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Was war. Was wird.

Manche IT-Experten erscheinen Hal Faber als nichts anderes als Wirbellose und Kriechtiere. Die Frage bleibt, wie weich und wirbellos mancher Experte denn noch werden kann.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Einsamer Web-Wanderer, kommst du in die norddeutsche Tiefebene, verkündige dort, du habest niemanden gesehen, als das Gesetz diskutiert wurde." Diese spartanische Inschrift könnte man am Bundestag anbringen, zum Gedenken an die erste Lesung des Gesetzes zur Abwehr des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt. Gähnend leer der Saal, als auf der 170. Sitzung von einer Handvoll Politiker und Politikerinnen ein Gesetz diskutiert wurde, zu dem es angeblich keine Alternative gibt. Ein schlichtes, ganz normales Polizeigesetz eben, wie es wiefelspützbubisch heißt. Alles normal und völlig paletti, aber gleichzeitig doch das wichtigste Sicherheitsgesetz der letzten 20 terrorfreien Jahre, das nur noch klitzekleine Schönheitskorrekturen braucht und ganz, ganz, schnell umgesetzt werden muss. Ob es da nun nur zwei Online-Durchsuchungen im Jahr (Bosbach, CDU) oder 10 bis 15 (Ziercke, SPD) gibt, ist fast schon nebensächlich bei unserem schönen neuen B-KAchelon, wie ein Blick in die anschwellende Terrorwelle der letzten Woche zeigt. Gegen das triste Bild aus dem Deutschen Bundestag hilft die Erkenntniss nicht viel, dass es am 11. Oktober wieder eine zentrale Demonstration in Berlin geben wird, diesmal sogar im Rahmen eines europäischen Aktionstages. Denn was die Politik von mündigen europäischen Bürgern hält, wurde in der abgelaufenen Woche hinreichend deutlich.

*** Nicht nur das B-KAchelon, auch das Swechelon sorgte in dieser Woche für ordentlichen Diskussionsstoff, auch wenn das Überwachungsgesetz schon 2010 überprüft werden soll. Inmitten der aufgeregten Debatten über die Orwell-Gesellschaft in Schweden wird dabei völlig vergessen, was die IT-Experten vor einem Jahr in der Reichtagsanhörung zu Protokoll gaben: Dass "es technisch nicht möglich sei, zwischen nationalen und internationalen Mails so zu unterscheiden, dass die Suchprogramme der Funkabhöranstalt die innerschwedische Kommunikation von der Überwachung ausnehmen können." Die entsprechenden Gutachten waren soooo 2007. 2008 sind die meisten IT-Experten der Meinung, dass es technisch sehr wohl klappen kann, weil vorab definierte Filter zuverlässig ausländische Begriffe, Zahlenkombinationen oder andere Codes abfangen können. Entweder hat sich die Filtertechnik dank Forschungen von Google und Co. wirklich unerhört rasant entwickelt, oder wir haben den Beweis geliefert bekommen, das IT-Experten zur Gattung der Wirbellosen und Kriechtiere gehören.

*** Ein Blick in die Juni-Ausgabe der schwedischen Nordicom Review ist dabei ganz aufschlussreich. In ihr analysieren Kommunikationswissenschaftler in einer Langzeitstudie anhand von Nachrichtensendungen, wie Schweden, Dänen und Briten über Europa informiert werden und welche Positionen ihre Länder gegenüber der EU einnehmen. Die Schweden sind dabei der "moral global villager", die immer den "guten Europäer" geben, auch wenn "die da in Europa" noch nicht alles richtig machen. Schweden, ein Land, das keine Steuergeheimnisse kennt und keine Mail-Geheimnisse akzeptieren will, sieht sich dabei immer noch im Kampf gegen Russland und macht allen vor, wie man es richtig macht. Übersetzt auf die Nachrichten dieser Wocher: Die im Kalten Krieg so wichtige Funkabhöranstalt ist eine moralisch ehrbare Einrichtung, die jedem europäischen Staat gut zu Gesichte steht. Schweden kennt übrigens kein Verfassungsgericht, weil der Staat ja alles richtig macht. Gegen Schwechelon hilft nur der Gang vor den europäischen Menschenrechtsgerichtshof, ausgerechnet.

*** Alter Schwede, wird sich Lukaschenko gedacht haben, wir können das besser. Ab sofort hat Weißrussland ein Mediengesetz mit Internet-Zensur, ganz nach dem Vorbil des großen chinesischen Firewalls. Eine Verunglimpfung des Staatspräsidenten reicht aus, die Server zu schreddern, was nicht besonders schwierig ist, wenn alle Informationen im Internet als Medien definiert sind. Das ist extrem. Doch wer den Blogger-Fragenkatalog studiert, der in dieser Woche in einem Unterausschuss des Bundestag diskutiert wurde, kommt nicht umhin, die nackte Angst zu wittern, die die seriöse Kommunikation über wohldefinierte Schnittstellen durch das Gewölle im Internet bedroht sieht. Die Zumutung der Nähe ist greifbar.

