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Was war. Was wird.

Die Chinesen landen auf dem Mond und die Deutschen bekommen eine große Koalition. Aber das ist zwar ein Grund zum Frust, aber noch lange kein Grund zur Häme und zu falschen Richtungsentscheidungen, warnt Hal Faber. Sondern Anlass, genauer hinzuschauen.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Chinesen landen auf dem Mond und die Deutschen bekommen eine große Koalition. Was eber keineswegs ein Argument dafür ist, Diktaturen könnten die zukunftsgerichtetere Staatsform als Demokratien sein, weil sie den Fachleuten Macht geben. Das Gegenteil ist der Fall: Diktatoren, ob Einzelmensch oder Staatspartei, geben dem ein bisschen Macht ab, der schöne Propagandabilder liefert und ihre Herrschaft absichert. Und das darf auch mal ein Fachmann sein - der aber schnell auf dem Richtblock landet, wenn so eine Mondlandung schief geht. Raketenpioniere aus der damaligen Sowjetunion könnten ein Lied davon singen - wenn sie noch leben würden. Deutschland aber hat schon immer Schwierigkeiten mit seiner Zukunft gehabt, wenn es sich mit matschiger Konsenssoße Hoffnung auf ein gemütliches "Weiter so!" machen durfte. Dann sind auch bürgerliche Freiheiten schnell mal Verhandlungssache - Demokratie hin, Dikatur her.

*** Singen statt Merkel und Kauder "An Tagen wie diesen" nun Imperator Gabriel und Pippi Nahles "Keine Atempause, Geschichte wird gemacht - es geht voran"? Nein, das haben die Fehlfarben (im Unterschied zu den Toten Hosen) nicht verdient, und die Deutschen eigentlich auch nicht; mag man doch das Personal der Großen Koalition nicht einmal als B-Film-Helden bezeichen. Aber wer 16 Jahre Kohl überlebt hat, schafft auch noch 4 Jahre Merkriel, mag man sich trösten. Ein schwacer Trost allerdings, den man sich mit einem starken Schnaps schönsaufen muss. "Hach ist das schön", wusste schon der Prophet Rudi Carrell zu schwärmen, wenn eine Bundeskanzlerin mit dem SPD-Vorsitzenden flirtet und Schlagzeilen macht. Ist das vorauseilender Gehorsam, wenn vorher schon die GroKo und der GroKo-Deal zum Wort des Jahres gekürt werden, weit vor der zupackenden "Generation Sandsack", die diese schwarzrote Konsenssoße aushalten muss? Ganz zu schweigen davon, dass es das verniedlichende Wort von der NSA-Spähaffäre nicht in die Top Ten geschafft hat, sondern nur das noch harmlosere "Freund hört mit". Na und, unter Freunden kann man sich alles sagen und abhören. Die "kleinen Leute", für die die GroKo ein Geschenk sein soll, interessiert das ohnehin nicht, sie waren nicht einmal wählen.

*** Ja, wir bekommen eine GroKo mit Ausländermaut, Vorratsdatenspeicherung, gestoppter Energiewende, mit einem Außenminister Steinemeier, der bestens weiß, wie deutsche Schlapphüte arbeiten und international vernetzt sind. Womöglich mit einer Beauftragten für Informationsfreiheit, die im preisgekrönten Service von Abgeordnetenwatch schreibt: "Ich lehne aber eine Vermittlung durch abgeordnetenwatch ab und habe daher entschieden, mich an diesem Portal nicht zu beteiligen." Dass Datenschützer gequält jaulen, weil diese Befürworterin einer Vorratsdatenspeicherung alles abnicken wird, was nach dem Gutachten des EU-Generalanwaltes als schicklich durchgesetzt wird, mag ihnen niemand verübeln. Vier Jahre GroKo-Siechtum ohne Mut für Experimente, mit eingebauter Zukunftssperre, diesmal im Verteidigungsministerium. Wir. Dienen. Ursula. Dazu gibt es Linien zur Netzpolitik, die Auflage eines bald vier jahre alten Standard-Kochbuches, bei weiterhin erhöhter Terrorwarnung. Aber darüber habe ich schon berichtet, drum ZuckRuck in die groKoalitionäre Gegenwart, die angeblich Zukunft haben soll. In dem Jahr, in dem die elektronische Gesundheitskarte ernsthaft getestet werden soll, bekommen wir einen Gesundheitsminister, der sich niemals mit Gesundheitsthemen befasst hat. Auf diese ganz besondere Mahlzeit kann geprostet werden. Wie wäre es mit einem Cocktail und einer Prise Pocula Emetica?

