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Was war. Was wird.

Seit es Parteien für Besseresser gibt, sind manche Publikationen auch nicht mehr das, was sie mal waren. Ahnung von IT oder einem Urheberrecht für Digitalien? Ach, Ahnung: Wo die Kommentarwichsmaschinen herschen, brauchts die nicht, befürchtet Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist kalt am Frühlingsanfang, doch die Sonne lacht am blauen Himmel über der norddeutschen Tiefebene. Freundlich winken die Windräder am wolkenlosen Himmel, ein leises Lüftchen über den güllegetränkten Feldern erinnert an Bio-Viagra, nur echt mit dem gemeinen Erd-Burzeldorn. Ein feiner Zug im stillen Niedersachsen, wo selbst Amokläufe weitab von Twitter, Presse und den notorischen Kommentarwichsmaschinen stattfinden. Dennoch liegt ein Wölkchen über der Tiefebene, von dem ich freilich nur nach einem Disclaimer berichten kann: Ich gehörte zu der Gruppe von Eltern, die es 2007 ihren Kindern untersagt haben, an den Befragungen in der Schule teilzunehmen, die das wesentlich vom Land Niedersachsen finanzierte Kriminalistische Forschungsinstitut regelmäßig durchführt. Mittlerweile sind meine Kinder groß genug und können selbst entscheiden, ob sie sich von Töpfchentheoretikern befragen lassen wollen.

*** Womit ich bei einer Befragung bin, die als eStudie in dieser Woche vom Bundesinnenminister und dem Studienleiter vorgestellt wurde, "einen Perspektivwechsel in Politik und Gesellschaft im Interesse der Inneren Sicherheit einzuleiten". Wir müssen in unseren Kindern nationalistische Monster sehen, denn die Studie sagt es klipp und klar: 6,0 % der Jugendlichen sind sehr ausländerfeindlich, 17,6 % sind nur ausländerfeindlich, ganz ohne dabei rechtsextrem zu sein. Diesen 23,6 % stehen 14,2 % gegenüber, die rechtsextrem und ausländerfeindlich oder sehr ausländerfeindlich sind. Dazu gibt es ausgleichend nur 10,7 %, die zwar schwer rechtsextrem, aber überhaupt nicht ausländerfeindlich sind, gewissermaßen internationalistisch gesinnte Nazis, die gerne Lonsdale und Thor Steinar tragen. Und weiter geht es: Jeder 25. Neuntklässler hat bereits eine ausländerfeindliche Tat begangen, 4,9 % der Jungen und 2,6 % der Mädchen dieser Klassenstufe sind Mitglied in rechtsextremen Gruppen und Kameradschaften. Das wären 34.000 Jugendliche, während der Verfassungsschutz in ganz Deutschland überhaupt nur 31.000 organisierte Rechtsextremisten kennt. Aber der hat bekanntermaßen kein vollständiges Bild, weil mehr damit beschäftigt, Fernsehen zu gucken und im Hellfeld zu gründeln. Die wagemutigen Forscher machen sich hingegen auf, das Dunkelfeld zu ergründen.

*** Womit wir fast schon beim alten Thema sind. Wie wäre es mit einer Befragung über das Ausmaß der Feigheit deutscher Politiker in einem Wahljahr? Nachdem all das Betroffenheitsgerede gründlich der Getroffenen gedacht hat und auch die bösen, blöden Journalisten wieder einmal zu blöden, bösen Journalisten erklärt wurden, die gefälligst wie sofortig abdanken sollen, kann sich der übliche Trott einstellen. Natürlich leicht verbessert mit dem zeitsparenden Anmeldeformular für Amokläufe und einem Formular fürs geschmeidige Geldangebote an Zeugen, um die man um ein Haar betroffen trauern hätte müssen. Natürlich gibt es in Zukunft Steigerungen der Geschichte, besonders die Sache mit Twitter ist ausbaufähig.

*** Dagegen ist die allgemeine Journalistenschelte amüsant zu lesen und komplett sinnfrei, weil von einem Qualitätsjournalismus die Rede ist, den es schon zu Lebzeiten von Karl Kraus nicht gab. Man kann auch bis zum großen Journalisten Stendhal zurückgehen, der Journalismus als die Bereitschaft zum Dolchstoß definierte: "Qui s'excuse, s'accuse." Als ich mit dem Journalismus begann, überfielen junge Molukker in den Niederlanden einen Zug und wir mussten zur Reportage raus. Gegen Geld der Fotografen setzten die "Befreiungskämpfer" schon mal die Waffe auf die Geiseln an. Später gab es Tote und eine aufgeregte Diskussion über journalistische Ethik, die bis zum Geiseldrama in Gladbeck wieder versandete. Seitdem wird der Spagat, wie die Ware Nachricht Gewalt und Leid behandeln kann, etwas sensibler geführt. Amüsant bleibt dennoch die Empörung all derer, die bei einer Flugzeuglandung im Wasser das Getwitter rühmen, sich aber schwer über die Twitter-Recherche nach Winnenden beschweren und Michael Moore auch noch für einen ehrenwerten Journalisten halten. Noch amüsanter als die Beschuldigungen und die Töne der Leberwürste, dass jeder Journalist in diesem Land verrecken möge sind die Berufszombies der Journalistenverbände. In dieser kritischen Zeit haben sie nichts Besseres zu tun, als sich gegen die Datenschutznovelle zu stellen, weil der Journalismus ohne Adressen-Bewerbung nicht überleben kann. Ekliger geht es nicht, wie man im Treueschwur zu den Drückerkolonnen lesen kann: "Es könne nicht im Sinne eines notwendigen Datenschutzes sein, durch überzogene Bestimmungen qualifizierte Arbeitsplätze in den Verlagen zu vernichten." Ja, da ist er, der Qualitätsjournalismus, der den Verlegern die Eier krault und nichts mehr vom Datenschutz wissen will.

