Regulierer und Provider streiten über EU-Regulierungen

Mit neuen Marktregeln will die EU den IT-Sektor in Europa stärken. Eine Konferenz in Brüssel zeigt: Die Reform ist nur ein Anfang.

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  • Torsten Kleinz
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Während die Initiative "Single Market" der Europäischen Kommission im zuständigen Ausschuss des Europaparlaments zur Verabschiedung vorbereitet wird, diskutieren Provider, Regulierer und Wissenschaftler in Brüssel auf einer Konferenz des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) die Zukunft der Regulierung. Sicher ist: Die Anforderungen an den Markt steigen und die Geschäftsmodelle von früher rechnen sich nicht mehr.

Welche Anforderungen auf die Provider und Politik zukommen, stellte Cisco-Manager Robert Pepper vor. Cisco kommt in seinem Visual Networking Index nicht nur auf einen enormen Anstieg des weltweiten monatlichen mobilen Datenvolumens von 2,6 Exabyte in diesem Jahr auf 15 Exabyte 2018. Gleichzeitig ändern sich auch die benutzten Geräte: Machine-zu-Machine-Kommunikation und "Wearables" wie Fitness-Armbänder werden immer größere Anteile am Datenmix übernehmen, reine GSM-Telefone sterben in Industrieländern hingegen aus. Traffic-Treiber sind nach wie vor Internet-Videos.

Elementar für die Entwicklung sind für Pepper schnelle 4G-Mobilfunknetze. Er plädiert dafür, diese möglichst von Regulierungen freizustellen. So präsentierte er als positives Beispiel Australien, das es den Mobilfunkunternehmen selbst überlassen habe, wie sie die Frequenzen nutzen wollten. Doch selbst im besten Fall reiche der Mobilfunk nicht aus. "Jeder Provider investiert derzeit in WLAN-Netze – weil sie es müssen", sagt Pepper. in Deutschland arbeiten bereits Telekom und Kabel Deutschland daran, ihre Kundenbasis zu nutzen, um möglichst dichte WLAN-Netze aufzubauen. Laut Cisco-Projektion wird in Zukunft weniger als die Hälfte des Mobilverkehrs über die Mobilfunknetze abgewickelt.

"Jeder Politiker befürchtet, im Bereich IT zurückzufallen", sagt Pierre Larouche, Wettbewerbsrechtler an der Universität Tilburg. "Die Industrie versucht das natürlich auszunutzen." Doch statt allen Anforderungen der Industrie entgegenzukommen, rät Larouche dazu, einen kühlen Kopf zu behalten. Dass Europa tatsächlich so stark hinter anderen Ländern zurückliegt, wie in der öffentlichen Diskussion dargestellt, sehen nicht alle Teilnehmer. "Was die tatsächliche Breitbandgeschwindigkeit angeht, steht Europa anderen nicht hintenan", erklärt Ilsa Godlovich vom WIK. Doch bei der Nutzung der Bandbreite hinken die Europäer anderen Nationen doch hinterher. Ihr Fazit: Die EU-Regulierung im derzeitigen Zustand ist zumindest nicht grundsätzlich auf dem falschen Weg.

Industrievertreter sind anderer Ansicht. So machte Kip Meek, Berater des britischen Mobilfunkers EE darauf aufmerksam, dass die Branche zwar Gewinne mache, aber nicht genug. So reichten die zirka 20 Prozent Gewinne vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA), die britische Mobilfunker erzielten, um profitabel zu sein. Doch um die Kapitalkosten bedienen zu können, seien 25 Prozent EBITDA notwendig. Zudem warf er der EU vor, sich bei der Wettbewerbsaufsicht zu sehr darauf zu konzentrieren, die Wünsche der Verbraucher zu erfüllen statt die Funktion des Wettbewerbs sicherzustellen. "Ich bin mir nicht sicher, ob das der richtige Weg ist", sagte Meek.

Gerade die von EU-Kommissarin Neelie Kroes vorangetriebene Streichung der Roaming-Gebühren stößt auf Widerstand bei den etablierten Telekommunikations-Unternehmen. Sie drängen auf Ausgleich – sei es durch gelockerte Regulierungen für sich selbst, priorisierte Vergabe von Funkspektrum oder vereinfachte Unternehmenszusammenschlüsse. Zudem wollen sie mit den Unternehmen, die "over the top" (OTT) – also auf den Datenleitungen der Telecom-Unternehmen ihre Gewinne machen – regulatorisch gleichgestellt werden. So beklagte Marc Lebourges vom französischen Provider Orange die Konkurrenz durch Skype, Whatsapp und Co. Seine Lösung: Die klassischen Telecom-Regularien sollten aufgehoben werden – nur der direkte Netzzugang sollte der direkten Kontrolle unterliegen. Als er gefragt wurde, ob damit auch die Interoperabilität der Telefon-Sprachdienste über Provider- und Landesgrenzen abschaffen wolle, meinte Lebourges: "Ich sehe keinen Grund, warum unsere Dienste interoperabler sein sollten als andere."

Solchen Ansprüchen erteilte Göran Marby, Vorsitzender der Schwedischen Post- und Telekommunikationsbehörde und Vorsitzender des Gremiums der europäischen Regulierungsbehörden (BEREC), eine Absage. Die sinkenden Gewinne der Telekommunikationsunternehmen seien keinesfalls nur die Schuld der Regulierer. Regulierer müsste nicht nur auf den Wettbewerb, sondern auch auf die Bedingungen für Verbraucher schauen. "Es tut mir leid, aber Telekommunikation ist ein gereifter Markt", sagte Marby. Hier sei es normal, dass die Unternehmen mit sinkenden Gewinnen zu rechnen hätten.

Eine zwingende Notwendigkeit für neue Telecomgiganten zum Breitbandausbau sieht er nicht: In Schweden sei er gut vorangekommen, obwohl die verlegten Glasfasern 180 unterschiedlichen Unternehmen gehörten. Gleichwohl sieht er die Konkurrenz zwischen den Telekommunikations- und den Content-Unternehmen, die zunehmend im gleichen Markt operieren und unterschiedlichen Regulierungen unterliegen. So muss Netflix beispielsweise keine Regionalprogramme ausstrahlen, wie es europäische Kabelprovider tun müssen. Seine Antwort ist es, die Regulierung nicht zusammenzuschrumpfen, sondern auf neue Bereiche auszudehnen. Beispielsweise müsse Europa dafür sorgen, dass seine Startups besseren Zugang zu Kapital bekommen, um der US-Konkurrenz Paroli zu bieten. (anw)