4W

Was war. Was wird.

Soll ich mir volle Kanne die Kirsche geben? Hal Faber zweifelt, denn wer weiß, was die angstverzagte Volksseele noch so alles anstellt. Da muss noch so mancher gordische Knoten enttüddelt werden, und wenns nur ums vermeintlich geistige Eigentum geht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 55 Kommentare lesen
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eine kleine Warnung vorab: Diese kleine Wochenschau befasst sich mit der Europameisterschaft. Ich geb mich die Kirsche, volle Kanne. Wer das Thema schon satt hat, und feinsinnige geschmackvolle Sätze mit einem Punkt und vielen, vielen Kommas über die norddeutsche Tiefebene lesen will, in der unsere Treitschkestraße den Zusatz "agitierte für eine totale Assimilation aller Juden" bekommen soll oder einfach nur andere kluge Sätze, der klicke auf die wundervoll interaktive Landkarte deutscher Blogs. Hier in der norddeutschen Tiefebene wird nachgetreten, ich lass mir doch meinen Spass an Oranje nicht verderben. Apropos "Nachgetreten", da muss man der klugen Zeitung zustimmen: Wer sich in die gleichnamige Sendung verschaltet hat, hat das beste Argument gesehen, warum man ARD und ZDF das Anbieten von Angeboten verbieten sollte. Wobei die Zeitung ihren klugen Kopf natürlich auch wieder nur in eine Richtung dreht: Lieber Waldi Hartmann als Kai Übel, müssten man mit einer leichten Rechts- oder Linksdrehung des klugen Hauptes hinzufügen. Und zu Matze Knop hat ausnahmsweise Stefan Niggemeier schon letzte Worte gesagt. Nur bei Oliver Poschmann finde ich wirklich niemanden, der bei den Privatsendern noch schlimmer wäre, obwohl das doch sonst immer allzu leicht gelingt.

*** Doch das mit den Öffentlich-Rechtlichen und so soll ja die Marktwirtschaft regeln, die bei uns bekanntlich eine besonders soziale ist. Angela Merkel hat eine große Rede zu dieser Form des Wirtschaftens gehalten, bei der Politiker in Unkenntnis wichtiger Einzelheiten am Rad drehen. Doch wen interessiert das schon, wenn der Ball rollt? Merkels Rede bringt es auf den Punkt:

"Ich lese Ihnen mal ein paar Namen von sehr erfolgreichen Mitbürgern vor: Mario Gomez, Oliver Neuville, Miroslav Klose, Kevin Kuranyi, Lukas Podolski. Das ist der deutsche Sturm bei der Fußball-Europameisterschaft. Diese Landsleute zeigen, welche Leistungsbereitschaft in uns und auch in den Menschen steckt, deren Wurzeln über Deutschland hinausreichen. Es ist mir übrigens aufgefallen, dass es in der Abwehr kaum oder gar keine Migranten gibt. Das soll in diesen Tagen einmal entschuldigt sein. Unsere Abwehr ist auch der einzige Teil der Gesellschaft, den wir uns ohne Durchlässigkeit vorstellen können."

Soso, die Abwehr ohne Durchlässigkeit, komplett aus Recken mit Wurzeln in deutscher Erde gebildet, immer bereit für die Blutgrätsche? So, wie Metzelder und Janssen im Spiel Köm gegen Sliwowitz stehen geblieben sind, könnte etwas dran sein mit den Wurzeln im Boden. Wer hier vom deutschen Rumpelfußball spricht, hat keine Ahnung. Rumpeln, das war früher das Reiben der Wäsche auf dem Waschbrett, eine vergleichsweise elegante Tätigkeit. Bald sind Ballack und Co aus dem Turnier verschwunden wie unsere Schweizer Nachbarn, die immerhin (zusammen mit Dänemark) Weltmeister sind, im Glücklichsein. Et tu, felix austria ... Ach lassen wir das. Mit einem austriakischen Fähnchen am Fahhrad traue ich mich derzeit doch nicht auf die Straße, wer weiß, zu was die angstverzagte Volksseele so fähig ist.

*** Dass aus Hochachtung vor dem Gebolze der Deutschwurzler der Fingerabdruck im neuen Personalausweis optional ist und durch einen Fußabdruck ersetzt wird, ist leider nur ein Gerücht, aber ein besonders hübsches. Zur Feier dieser Nachricht hatte die kluge FAZ den Fußabdruck von Podolski am Donnerstag auf Seite eins gehoben, doch schnell wurde das Gerücht enttarnt. In jedem Fall war die Fußschau besser als das Märchen, der optionale Abdruck der erkennungsdienstlichen Behandlung aller Bundesbürger sei eine Konzession an die SPD. Die hatte sich in den Koalitionsverhandlungen gegen die zentrale Fingerabdruckdatei gewehrt, die CDU/CSU einrichten wollten. Die Wahrheit dürfte eher darin liegen, dass die notwendige Lesegeräte mit Finderabdruckprüfer mit 600 Tacken schlichtweg zu teuer für die flächendeckende Ausstattung der Länderpolizeien ist.

*** Halten wir darum fest, was die Grammatologen längst wissen: dass aus einem Optativ jederzeit ein Imperativ werden kann und das Plätzchen für die Fingerabdrücke auf dem Ausweis für künftige Befehle bereits reserviert ist. Optional ist übrigens auch die qualifizierte digitale Signatur, die sich jeder Bürger auf den Personalausweis legen lassen kann, wenn er sie nicht in der ausgerollten Gesundheitskarte haben will. Ein hübsches Märchen erzählte darum CDU-Experte Hans-Peter Uhl im Rundfunk von der Nutzung des Ausweises im Internet für Behördengänge bei Tag und Nacht, wo der Fingerabdruck gefragt sei: "Der rechtstreue Bürger muss selbst ein überragendes Interesse daran haben, dass mit seiner Identität kein Schindluder getrieben oder gar eine Straftat begangen werden kann." Deutsche Wurzeln, deutscher Verstand und heiliger deutscher Eulenspiegel!