*** Was haben das Marienhaus, Microsoft Deutschland, die Rentenversicherung Braunschweig-Hannover und Weleda, Herstellervon anthroposophischen Wässerchen, gemeinsam? Die Umstellung auf den Internet Explorer 8? Den Unwillen, in der Wirtschaftskrise für ein schlappes Logo 500 Tacken mehr zu bezahlen? Oder mit Galileo den Glauben daran, dass das Internet 20 Jahre alt wurde und Sir Berners-Lee eine Niete, die mit einer Erfindung nicht reich werden konnte? "Microsoft-Gründer Bill Gates aber erkannte sofort die Möglichkeiten des neuen Mediums." Nichts von alledem. Die genannten Firmen installieren im Auftrag von Ursula von der Leyen die Software Logib-D. Logib ist eine Erfindung der Nachbarn auf der anderen Seite des Bodensees, in die unser Finanzminister mit "Peitsche und Kavallerie" einrücken möchte, um namenlose Nummernkonten zu befreien. Logib steht für "Lohngleichheitstest im Beschaffungswesen", ist ein Excel-Programm und kann minutenschnell nachweisen, dass Männer 22 bis 23 % mehr verdienen als Frauen in vergleichbaren Positionen. Was dann mit der Erkenntnis passiert, ist den Firmen überlassen, nicht den Frauen. Die Daten unterliegen der Geheimhaltung der Personaler. Wie formulierte es von der Leyen, in einem anderen Kontext: "Wir wissen, dass wir es mit einem großen Markt für Voyeure zu tun haben. Im Internet /.../ wird auch das Bedürfnis gestärkt, Fantasien in der Wirklichkeit ausleben zu wollen."

*** Ich erwähnte aus ungegebenem Anlass Lester Bowie. Das machte Freude. Daher: Aus ebenso ungegebenem Anlass seien zwei andere Trompeter erwähnt, ohne die das Great American Songbook im 21. Jahrhundert nicht das wäre, was es ist. Russell Gunn, der mit seiner Ethnomusicology-Serie einen der Protagonisten einer Verbindung von Jazz mit Hip-Hop und R&B gibt. Terence Blanchard, dessen Musik manch einer schon in diversen Spike-Lee-Filmen als Soundtrack gehört haben mag, der mit Flow eines der besten Alben eines Jazztrompeteres der letzten Jahre ablieferte und mit A Tale of God's Will den musikalischen Kommentar zur Zerstörung von New Orleans abgab. Bei all dem Scheiß, der passiert, und all dem Mist, den die Kommentarwichsmaschinen dazu absondern, glaubt man doch noch an das Gute in der Welt, wenn man dieser Musik zuhören kann.

Was wird.

Alles was hinkt, hinkt. Seitdem die Vewertungsgesellschaft VG Wort einen Brandbrief an alle deutschen Journalisten und Autoren verschickt hat, in dem vor Googles Buchvertrag gewarnt wird, schwappen die Wogen hoch. Bemerkenswert viele Kommentatoren bringen das Kunststück fertig, die Geschichte mit Google zu einem Brei zu verrühren, in dem Open Access, Googles Vorstoß bei vergriffenen Büchern und die Privatkopie zu einem großen Haufen Mist zusammengerührt wird. Vorläufiger Höhepunkt ist ein Artikel in der tageszeitung, der mit dem Satz endet: "Die Google-Piraterie und der 'Open-Access'-Schwindel sind gefährlicher als die Piraterie entlang der somalischen Küste." So, wie diese Piraterie die Versorgung des Westens mit Öl bedroht, ist offenbar die Freiheit des Autors bedroht, seine Texte zu verwerten. Die dümmliche Argumentation der taz werten Wohlwollende als vorgetrunkene Schnappsidee zum 30. Geburtstag des Blattes für bornierte Stände, solcher Leute eben, deren ökologisches und bürgerrechtliches Bewusstsein sich im Wahlkreuz bei den Grünen erschöpft, solcher Leute, die eben diese Grünen zu einer FDP für Besseresser gemacht haben. Auf gleicher Höhe wie die taz bewegen sich die Auslassungen der FAZ, wenn diese blanken Unsinn schreibt: "Werden künftig Werke der Wissenschaft, der Literatur geschrieben, wenn sie sogleich Gemeingut im Internet sind?" Genau, solche Leute eben, die heute noch Speer-Freund Joachim Fest für den Inbegriff des vorbildhaften Bürgertums halten. Wer die Apokalypse beschwört, wird in den nächsten Tagen weiter hinken wie ein Duracell-Häschen.

Zur weiteren Vorschau sei an dieser Stelle eine etwas traurigere Rückschau angeregt. Die Gründung der Fraunhofer-Gesellschaft anno 1949 wird nächsten Donnerstag mit Aplomb gefeiert, während die von Edelgard Bulmahn betriebene GMD-Fusion längst geschmolzener Schnee ist. Dabei könnte man für die Enteignung der Informatik hübsche Bilder finden, die den somalischen Piraten gleichkommen. Und weil wir gerade bei den Fusionen sind, gehen die guten Wünsche natürlich an die blaue Sonne. (Hal Faber) / (jk)