Streitgespräch: Brauchen wir Windkraft vom Meer?

Offshore-Windkraft galt bisher als eine zentrale Säule der Energiewende. Zu Unrecht, meint Matthias Willenbacher, Gründer des Projektentwicklers Juwi. Er hält Offshore-Anlagen für zu teuer und überflüssig. Andreas Wagner, Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie, widerspricht.

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Von
  • Gregor Honsel
  • Robert Thielicke
Inhaltsverzeichnis

Offshore-Windkraft galt bisher als eine zentrale Säule der Energiewende. Zu Unrecht, meint Matthias Willenbacher, Gründer des Projektentwicklers Juwi. Er hält Offshore-Anlagen für zu teuer und überflüssig. Andreas Wagner, Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie, widerspricht.

Die Kontrahenten: Matthias Willenbacher hat Physik studiert und 1996 zusammen mit Fred Jung die Firma Juwi gegründet, heute einer der führenden deutschen Projektentwickler für erneuerbare Energien. Andreas Wagner war acht Jahre lang beim Windanlagenhersteller General Electric tätig, bevor er 2008 Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie wurde. Die Stiftung wurde 2005 auf Initiative des Bundesumweltministeriums gegründet.

Technology Review: Herr Willenbacher, brauchen wir Offshore-Windkraft?

Matthias Willenbacher: Nein, weil man auch an Land genügend Windstrom produzieren kann, und das auch noch günstiger.

Andreas Wagner: Ich widerspreche. Bei Offshore werden wir in den nächsten Jahren erhebliche Kostensenkungen sehen, so wie bei jeder neuen Technologie, die noch nicht ausgereizt ist. Vor zehn Jahren bekam die Photovoltaik noch 50 Cent Einspeisevergütung pro Kilowattstunde. Die Offshore-Windenergie hat heute schon Stromgestehungskosten um die zwölf Cent.

Willenbacher: Dann frage ich mich, warum das EEG 19 Cent für die ersten acht Jahre garantiert.

Wagner: Das kann ich Ihnen – als Unternehmer – sehr gut erklären. Gerade bei einer jungen Technologie finanzieren die Banken kaum länger als über einen Zeitraum von zehn bis zwölf Jahren. Das ist übrigens ähnlich wie bei der Onshore-Windenergie vor 15 oder 20 Jahren. Deshalb ist es von Vorteil, wenn sich die Investition – bei einer Größenordnung von 80 Anlagen immerhin eine Milliarde oder 1,5 Milliarden Euro – innerhalb von acht Jahren amortisiert. Die reinen Stromgestehungskosten liegen wie gesagt bei zwölf Cent.

Das ist im Vergleich zu Windkraftanlagen an sehr guten Küstenstandorten vielleicht noch das Doppelte, aber im Vergleich zu Binnenlandstandorten gar kein so großer Unterschied. In den nächsten zehn Jahren werden die Kosten noch einmal um 30 bis 40 Prozent sinken, sodass wir deutlich unter zehn Cent landen werden, wenn der Ausbau sich kontinuierlich weiterentwickelt. So ist die Onshore-Windenergie vor 20 Jahren auch gestartet.

Willenbacher: Man kann nicht einfach sagen, was bei Solar möglich war, ist auch in der Offshore-Windkraft möglich. Das sind ganz unterschiedliche Technologien. Windenergie ist mit hohem Materialeinsatz verbunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ein Fundament künftig mit nur noch zehn Prozent des Betons oder Stahls bauen kann.

Ich habe vor 18 Jahren mein erstes Windrad gebaut. Die Einspeisevergütung betrug damals genau neun Cent. Und wie hoch ist sie heute? Neun Cent. Es hat sich also nichts getan. Nicht, weil die Technologie sich nicht weiterentwickelt hätte, sondern weil die Rohstoffe teurer geworden sind.

Und wenn sich die Offshore-Windkraft weiterentwickelt, wird sich auch die Onshore-Technik weiterentwickeln. Sie haben vorhin gesagt, Sie sehen ein Potenzial von etwa vierzig Prozent Kostendegression. Und ich sage, wir haben onshore in dem gleichen Zeitraum ein Potenzial von dreißig Prozent. Das ist weniger, aber trotzdem noch so viel, dass die Lücke nicht geschlossen werden kann.

Wagner: Ich gebe Herrn Willenbacher recht, dass es im Durchschnitt zwischen Offshore und Onshore wahrscheinlich immer eine gewisse Kostendifferenz geben wird. Diese wird sich aber mit der Zeit deutlich verringern.

Willenbacher: Wenn die Lücke nicht geschlossen wird, dann gibt es auch keinen Grund, warum wir die teure Technologie ausbauen sollten. Wagner: Einspruch, ohne kontinuierlichen Ausbau kommen auch keine Kostensenkungen. Wenn wir die Kostenfrage vor 10 oder 15 Jahren so diskutiert hätten, dann hätten wir bei Solarenergie und auch bei Onshore-Windkraft gar nicht anfangen dürfen.

Willenbacher: Wir können doch in zehn Jahren auch noch sagen: Okay, Onshore hat nicht gereicht. Dann können wir immer noch die Offshore-Technologie weiter vorantreiben.

Wagner: Das könnten wir, wenn wir die industriepolitische Perspektive völlig außer Acht lassen würden. Deutschland ist nun mal Technologieführer im Bereich Windkraft. Die Briten würden sich die zehn Finger lecken, wenn Deutschland sagen würde: Okay, wir setzen jetzt erst einmal zehn Jahre aus.

Das viel wichtigere Argument ist doch: Ohne Offshore-Windenergie wird die Energiewende nicht zu schaffen sein. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES sagt, dass Onshore-Windenergie maximal fünfzig Prozent der Stromversorgung 2050 bereitstellen kann. Im Schnitt haben Windkraftanlagen an Land deutlich unter 2000 Volllaststunden. Selbst wohlmeinende Studien sagen, dass man onshore auch in einigen Jahrzehnten nicht viel mehr als 2500 Volllaststunden erzielen wird. Bei Offshore haben wir heute schon 4500 Stunden, und da ist noch einiges an Technologieentwicklung drin. Offshore kann also gut ein Viertel bis zu einem Drittel des Strombedarfs im Jahr 2050 liefern.