Internetexpertin fordert neue Aufsichtsinstanz fürs Netz

Das Internet sollte möglichst unter Beteiligung aller Interessensvertreter reguliert werden, besagt der vielbeschworene Multi-Stakeholder-Ansatz. Doch dessen Potenzial ist noch nicht bewiesen, wurde auf einem Workshop deutlich.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 14 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann ruft nach einem internationalen Pendant für ein "Normenkontrollverfahren" für die Netzregulierung. "Es bräuchte eine Art Internationalen Gerichtshof fürs Internet", erklärte die Direktorin des Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft am Mittwoch auf einem Workshop zur künftigen "Regierung" des Netzes in Berlin. Nötig sei eine Aufsichtsinstanz, die bei Problemen etwa mit der Einrichtung von Top Level Domains oder anderen Regulierungsvorgaben angerufen werden könnte.

Michael Rotert, Christian Mihr, Heidi Fritze, Hubert Schöttner, Jeanette Hofmann (v.l.)

(Bild: Stefan Krempl)

Hintergrund der Forderung ist die Ankündigung der US-Regierung, die Verantwortung für zentrale Teile der Internet-Infrastruktur aufgeben zu wollen. Damit habe sich die Einstellung gegenüber dem Multi-Stakeholder-Modell "komplett gedreht", meinte Hofmann. "Alle sprechen sich jetzt dafür aus." Beim Multi-Stakeholder-Modell, das immer wieder eng mit der Netzregulierung verknüpft wird, werden alle Interessengruppen aus Politik, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft in die Entscheidungsfindung eingeschlossen.

Hofmann begrüßte die Wende, gab aber zu bedenken, dass "wir noch wenig über die Leistungsfähigkeit solcher Modelle wissen". Sie warf die Frage auf, ob nicht eine Instanz erforderlich sei, "die auch mal die Notbremse ziehen kann".

Hubert Schöttner vom Bundeswirtschaftsministerium betonte, dass der Regierungsbeirat der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) den Entschluss der USA "positiv aufgenommen" habe. Es wäre aber problematisch, wenn künftig etwa auch für Länderdomains wie .de ein Multi-Stakeholder-Gremium die Regeln aufstellen würde. Es sei wichtig, dass diese weiter unter nationaler Souveränität liefen. Eine weitere "rote Linie" stelle eine unangemessene Pflege der Rootzonen-Server und der IP-Adressvergabe dar. Wenn die USA wie bisher diese Bereiche kontrollierten, wäre das auch nur "die zweitbeste Lösung". Es komme nun darauf an, innerhalb der ICANN eine Art Gewaltenteilung einzuführen.

Über die Zukunft der Netzregulierung will das Multi-Stakeholder-Jetset am 23. und 24. April in Sao Paulo auf der NetMundial debattieren. Die brasilianische Regierung und die ICANN hatten die Konferenz nach den Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden einberufen. Derzeit werden die von Interessenvertretern eingereichten gut 180 Beiträge, unter denen auch ein deutsches Prinzipienpapier ist, von den Organisatoren gesichtet und zusammengefasst. Eine vom Tagungskomitee freigegebene Version soll dann zur öffentlichen Kommentierung online gestellt werden. Ziel ist es, auf dieser Basis einen Regelkatalog sowie einen zugehörigen Fahrplan zu erstellen.

Noch unklar ist, wie sich die NetMundial auf den Prozess des Internet Governance Forums (IGF) oder die nächste einschlägige Konferenz der International Telecommunication Union (ITU) im Oktober auswirkt. Im Gegensatz zur Brasilienkonferenz könnten auf dem IGF, das in diesem Jahr in der Türkei stattfinden soll, die mit Websperren für Aufsehen sorgt, nur begrenzt Beschlüsse gefasst werden, räumte Schöttner ein. Dirk Brengelmann, Beauftragter für Cyber-Außenpolitik der Bundesregierung, brach trotzdem eine Lanze für das Forum, da dieses "als Austauschbörse" bedeutsam sei. In bilateralen Treffen sei auf dem jüngsten IGF auf Bali auch die Idee der NetMundial konkretisiert worden.

Wenig verspricht sich Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco von der brasilianischen Tagung. Eine einfach kopierbare Vorlage für weltweise Regulierungsansätze dürfte seiner Ansicht nach nicht in Sao Paulo entwickelt werden, schon eher ein weiterer Anstoß für das Multi-Stakeholder-Modell.

"Jede Konferenz, die Netzpolitik an die Oberfläche bringt, ist wichtig", befürwortete Heidi Fritze vom hiesigen Junges UNO-Netzwerk die Initiative. Die brasilianischen Resultate müssten aber auch "zurückgespiegelt werden auf das IGF oder europäische netzpolitische Konferenzen" wie die im Juni in Berlin dräuende EuroDIG. (anw)