut Ziercke ist "Deep Web" der Teil des Internet, der nicht über normale Suchmaschinen auffindbar ist, Dort existiert die Silk Road als "versteckter Dienst im sogenannten TOR-Netzwerk", von dem Ziercke meinte, die Provider müssten es wie Kinderpornographie melden, wenn sie bei sich auf einen solchen Serverdienst stoßen. Mit dem Dossier über den Geheimen Krieg in Deutschland sind Details von einem ganz anderen "Deep Web" aufgetaucht, die zu denken geben. Auf der IT-Seite spielt da die Firma CSC eine wichtige Rolle. Bisher war bekannt, dass CSC Deutschland Solutions beim neu zu programmierenden Staatstrojaner als externer Dienstleister mit Tests beauftragt wurde. Auch die Beratungstätigkeit bei der elektronischen Gerichtsakte war bekannt, nicht zuletzt weil CSC mit diesem Projekt Werbung machte. Nun kommt es dicker: "Die CSC erhielt mehrere Aufträge, die mit der verschlüsselten Kommunikation der Regierung zu tun haben. Die CSC beriet das Innenministerium bei der Einführung des elektronischen Passes. Sie ist involviert in das Projekt De-Mail, dessen Ziel der sichere Mailverkehr ist – oder sein sollte." Eine US-amerikanische Firma macht bei De-Mail mit? Sollte dies belegbar sein, ist es das Aus für den vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik so gepriesenen "verbindlichen und vertraulichen Versand elektronischer Dokumente und Nachrichten". All die schönen Server und Käfige können dann abgeschraubt und anderweitig verwendet werden.

Was wird

"Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ist nicht nur ein Werk, das vor 100 Jahren in einem StartUp erschien. Den Titel könnte man auch auf die derzeitigen Koalitionsverhandlungen beziehen, mit einer Ausnahme. Bei den Drohnen hat man sich offenbar schnell geeinigt und will dies am kommenden Montag bekannt geben: "Die Koalition wird eine europäische Entwicklung für unbemannte Luftfahrzeuge voranbringen. Europa braucht schnell ein gemeinsames Regelwerk für ihre Zulassung und Teilnahme am europäischen Luftverkehr. Die Koalition wird die entsprechenden Initiativen hierzu weiterführen." Eile war deswegen geboten, weil die europäischen Verteidigungsminister eine europäische Drohnenlösung beschließen wollen, die irgendwann zwischen 2020 und 2025 über unseren Köpfen im allgemeinen Luftraum fliegen soll. Die Frage der Bewaffnung von Drohnen ist damit längst noch nicht geklärt. Bis dahin dürfen sie weiter abstürzen, ob nun bewaffnet oder unbewaffnet. Bundeswehr. Wir. Leasen. Einfach. Nocheine. (anw)