Diskussionen über Menschenrechte sind schlecht fürs Geschäft

Entschuldigungen sind für Arme

Der US Supreme Court hat die Klage wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Mercedes USA abgelehnt. Die Betroffenen aus der regelgebenden Etage freuen sich, dass sie sich wie immer nicht verantworten müssen

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Von
  • Clemens Gleich

Dieser Tage hat der amerikanische Supreme Court entschieden, dass sich die Daimler-Tochter Mercedes Benz USA mit Sitz in Kalifornien nicht für Verhandlungen für Straftatvorwürfe gegen Daimler Argentinien vor Gericht verantworten muss. Ein mutiger US-Richter hatte das Verfahren bis an den obersten Gerichtshof gebracht, denn es gibt in den USA mit dem Torture Victims Protection Act und dem Alien Tort Statute juristische Handhaben gegen internationale Menschenrechtsverletzungen. Die Entscheidung des Gerichts, den Fall gar nicht erst zu verhandeln, folgt damit der Argumentation Daimlers und deren Unterstützern: Wenn man für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden kann, ist das schlecht fürs Geschäft. Wer Wirtschaftsgrößen und andere Ballungen von Einfluss beobachtet, wird sich über diese Entscheidung nicht wundern.

Große Firmen zu be- oder verurteilen ist schon moralisch nur kategorisch undifferenziert möglich, weil dort praktisch immer auch gute Menschen arbeiten. Viele Kollegen vom Springer-Verlag sind gute Menschen und Freunde, denen ich jederzeit eine Couch zum Übernachten geben würde, auch wenn die Bild unzweifelhaft ein Organ der Niedertracht ist, das sein Geld mit den gemeinsten Gefühlsregungen des Mobs macht. Es gibt allerdings einfach mehr im Verlag als die Bild. Alle deutschen Autofirmen haben den Krieg mit Waggonladungen voller Nazi-gesponsertem Kapital verlassen, das einmal blütenrein gewaschen dann das Wunder sein durfte, das die Wirtschaft antrieb. Gemauschel gibt es nicht nur überall, sondern das Gemauschel ist unsere Politik. Das finden weltweit die Entscheider aus der regelausgebenden Etage super so, deshalb kann ich da als einfacher Beobachter aus der regelgebundenen Etage nicht viel daran machen. Was ich allerdings noch darf: mich empören.

Folter, Vergewaltigung, Mord, Verschleppung, Kindsraub

Was ist so empörend am Fall Daimler Argentinien? Zunächst die Zeit, die Umstände der Vorfälle: Es geht um die Zeit von „Operation Condor“ in Südamerika, als rechtsextreme Diktaturen dort mit großzügiger Unterstützung aus dem Westen unter der Vorgabe, gegen Kommunistenterroristen zu kämpfen gegen ihre ganz normalen Bürger kämpften, sobald sie ihnen auch nur einen Deut unlieb wurden. Todesschwadronen zogen nachts Männer und Frauen aus ihren Familien, folterten sie auf erniedrigendste, widerlichste Arten und warfen sie danach aus einem Flugzeug oder verscharrten sie irgendwo. Gerne kassierten die Folterknechte Frauen ein, weil sie die beliebig brutal vergewaltigen konnten. Die gelegentlich daraus entstehenden Kinder wurden gern an kinderlose Funktionäre vermittelt. Daimler Argentinien lieferte an dieses metaphorische Messer im vollen Bewusstsein der Konsequenzen Mitglieder des unbequem gewordenen Betriebsrates aus, so der Vorwurf. Ebenso tauchten Folterbabies in Daimler Argentiniens Manager-Kreisen auf. Die Beweislast hierzu finde nicht nur ich erdrückend. Die Beweislage ist natürlich irrelevant, wenn der Fall gar nicht erst verhandelt wird.

Verstehen wir uns richtig: Es geht hier nicht um einen obskuren Nachbarschaftsstreit von Annorübezahl, sondern um die Tochter eines der deutschesten Unternehmen überhaupt in den Siebzigern und Achtzigern. Die Betroffenen leben noch – zumindest die, die nicht wegen Aufmüpfigkeit einfach verschwunden sind. Was ich bei solchen Fällen immer schwer verstehe, ist die empörende Attitüde der Herrschenden. Sie wissen um ihre Unantastbarkeit, die sie grinsend über solche Kläger ergießen wie einen großzügigen Schluck Waterboarding-Wasser.

Helft uns, euch hinzunehmen

Wir haben verstanden, dass ihr nicht belangbar seid. Aber, liebe Daimlers: Muss es wirklich diese argentinische Attitüde sein? Das ist Life Trolling, Level „Menschen ohne Einfluss sind uns so scheißegal, dass uns auch scheißegal ist, dass sie sehen, wie scheißegal sie uns sind“. Eine Entschuldigung kostet euch keinen Cent. Ihr müsst sie noch nicht einmal ernst meinen, ihr müsst sie nur auswendig aufsagen. So eine kleine Geste würde uns in der regelgebundenen Etage helfen, länger hinnehmend stillzuhalten. Das ist doch bitte in eurem Interesse.

Stattdessen übt sich Daimler in Desinformation. Als die einzige mir bekannte deutsche Investigativ-Journalistin Gaby Weber sich in Daimlers Waden verbiss, gab es ein bisschen Aufmerksamkeit, genauso wie zur US-Sammelklage. Da versprach man in Schwaben, die Sache aufzuklären. Das sah dann so aus: Eine Firma, die auch sonst für Daimler Werbefilme dreht, plagiierte in dreister Weise Frau Webers Dokumentation von 2003. Die Daimler-kritischen Stellen ließen sie dabei einfach weg. Das Leben kann so leicht sein, wenn man unbelangbar ist. Ich mache keinem Daimler-Arbeiter einen Vorwurf, aber ich mache jedem Daimler-Top-Manager einen Vorwurf, denn „wir haben von nichts gewusst“ nehme ich euch auch hier nicht ab. Bestenfalls wolltet ihr es nicht wissen. Wahrscheinlichstenfalls wolltet ihr es einfach nicht vor Gericht öffentlich diskutiert wissen. Schämt euch. (cgl)