EU-Parlament stimmt gegen Roaming-Gebühren und für Netzneutralität

Die EU-Abgeordneten haben mit großer Mehrheit ein neues Regulierungspaket für Telekommunikationsanbieter verabschiedet. Erwartungsgemäß sollen Roaming-Entgelte bis Ende 2015 fallen, beim offenen Internet haben die Volksvertreter noch nachgebessert.

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Digitaler Binnenmarkt: Einheitliche Telecom-Regeln für Europa

Mit neuen Regeln für den digitalen Binnenmarkt, die nach dem Beschluss des Europa-Parlaments noch mit dem EU-Rat festgezurrt werden müssen, sollen die Regulierungsvorgaben für die elektronische Kommunikation vereinheitlicht werden. Wichtige Teilvorhaben sind unter anderem die Abschaffung der Roaming-Gebühren im Mobilfunk und die Sicherstellung der Netzneutralität.

Das EU-Parlament hat am heutigen Donnerstag nach langen Auseinandersetzungen mit 534 Stimmen neue Regeln für den Telekommunikationsmarkt verabschiedet. Es änderte dabei in 1. Lesung den ursprüngliche Verordnungsentwurf der EU-Kommission vom Herbst 2013 noch an vielen Stellen ab.

Bis zuletzt am heftigsten umstritten waren Bestimmungen zur Netzneutralität im angestrebten einheitlichen "digitalen Binnenmarkt". Hier konnten sich Sozialdemokraten, Grüne, Linke und die Liberalen mit Änderungsanträgen durchsetzen, die das offene Internet besser garantieren als die Empfehlungen aus dem federführenden Industrieausschuss.

In dem geänderten Text wird Netzneutralität klar als Grundsatz definiert, wonach "der gesamte Internetverkehr gleich und ohne Diskriminierung, Einschränkung oder Störung unabhängig von Absender, Empfänger, Art, Inhalt, Gerät, Dienst oder Anwendung behandelt wird".

Netzneutralität

Netzneutralität bedeutet, dass Inhalte im Internet gleichberechtigt ihren Weg finden. Vor allem Provider und Carrier wollen aber beispielsweise für Videos extra zu bezahlende Überholspuren einbauen. Für User entstünde ohne Netzneutralität ein Zweiklassen-Internet.

Zudem haben die Volksvertreter Lücken für "Spezialdienste" geschlossen, die Kritikern zufolge das offene Internet in der ursprünglichen Fassung hätten verdrängen können. Gesonderte Kommunikationsdienste werden zwar prinzipiell zugelassen, aber nur, wenn auf "spezielle Inhalte, Anwendungen oder andere Dienste" optimiert wird. Sie dürfen nur "über logisch getrennte Kapazitäten und mit strenger Zugangskontrolle" bei ausreichenden Netzkapazitäten erbracht werden und müssen Funktionen enthalten, "die durchgehend verbesserte Qualitätsmerkmale erfordern".

Als Ersatz für gängige Internetzugangsdienste sollen spezielle Angebote weder vermarktet noch genutzt werden, halten die Parlamentarier fest. Verfügbarkeit oder Qualität des offenen Netzes dürfen nicht beeinträchtigt werden. Wenden Provider Instrumente fürs Netzwerkmanagement an, was unter strengen Voraussetzungen erlaubt wird, müssen sie Endnutzern "vollständige Informationen" darüber bereitstellen.

Das Netzwerkmanagement muss "transparent, nicht diskriminierend, verhältnismäßig und erforderlich sein", willkürliche Blockaden, das Verlangsamen oder Verschlechtern des Netzverkehrs wird untersagt. Unbelassen bleibt es Anbietern von Zugangsdiensten, mit Endnutzern Vereinbarungen zu treffen, mit denen Datenvolumina oder -geschwindigkeiten begrenzt werden können.

Die für die Digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin, Neelie Kroes, hatte während der abschließenden Aussprache über das Vorhaben beklagt, dass "Lobbyisten" die Passagen zum offenen Internet zu einer Schlacht zwischen "Freiheit gegen Tyrannei" hochstilisiert hätten.

Bei Spezialdiensten gehe es nicht darum, ein alternatives Internet zu schaffen oder den Nutzern plötzlich Gebühren abzuverlangen, wenn sie Videos auf YouTube betrachten, führte Kroes aus. Diese seien wichtig, damit Unternehmen Telekonferenzen in hoher Qualität durchführen, Kliniken E-Health-Anwendungen und Provider IPTV anbieten könnten. Wer Spezialdienste ausbremse, "blockiert die Innovation". Die Kommissarin betont, dass es Mitgliedsstaaten überlassen bleiben müsse, notfalls mit Websperren gegen kinderpornographische Seiten vorgehen zu können.

Bürgerrechtsorganisationen wie die "European Digital Rights"-Initiative (EDRi) warfen Kroes dagegen vor, die Fakten außer Acht zu lassen und über eine schwammige Definition von Spezialdiensten ein Zwei-Klassen-Netz zu begünstigen. Gängige Internetangebote könnten so auf einen Trampelpfad verbannt, hochpreisige Eigengewächse der Zugangsanbieter auf die Überholspur geleitet werden.

Einig waren sich Kommission und Abgeordnete, dass die Roaming-Gebühren rasch fallen sollen. Das Parlament hat den Mobilfunkern nun bis Mitte Dezember 2015 Zeit gegeben, die Vermittlungsentgelte verbindlich abzuschaffen. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen die Anbieter "Fair-Use-Klauseln" schaffen, sodass Verbraucher ihr Nutzungsverhalten im Inland auch bei regelmäßigen Reisen innerhalb der EU beibehalten können. Zudem sollen weitere Funkfrequenzen für die mobile Breitbandversorgung freigegeben sowie Lizenzinhabern eine flexiblere Nutzung des Spektrums erlaubt werden.

Reinhard Bütikofer, industriepolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, freute sich nach der Abstimmung, dass "das offene Internet heute wichtige Unterstützung bekommen" habe. Nach zähen Verhandlungen habe sich eine Mehrheit der Abgeordneten dafür ausgesprochen, "dass im offenen Internet alle Datenpakete gleich behandelt werden müssen". Nadja Hirsch erklärte für die Liberalen, dass "Netzneutralität die DNA des Internets" sei. Es gehe bei deren Verankerung um Meinungsvielfalt, Freiheit und gleiche Wettbewerbsmöglichkeiten gerade für Startups und mittelständische Firmen im digitalen Raum.

Der Verordnungsentwurf bedarf noch der Zustimmung des EU-Rates. Eine Einigung mit dem Ministergremium soll eine der Hauptprioritäten des neuen Parlaments nach der Europawahl im Mai bilden. (anw)