Kommentar: Selfie-Wahn und Fussball-WM

Selbstporträts hat schon Rembrandt von sich angefertigt. Seit es Smartphones gibt, heisst das Selbstbild nun flott Selfie und hat sich als eigene fotografische Kunstform etabliert. Ausgerechnet unsere frisch gekrönten Fussballhelden zeigen nun, warum man nicht jedem Fototrend hinterherhecheln sollte.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Sascha Steinhoff
Inhaltsverzeichnis
Ein Kommentar von Sascha Steinhoff

Sascha Steinhoff ist Redakteur bei c't Digitale Fotografie und schreibt seit 2008 regelmäßig über techniklastige Fotothemen. Privat ist er seit analogen Zeiten bekennender Nikon-Fanboy, beruflich ist er da flexibler. Als Softwarespezialist kümmert er sich insbesondere um die Themen Raw-Konvertierung, Bildbearbeitung und Bildarchivierung.

Wenn man behaupten würde, dass dem sogenannten Selfie in diesem Jahr der absolute Durchbruch gelungen ist, wäre das sicher stark untertrieben. Selfies, also handwerklich meist eher unbeholfen umgesetzte Selbstporträts, waren früher allenfalls als Profilfotos in Internet-Communities akzeptiert. Inzwischen sind die verrauschten Bildchen ebenso omnipräsent wie Smartphones und das gilt auch für die etablierten Printmedien. Prominente Zeitgenossen wie Barack Obama, Rihanna oder Miley Cyrus, haben früh auf den Trend gesetzt und das Selfie damit salonfähig gemacht. Auch abseits der Niederungen der Populärkultur und des amerikanischen Politbetriebes haben Selfies an Bedeutung gewonnen.

Früher ließen sich religiöse Oberhäupter wie Josef Ratzinger aka Benedikt XVI. von ihrem Hoffotografen – selbstredend mit feinster Spiegelreflex-Technik – bei ihren wichtigen Tagesgeschäften porträtieren. Dass der Papst Arm in Arm mit Gläubigen in ein am ausgestreckten Arm gehaltenes Fotohandy lächelt, war bei Benedikt schlicht unvorstellbar. Nun, die Zeiten ändern sich.

Berühmte Selfies: Von Rembrandt bis Ronaldo (9 Bilder)

Der Urvater aller Selfies: Selbstporträt Rembrandt

Auf seinem Selbstporträt von 1660 setzte Rembrandt mit nachdenklichem Blich und seitlichem Lichteinfall ästhetische Maßstäbe, die noch Jahrhunderte später Nachahmer inspirierten.
(Bild: artdaily.com/ Creative Commons Public Domain Mark 1.0)

Der aktuelle Papst Franziskus feiert sich und die Seinen heute ganz selbstverständlich per Selfie. In Deutschland, wo man das Eigenmarketing ja traditionell etwas zögerlicher angeht als anderswo, haben die Selfies erst mit dem Gewinn der Fußball-WM ihren Ritterschlag im Medienmainstream bekommen. Im Angesicht frischgebackener WM-Helden mutiert selbst eine ansonsten eher auf Distanz bedachte Angela Merkel zum Selfie-Fan. Kanzlerin hin oder her: Beim Selfie müssen alle auf Tuchfühlung gehen die auf's Bild wollen. Der Aufnahmeabstand ist auf Armlänge begrenzt, entweder man rückt zusammen oder es wird nix mit dem Foto.