*** England gilt als das Mutterland des Fußballs, ihm verdanken wir die Abseitsregel, die Trillerpfeife und die erfrischende Regel, dass der Ball frei von Fingerabdrücken vor das Tor getrieben werden und dort versenkt werden muss. Aus all diesen Regeln hat Bundeslöwe Jogi eine hochkomplexe Mindmap entwickelt, die in einem einzigen Satz besteht: "Der Ball muss ins Tor (Gegner)." Feiern wir England, feiern wir Runnymede, wo heute vor 793 Jahren die Magna Charta besiegelt wurde, das erste Dokument in der Geschichte der Menschheit, das festhält, dass Untertanen Rechte haben, die die Regierenden nicht wegnehmen können. Dass es ein Recht auf ein Gerichtsverfahren gibt und willkürliche Verhaftungen verboten sind, sagt diese Magna Charta, die heute keineswegs selbstverständlich ist, wie das Guantanamo-Urteil zeigt. Auch in Deutschland tut es gut, sich an die Geschichte zu erinnern, wo unsere Verfassungrichter richtig merken, dass der Computer ein ausgelagerter Teil des Körpers geworden ist. Was Politiker offenbar vom Körperbau her nicht verstehen wollen.

*** Irland verdanken wir übrigens den Elfmeter. Die aufgeregten Klagen, dass Irland mit seiner Entscheidung gegen den Reformvertrag der EU einen satten Knaller ins Tornetz gesetzt hat, vergisst gerne die Ablehnung der EU-Verfassung durch Frankreich und durch die Niederlande, lange bevor sie Europameister wurden. Wahrscheinlich wären noch ganz andere Länder bei den Neinsagern, wenn Politiker den Mut hätten, die europäische Frage vom Volk beantworten zu lassen. Gegenüber der Betonung, dass Europa mehr Gewicht haben müsse in der Welt steht die Nokiaerfahrung, dass Europa erstens knallharter Wettbewerb ist, ganz ohne soziale Abfederungen und zweitens der Aufbau eines Sicherheitsraumes mit umfassenden Datenbanken. Europa ist zuallererst Europameister im Überwachen, ein Gebilde, in dem man leicht Paranoia bekommt, wenn man die Nachrichten zur EU-Polizei liest.

*** Während ganz Deutschland über die Befindlichkeit des Görlitzers Michael Ballack rätselt, schafften es die Datenspuren nicht einmal in diesen kleinen Newsticker und das, obwohl Dresden die Bundeshauptstadt der IT-Branche ist. Vielleicht ist alles eine Sache der Wahrnehmung, wenn man nicht auf den Schultern von Riesen steht, sondern in einer Tiefebene lebt, die der Bitkom als Wüste bezeichnet. Vielleicht braucht die Diskussion zum zeitgenössischen Datenschutz mehr als Web-Formulare und Demonstrationen. In Dresden beneideten die Datenschützer die Naturschützer von Greenpeace, weil erschlagene Robbenbabys gar nicht süß aussehen und Kampagnen fördern, während die erschlagene Privatsphäre nicht einmal am Klick im Telefon zu hören ist. Selbst die neuesten Nachrichten vom Telekomgate-Skandal sind blutarm. Findet Datenschutz nicht statt, so gibt es keine Leichen, nur Aussetzer wie im Ärzte-Song im Axel-Springer-Remix, wenn ihn Antenne Bayern spielt. Wo bleibt da der erschlagene Datenkörper?

Was wird.

Ja, es kommt der Montag, an dem die Eule der Minerva den Kopf wegdreht, wenn Riesling gegen Veltliner spielt in der Todesgruppe. Begrabt mein Herz an der Biegung von Còrdoba. Doch halt! Es gibt noch Hoffnung, Robbenbabys! Solange die "Ösis" über ihr schönes Festival Pressemitteilungen verschicken, die mit dem Komedanquetscher bearbeitet werden müssen, hat der Ball 90 Minuten, bis ein Spiel rund ist. Jeder gordische Knoten kann enttüddelt werden, so auch dieser von der Ars Electronica, in dem Menschenleben geopfert werden und ein blutiges Venedig beschworen wird. Oder so:

"Dennoch: Auch nach dem milliardenschweren Debakel der Musikindustrie verweigern die angestammten Lobbys jedes konstruktive Mitgestalten dieser neuen Cultural Economy. Im Gegenteil, man leistet erbitterten Widerstand und hält kompromisslos fest, an patentrechtlichen Regeln, die bisweilen auf das Venedig des 15. Jahrhundert zurückgehen. Ja opfert sogar Menschenleben auf dem Altar der rechtlich geschützten Gewinnmaximierung, wenn westliche Pharmakonzerne das Kopieren ihrer teuren Medikamente verhindern. Egal wie verzweifelt diese Old Generation auch versucht, nochmals all ihre Schutzmechanismen des vergangenen Jahrhunderts aufzufahren und bis ins Absurde verschärfte Gesetzgebungen gegen filesharing und downloads zu etablieren – die Neuordnung des Schutzes geistigen Eigentums ist längst zum gordischen Knoten unserer global vernetzen Wissensgesellschaft geworden." (Hal Faber) / (jk)