Autonome Fahrzeuge nicht vor 2030

Bei allem Respekt vor Googles ehrgeizigen Plänen: Experten aus Robotik und Künstliche-Intelligenz-Forschung halten die Schwierigkeiten selbstfahrender Autos für viel größer als der Datenkonzern.

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Von
  • Lee Gomes

Bei allem Respekt vor Googles ehrgeizigen Plänen: Experten aus Robotik und Künstliche-Intelligenz-Forschung halten die Schwierigkeiten selbstfahrender Autos für viel größer als der Datenkonzern.

Vor zwei Monaten machte Google mit einem neuen selbstfahrenden Auto Schlagzeilen. In einem Video sah man ein knubbeliges, Smart-ähnliches Fahrzeug ohne Lenkrad vergnügte Passagiere über einen Testparcours fahren. Nun beginnt die heiße Phase für den Datenkonzern: den autonomen PKW fit für den Straßenverkehr in der Stadt zu machen.

Google gibt sich dabei gewohnt optimistisch. Fachleute aus der Robotik und der Künstliche-Intelligenz-Forschung teilen den Optimismus indes nicht. Sie gehen davon aus, dass es noch Jahrzehnte dauern wird, bis ein führerloses Auto genauso sicher und aufmerksam durch Straßenschluchten navigieren kann wie ein Mensch – wenn es überhaupt je gelingt.

Die Google-Autos arbeiten mit detaillierten internen 3D-Karten, die nicht nur Straßen und Vorgaben wie Geschwindigkeitsbeschränkungen darstellen, sondern auch – bis auf einige Zentimeter genau – die Lage von Ampeln oder Bordsteinen. Derzeit arbeite das Unternehmen daran, dass die Fahrzeuge auch unerwartete Hindernisse erkennen können, die nicht auf einer Karte auftauchen, aber typisch für Stadtumgebungen sind, sagt Chris Urmson, Leiter des Entwicklungsprojekts.

"Es ist klar, dass die Welt sich verändert“, sagt Urmson. „Sie müssen mit Dingen wie Baustellen fertig werden, deshalb stecken wir viel Arbeit in ein semantisches Verständnis der Welt.“ Ein autonomes Fahrzeug müsse etwa einen Schulbus von anderen Bussen vergleichbarer Größe unterscheiden können.

In einem Demo-Video dokumentiert Google seine Anstrengungen: Man sieht das runde Gefährt durch eine typische Baustelle navigieren, die durch blinkende gelbe Pfeile markiert wird. Als ein Bauarbeiter mit einem Stopp-Schild in der Hand auftaucht – natürlich handelt es sich um einen Google-Mitarbeiter –, stoppt das Fahrzeug.

Diese Fähigkeiten sind umso wichtiger, als Google zuletzt seine Forschung an autonomen Fahrzeugen neu ausgerichtet hat. Ursprünglich arbeitete es mit handelsüblichen Fahrzeugen, in denen der Fahrer jederzeit mittels Lenkrad und Bremse intervenieren konnte, wenn eine Situation es erforderte. Menschen könnten sich jedoch nicht lange genug konzentrieren, um während der gesamten Fahrtdauer einschreiten zu können, begründete Google dann seine Kehrtwende.

Die Fachwelt zollt dem Vorhaben durchaus Respekt. Google nehme eines der schwierigsten Probleme der Robotik und der Künstliche-Intelligenz-Forschung in Angriff, wenn es die Fähigkeit des Menschen nachbilden wolle, seine Umgebung ohne große Anstrengung zu interpretieren. Denn autonomes Fahren erfordert mehr als nur das Erkennen großer Objekte wie Menschen oder andere Autos. Im Straßenverkehr müssen auch ständig Verkehrsschilder erkannt werden.

Dazu kommen unzählige „soziale Details“, die ein Mensch hinter dem Steuer während der Fahrt wahrnimmt. Das könne der Augenkontakt mit einem anderen Fahrer – etwa beim Einparken – sein, oder auch die Einschätzung des Fahrstils in Abhängigkeit vom Modell, erläutert Alberto Broggi von der Universitá di Parma.

Selbst wenn ein Computersystem Objekte erkenne, sei es sehr schwierig, deren Kontext zu verstehen, sagt Broggi, der mehrere EU-Forschungsprojekte zum Autonomen Fahren geleitet hat. Ein wirklich autonomes Fahrzeug müsste zum Beispiel erkennen, dass eine Person, die am Straßenrand mit den Armen winkt, sehr wahrscheinlich ein Polizist ist, der den Fahrer zum Anhalten auffordert.

Auf einer Konferenz zu dem Forschungsgebiet wurden kürzlich rund 500 Experten in einer Blitzumfrage um ihre Einschätzung gebeten, wie lange es dauern würde, bis diese Probleme gemeistert seien. Über die Hälfte ging davon aus, dass nicht vor 2030 damit zu rechnen sei, ein Fünftel sah die Technik nicht vor 2040 ausgereift. Zehn Forscher gaben sogar an, dass es „nie“ dazu kommen werde.

Im Gespräch mit Technology Review äußerten einige Forscher, dass sie nicht überrascht wären, wenn der Einsatz autonomer Fahrzeuge für Jahrzehnte auf Spezialanwendungen beschränkt bleibe. Dazu zählten sie Baustellen oder Umgebungen wie Firmengelände, auf denen es wenig und nur langsam fließenden Verkehr gibt.

Ebenso wie Google forschen auch die meisten großen Autohersteller an selbstfahrenden Autos. Nissan verblüffte im vergangenen Jahr mit der Ankündigung, solche Fahrzeuge ab 2020 verkaufen zu wollen. Auf der Konferenz ruderte Nissan dann jedoch wieder zurück. Am Ende dieses Jahrzehnts würden Fahrzeuge in der Lage sein, ausgewählte Aufgaben wie Einparken oder Autobahn-Fahrten zu übernehmen. Google selbst hat bisher keine Prognosen abgegeben.

Man müsse eigentlich ständig dem Eindruck entgegenarbeiten, dass, bis auf rechtliche Aspekte, im Prinzip alle Fragestellungen rund um Roboter-Autos geklärt seien, sagt MIT-Experte John Leonard. „Es ist mühsam, der Öffentlichkeit klarzumachen, wie schwer die Aufgabe ist.“ Leonard steht auch weiterhin zu seiner Einschätzung vom vergangenen Jahr, dass er zu seinen Lebzeiten nicht in ein selbstfahrendes Taxi in Manhattan wird einsteigen können.

(nbo)