*** Bis diese Konsenssoße über uns schwappt, kann ein Blick in eben dieses Innenministerium nicht schaden. Zu diesem Ministerium gehört nicht nur der Datenschutz mit seinem modernen Schutzkonzept, alle Krankenakten hausöffentlich zu führen, sondern auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Es war als "Zentrale für Chiffrierwesen" früher dem Bundesnachrichtendienst unterstellt und bestens vernetzt mit internationalen Partnerdiensten. Das war in einer Zeit, als die NSA noch nicht das Internet überwachte. Wo einst die Zentrale der Chiffrierer war, residiert heute das Cyber-Abwehrzentrum. Wie sich nun herausstellt, ist das BSI immer noch bestens vernetzt. Seine Experten sitzen in der gemeinsamen europäisch-US-amerikanischen Arbeitsgruppe Cybersicherheit im Unterausschuss für Cyber Incident Management, sie leiten und planen gemeinsam mit US-Kollegen Übungen wie "Cyber Europe", "Cyberstorm", "EuroCybex", "Locked Shield" und sind mit dem militärischen Nachrichtendienst (MAD) verbandelt, der Lagebilder über die Angriffe auf militärische IT-Installationen erstellt. Zusammen mit den US-amerikanischen Spezialisten von CIA, NSA und dem DHS hat man nur ein Ziel im Auge: "Hinweise auf nachrichtendienstliche, zielgerichtete Attacken mit chinesischem Hintergrundbezug".

*** Ich wiederhole mich: Unter Freunden kann man sich alles sagen und abhören. Das ist so tief im System der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft verankert, da hinterlässt man einfach keine Anhaltspunkte. Man nehme nur das Datenaufkommen in Bad Aibling, alles paletti, alles rechtmäßige Fernmeldeüberwachung. Die Zusammenarbeit zwischen NSA und BND wurde dort im April 2002 unter rotgrüner Regierung und Aufsicht von Steinmeier, Minister für besondere Aufgaben, vereinbart, die Parlamentarier wurde jedoch erst im August 2013 darüber informiert. Das nennt man dann wohl zeitnahe Unterrichtung. Im Koalitionsvertrag fehlt ein Passus über die dringend notwendige deutliche finanzielle Aufstockung der Nachrichtendienste. Das meinte der konservative Politikwissenschaftler Martin Wagener in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In seinem Artikel heißt es klipp und klar zum NSA-Problem und der Unterfinanzierung der deutschen Nachrichtendienste: "Eine enge Anlehnung Berlins an Washington ist daher unter den gegenwärtigen Bedingungen Teil der deutschen Staatsräson. Wer jedoch nicht auf 'Augenhöhe' zusammenarbeiten kann oder will, der muss dafür einen Preis zahlen. Diesen legen die Vereinigten Staaten fest. Und sie sind es auch, die maßgeblich die Spielregeln bestimmen." Klarer kann man es nicht sagen in diesen GroKo-Deal-Zeiten. Wagener stellt nüchtern fest, dass die Bundesregierung das macht, was sie so gut kann: Sie wurschtelt sich durch die NSA-Affäre und sitzt die Problematik einfach aus, die Amerikaner lächeln müde über Außenminister Steinmeier, der "Ungleichgewichte durch Recht ausgleichen" möchte. Denn: "Koppelt sich Europa digital ab, werden die amerikanischen Nachrichtendienste über einzelne europäische Verbündete Wege finden, wieder in diese Netze einzudringen." Shit happens: Verdauen müssen wir alle.