*** Zum 110. Geburtstag von Erich Maria Remarque kann man die Geschichte von remarque.org goutieren, die zeigt, wie sich das andere Internet entwickelte. Oder man kann die Austellung am Rande der norddeutschen Tiefebene besuchen, die Bilder vom eingebetteten Robert Capa zeigt. Als Journalist muss ich ein kurzes, ungerechtes wie ungerades Geburtstagsständchen für Samuel "Billy" Wilder loswerden, den legendären Reporter, dem es gelang an einem einzigen Tag Richard Strauss, Arthur Schnitzler und Alfred Adler zu interviewen. Nur Sigmund Freud spielte nicht mit und warf ihn raus, weil Wilder für die Boulevardzeitung "Die Stunde" des berüchtigten Imre Békessy arbeitete. Unpassend und unglücklich muss der Tod von Titi Winterstein gemeldet werden, der erst in dieser Woche bekannt wurde. Er konnte noch im letzten Jahr mit einem wunderbaren Auftritt sein Bühnenjubiläum feiern. In Erinnerung bleiben seine großen Aufritte für die Grünen und die Friedensbewegung, die Besseres verdient hatte als das Bots-Gelalle vom weichgespülten Wasser, das den Stein bricht. Je veux qu'on baise sur ma tombe, leider nicht frei verfügbar, wird uns bleiben müssen als Andenken an einen, der bis zuletzt im Wohnwagen auf die Fahrt ging, als Überlebender eines großen Clans, der von den Nationalsozialisten vernichtet wurde.

*** Nicht weniger unpassend ist ein Tauchunfall. Esbjörn Svensson fiel ihm zum Opfer, und wir trauern um ihn – und damit auch um ein Trio, das einen der beiden Pole darstellte, die definieren, was heute das Jazz-Trio in klassischer Besetzung Klavier, Bass, Schlagzeug ausmacht. Schien das Esbjörn-Svensson-Trio mit Viaticum auch in Beliebigkeit und musikalisches Gelalle abzudriften, so demonstrierte e.s.t. dann mit Live in Hamburg souverän ihre Bedeutung an der Seite oder eben als Gegenpol von Jarrett/Peacock/DeJohnette. Eine große Lücke, eine nicht zu füllende Lücke, eine Lücke, die uns noch lange weh tun wird.

Was wird.

Im Westen nichts Neues? Von wegen: Es gibt Krieg. Nein, damit ist nicht das EM-Match Deutschland - Türkei gemeint, bei dem Rumpelfußballer Frings wieder das deutsche Spiel zerstören darf, damit die Türken weiter kommen. Es gibt wirklich Krieg, nur keiner schaut wirklich hin, weil es eine Neben-Sächlichkeit ist. Unser schönes mobiles Hannover liegt bekanntlich in Niedersachen, in dem Bundesland, dass sich nun offiziell als Bundeswehrland bezeichnet. Auch Hannover ist wehrtüchtig, wie sich unschwer an der Hammersteinstraße erkennen lässt. Nämliche wehrhafte Bundeswehr mit Kämpfern aus dem Bundeswehrland wird ab Juli in Afghanistan mit einer Quick Reaction Force ins Feld ziehen. Endlich wird ordentlich gekämpft, wenngleich nur mit einer leichten Infanterie als "Feuerwehr", in der schwarzrotgoldenen Tradition der lützowschen Jäger die Demokratie entwickelnd. Man sollte sich keinen Illusionen hingeben, dass dabei aus Wasserpistolen geschossen wird.

Jegliche Kritik an dem Einsatz ist verboten und ist am besten, wie Bundeswehr aktuell (PDF-Datei) schreibt, beim "Beirat Innere Führung" abzugeben. Das ist auch gut so: 3000 Euro Disziplinarstrafe wegen der Verletzung der soldatischen Zurückhaltungspflicht muss Oberstleutnant Jürgen Rose zahlen, der bei der Pflicht zum treuen Dienen schluderte. Er machte auf den Absender einer rechtsradikalen E-Mail aufmerksam, mit der er bedroht wurde. Pech für Rose, dass der Absender ein KSK-Hauptmann war. Augen geradeaus und Schnauze zu! Strammgestanden, wenn unser Außenminister in der kommenden Woche verkündet, dass die Truppenstärke um 1000 Soldaten angehoben wird. Am Hindukusch wird vor allem das Kuschen verteidigt. So gerne ich mit Shakespeare die Wochenschau beende, so unvermeidlich muss – SCO ist abgeschlafft – Geheimrat Goethe ran, die Worte zum Sonntag zum Krieg zu reimen, in dem die deutsche Sicherheit irgendwo in Afghanistan flöten geht:

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei
Die Völker aufeinanderschlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus
Und segnet Fried und Friedenszeiten.
Herr Nachbar, ja! so laß ichs auch geschehn;
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinandergehn;
Doch nur zu Hause bleibts beim alten!

Aber was bleibt schon beim alten, wenn rumpelfüßige Holländer von jungen Russen schwindelig gespielt werden. Beim alten bleibt da nix, aber wenigstens gibt es wohl keinen Krieg, dafür aber wird ein EM-Endspiel Türkei - Russland immer wahrscheinlicher. Das wird ein Fest. (Hal Faber) / (jk)