Kommentar: Selfie-Wahn und Fussball-WM

Seite 2: Der ungekrönte Selfie-König

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So beeindruckend die Torausbeute unserer Elf in Brasilien war, es wurden noch viel mehr Selfies als Tore geschossen: Lukas Podolski am Strand, Manuel Neuer im Flugzeug, Mario Götze mit diesen furchtbaren Kopfhörern und so weiter. Da stellt sich automatisch die Frage, welche Auswirkungen diese Selfie-Flut auf die Performance hat. Wenn gesunde junge Männer in der Blüte ihres Lebens aus nichtigem Anlass wie 14-jährige Backfische permanent in Mobiltelefone grinsen, ist das nicht nur kulturell bedenklich. Der moderne Fussball ist ein unerbittlich transparenter Sport. Der Schlußpfiff ist noch nicht ganz verklungen, schon spuckt der Computer aus, wer wieviele Kilometer gelaufen ist, welcher Anteil der gelaufenen Kilometer im sogenannten Vollsprint zurückgelegt wurde, Zweikampfquote und so weiter. Jede kleine Schwäche, die man bei einem Bürojob mit einem geschickt lancierten Kompliment an den Abteilungsleiter locker überspielen könnte, sieht der Trainer spätestens bei der Datenanalyse. Und der eigenen Performance ist es nicht nur vermutlich wenig dienlich, wenn man sich schon auf dem Platz darüber Gedanken macht, wie man später bei Twitter besonders lässig rüberkommt. Der Kopf kickt schließlich mit.

Der ungekrönte Selfie-König der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Brasilien 2014™ war Lukas Podolski. Er hat bei Twitter von Anfang an den Draht ordentlich glühen lassen, da kam keiner seiner Teamkollegen mit. Und das nicht nur auf Deutsch, sondern selbstverständlich zu Ehren des Gastgebers auch auf Portugiesisch. Soweit alles takko: Poldis Online-Präsenz war ein Traum für jeden Social Media Beauftragten. Selbst die Brasilianer waren schwer beeindruckt von seinem Twitter-Gewitter. Auf dem Platz war von ihm allerdings wenig zu sehen, da fehlte dann die anderweitig verpulverte Energie. Seine Großchance beim Spiel gegen Ghana hat er grandios vergeigt, von Toren und Torvorlagen war wenig zu sehen. Immerhin stellte Poldi sicher, dass die notorisch begeisterten Fußball-Hofberichterstatter rund um die Uhr mit neuen Nichtigkeiten versorgt wurden. Seine Kollegen die es Selfie-mäßig sehr viel lockerer angehen ließen, haben dann in beeindruckender Manier den WM-Pott geholt.

Kurz gesagt: Selfies sind derzeit das Tool der Wahl, um sein eigenes Foto in die Medien zu bringen. Zumindest dann, wenn man entweder prominent ist, oder sich zumindest in der Nähe von Promis aufhält. Wer allerdings an ambitionierteren Projekten als der medial aufgeblasenen Selbstdarstellung auf Twitter herumschraubt, sollte es mit den Selfies nicht übertreiben. (sts)