Die Woche: SCOs Scherbenhaufen

Wie SCO mit fadenscheinigen Vorwürfen, juristischen Winkelzügen und fragwürdigen Ablassbriefen über Jahre die Open-Source-Welt verunsichert.

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Vor gut einem halben Jahrzehnt ließ ein einfacher Aktenkoffer die gesamte Linux-Gemeinde gespannt aufhorchen. Gregory Blepp von SCO, einst unangefochtener Marktführer bei x86-Unix-Systemen, tingelte damit zur CeBIT 2004 durch Deutschland und später auch den Rest der Welt. Im Koffer befänden sich, so Blepp, die rot markierten Beweise für ein ungeheuerliches Vorgehen der Linux-Entwickler: Anstatt die Kernel-Quellen aus eigenem Wissen zu entwickeln, hätten sie wertvolles geistiges Eigentum von SCO geklaut, indem sie von SCO entwickelten Unix-Quellcode einfach widerrechtlich kopierten.

Doch so richtig überzeugend war die Vorstellung Blepps nicht, denn der Koffer bliebt stets gut verschlossen. Bis heute weigert sich SCO, die angeblichen Beweise zu veröffentlichen. Wer ein Geheimhaltungsabkommen unterschrieb, durfte sich bei SCO gern Gewissheit verschaffen – und musste anschließend darüber schweigen, was sich wirklich im Koffer befand.

Ein paar Bilder des Kernel-Quellcodes mit angeblich verräterrischen Schreibfehlern und ungewöhnlichen Formulierungen sind bislang das einzige, womit SCO seine Vorwürfe öffentlicht untermauerte. Allerdings waren die Bilder zensiert und kein C-Code zu erkennen, sondern nur die Kommentare – angeblich, um SCOs Urheberrechte am Quellcode zu schützen. Eine merkwürdige Begründung, wenn man bedenkt, dass sich jedermann die kompletten, unzensierten Kernel-Quellen von Tausenden Servern auf der Welt herunterladen kann.

Ein brisantes Detail dabei: Bis Ende 2003 verbreitete SCO den Linux-Kernel, und damit auch die beanstandeten Code-Teile, mit dem hauseigenen Caldera Linux sogar selbst aktiv – und zwar unter der GPLv2, die besagt, dass jedermann den Code verwenden und weiterentwickeln darf, sofern er das Ergebnis selbst wieder veröffentlicht. Doch SCO erklärte die GPL kurzerhand für ungültig – womit sich SCO in eine interessante juristische Zwickmühle begab – und verklagte kurzerhand IBM, Novell, AutoZone und DaimlerChrysler wegen Urheberrechtsverletzung an SCOs geistigem Eigentum.

Parallel dazu erfand SCO eine moderne Form des Ablasshandels: Durch den Abschluss einer kostenpflichtigen Antidot-Lizenz für jeden einzelnen Linux-Rechner sollten Firmen und Privatanwender sich die Gewissheit erkaufen, dass SCO sie nicht wegen Urheberrechtsverletzung und illegaler Nutzung von SCO-Code im Linux-Kernel verklagt. Allerdings machten erst Novell und dann auch Red Hat SCO einen Strich durch die Rechnung, als sie ihren Kunden garantierten, sie vor Klagen von SCO zu schützen. Schon bald verkaufte SCO keine einzige Antidot-Lizenz mehr.

Doch es kam noch schlimmer für SCO: Man verlor den Prozess gegen Novell und das Gericht stellte fest, dass Novell nach wie vor das Copyright an Unix besitzt. Zudem musste SCO Konkurs anmelden und Prozessgegner Novell wurde zum größten Gläubiger.

Inzwischen hat selbst die Konkursaufsicht die Hoffnung aufgegeben, SCO könnte sein Geschäft künftig ohne Schulden fortführen, und dem zuständigen Konkursgericht die Aufhebung des Gläubigerschutzes empfohlen. Damit steht SCO kurz vor der Liquidierung, die Firma ist am Boden zerstört.

Doch nicht nur SCO ist ein Scherbenhaufen: Mit den nie öffentlich belegten Beschuldigungen und immer neuen Klagen gegen Firmen, die bei der Linux-Entwicklung helfen oder Linux im großen Stil einsetzen, hat SCO jahrelang eine Atmosphäre der Angst um Open Source verbreitet. FUD (Fear, Uncertainty and Doubt) nennt man diese Taktik in Amerika.

Unternehmen überlegten plötzlich, ob sie nicht ein unkalkulierbares rechtliches Risiko eingehen, wenn sie auf Linux umsteigen. Diese Risiken mussten letztlich Novell und Red Hat durch ihre Schutzversprechen auf sich nehmen, um Linux im Unternehmensbereich weiterhin verkaufen zu können.

Ob die Linux-Entwickler tatsächlich jemals unberechtigt Code von SCO kopiert haben, also SCOs Klagen überhaupt stichhaltig und nicht ein rein taktisches Manöver zur Behinderung eines Mitbewerbers auf dem x86-Unix-Markt waren, wird wohl nie geklärt werden. Mit der drohenden Liquidation von SCO würden auch alle juristischen Streitigkeiten enden, noch bevor zum Beispiel im Prozess gegen IBM alle Beweise auf den Tisch kommen. Und damit bliebe auch ein Rest Unsicherheit, ob Linux wirklich sauber ist – und ob nicht vielleicht ein Käufer der SCO-Konkursmasse auf die Idee kommt, Teile des Kernels als sein geistiges Eigentum zu reklamieren und erneut zu klagen. (mid)

Siehe dazu auch:

* SCO vs. Linux: Die unendliche Geschichte (mid)