*** In besagter Zeitung haben in dieser Woche über 500 Schriftsteller gegen die Überwachung demonstriert. Der etwas seltsam klingende Ansatz, die Demokratie in der digitalen Welt zu verteidigen, wurde von gestandenen Netzpolitikern abgewatscht, die das traurige Niveau des Widerstandes beklagten. Vermisst wurde die kritische Reflektion der Lage durch Schriftsteller, die nur bedingt Lust haben, sich mit der Materie vertraut zu machen und deshalb einfach rufen: "Überwachung ist Diebstahl" und an die Vereinten Nationen appellieren, eine verbindliche internationale Konvention der digitalen Rechte zu verabschieden. Nanu, wird sich da mancher fragen, hat da nicht neulich die UN über genau diese Fragen abgestimmt? Sie hat, doch statt über den ursprünglichen Entwurf von Brasilien und Deutschland wurde über eine weichgespülte Fassung abgestimmt. Das existenzielle Recht auf Privatsphäre, wer braucht das schon. Jetzt ist die Privatsphäre nur noch wichtig und wabert undefiniert um den Körper herum wie 3-Wetter-Taft: Fort Meade, das Netz rast, die Privatsphäre sitzt. Geheimdienste sollen kontrolliert werden, doch ach, nur in angemessener Weise, was wiederum die Dienste mitbestimmen. Wie war das noch mit den wirklichen Tigern und den Papiertigern? Niedliche Kätzchenbilder im Internet stehen unter dem besonderen Schutz der Vereinten Nationen? Frau Mahlzahn, hilf!

Was wird.

Mit der ersten Verteidigungsministerin Deutschlands soll Ursula von der Leyen angeblich die Bundeswehrreform fortführen, die Thomas de Maizière als sein Lebenswerk angesehen hat. Da trifft es sich gut, dass bei Northrop Grumman der feierliche Start des NATO AGS-Projektes gerade über die Bühne gegangen ist. So kann von der Leyen beteuern, mit diesem Irrsinn nichts zu tun zu haben und sich realistischeren Drohnenprojekten zuzuwenden. Nein, gemeint sind nicht die Ideen von Amazon oder der Post-Tochter DHL. Hier hat gerade Groupon passend zum weihnachtlichen Gedränge und Kaufgerausche das technologisch überlegene Liefersystem vorgestellt, patentfrei seit Karlchen dem Eroberchen. Da ist doch dieses ISIS-Modul, das Kleinod deutscher Wehrtechnik, übrig geblieben vom längst vergessenen EuroHawk-Projekt. War was, was wird? Genau: Bis zum Jahresende muss das Verteidigungsministerium den Bericht vorlegen, wie es mit ISIS weitergehen soll. Oder soll das Kleinod im Trubel des Ministerwechsels – rotierende Lieblings-Staatssekretäre bitte nicht vergessen – etwa unter den Teppich rollen? Kann man sowas der arg gebeutelten deutschen Wehrtechnik antun, die verzweifelt um Aufträge ringt?

Dann lieber etwas Frieden. Lux vera, quae illuminat omnem hominem, schreibt der Papst auf seiner Weihnachtskarte, ohne zu erwähnen, dass er von Time zur Person of the Year gewählt wurde, gewissermaßen als würdiger Nachfolger des Personal Computers, der einstmals diese Wahl gewann und damit Steve Jobs auf Platz 2 verdrängte. Bei der Papstwahl musste Edward Snowden einfach unterliegen, was manchem Zeitgenossen nicht gefiel. Ob das nun ein Beispiel für die Verrottung des Journalismus ist, ist schwer auszumachen. "Empfehlenswert ist es, Geld in anderen Branchen zu verdienen und Journalismus als Hobby zu betreiben", twitterte jemand am Sonntag von der #Mobilizecon, nachdem der Referent zuvor das Ende des Journalismus verkündet hatte, ebenfalls inmitten des ungemein glaubwürdigen Twitterstromes: "How can you justify your actions as a journalist – people rather listen to their friends on social media than to journalists." Doch allem Ende wohnt ein kleiner Zauber inne. (jk)