Ein Ring sie zu finden: Ein Besuch beim CERN

In wenigen Monaten nimmt der weltgrößte Teilchenbeschleuniger, der Large Hadron Collider am CERN wieder seiner Arbeit auf. Vorher haben wir die Chance genutzt, das Forschungszentrum besucht und uns die Anlage selbst angesehen.

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Inhaltsverzeichnis

Mit unseren roten Helmen laufen wir durch Gänge mit Betonwänden und kommen uns vor wie in einem Bunker, nur heller und neuer ist hier alles. Nach wenigen Schritten ist aber schon wieder Schluss und wir stehen vor einer Metalltür. Nichts bereitet uns hier auf das vor, was dahinter wartet, aber wenigstens verspürt auch niemand den Drang, die Spannung zu erhöhen. Die Tür wird geöffnet und vor uns liegt eine riesige Kaverne, vollgestopft mit jeder Menge hochmoderner Technik. Wir haben das Ziel unserer Reise erreicht. ATLAS ist eines der beiden größten Experimente am Large Hadron Collider, dem größten wissenschaftlichen Instrument der Welt.

Nur wenn der LHC nicht läuft, können die Geräte (wie hier das CMS) überprüft, repariert und erweitert werden.

(Bild: CERN)

Im LHC kreisen derzeit keine keine Protonen, denn seit Februar 2013 wird die Anlage für die nächste Ausbaustufe umgerüstet. Der größte Teilchenbeschleuniger der Welt hatte davor über drei Jahre lang besser gearbeitet, als erhofft. Die wichtigste Entdeckung war zweifellos das Higgs-Boson zur Komplettierung des Standardmodells der Teilchenphysik. Doch die Forschung ist nicht zu Ende und kommenden April soll der LHC wieder in Betrieb gehen, dann aber deutlich leistungsfähiger: Die erreichte Schwerpunktsenergie – die wichtigste Maßeinheit der Teilchenbeschleuniger – soll sich fast verdoppeln. Aus diesem Anlass haben wir uns auf den Weg nach Genf gemacht, um dem CERN vor dem Ende des Umbaus noch einen Besuch abzustatten.

Vom Genfer Flughafen ist es nicht weit zur Europäischen Organisation für Kernforschung (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire, CERN). Wenige Minuten mit Bus und Straßenbahn und schon sind wir da. Fast vergessen sind die Zeiten, als nur ein staubiger Feldweg zu dem Gelände an der französischen Grenze führte. Dafür erinnern viele Gebäude noch an die Anfangszeiten. Auch wenn das Forschungszentrum erst mit Dan Browns "Illuminati", dem Riesenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) und der Entdeckung des Higgs-Teilchen so richtig ins öffentliche Bewusstsein rückte, feiert es doch bereits seinen 60. Geburtstag. Und die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Die vergilbten Gebäude und das Linoleum in den Gängen versetzen Besucher dreißig Jahre zurück, lediglich die Flatscreens passen nicht ins Bild. Frisches Geld werde in neue Technik, neue Experimente und neue Gebäude gesteckt, erklärt man uns später.

Ein Besuch beim CERN (18 Bilder)

Ein Besuch im CERN: Vor dem CERN erwartet uns das Denkmal "Wandering the Immeasurable", das dem wissenschaftlichen Fortschritt der Menschheit gewidmet ist.
(Bild: c't / Martin Holland)

Unsere erste Station ist das Kontrollzentrum des CMS auf dem CERN-Gelände, wo wir den für das CMS-Computing zuständigen DESY-Physiker Christoph Wissing treffen. Das Compact-Muon-Solenoid-Experiment ist eines der vier großen an den LHC angeschlossenen Experimente. Wie die anderen Experimente steht das CMS in einer unterirdischen Kaverne, durch die die Rohre des LHC führen. Es wurde nach dem Umbau der vergangenen Monate bereits wieder verschlossen und wird gegenwärtig kalibriert. Da der LHC noch keine Teilchen liefert, muss dafür kosmische Strahlung herhalten, hauptsächlich Myonen, die bei ausgeschaltetem Magneten schnurgerade durch die Anlage rasen. Im Kontrollzentrum ist es trotzdem ruhig, der große Stress steht noch bevor. Der verteilt sich dann auf diesen Raum in CERN-Gelände, ein weiteres Kontrollzentrum direkt am CMS, eines am Fermilab (Fermi National Accelerator Laboratory) in der Nähe von Chicago und ein etwas kleineres bei DESY in Hamburg. Alle vier sind dauerhaft durch Videoübertragungen verbunden.

Die Zeit zwischen den Runs, wie die Monate mit arbeitendem LHC intern genannt werden, nutzen Forscher und Experten, um die bereits gesammelten Daten noch einmal auszuwerten, etwa mit verbesserten Algorithmen und unter Einbeziehung weiterer Zerfallsmöglichkeiten. Bei ATLAS (A Toroidal LHC ApparatuS), dem zweiten großen LHC-Experiment, konnte so die Genauigkeit der Messung der Higgs-Masse noch einmal um dem Faktor 3 auf 125,36 +-0,37 GeV/c² erhöht werden. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, geht die Forschung also auch nach dessen Abschaltung weiter. Trotzdem fiebert man aber natürlich auch hier dem zweiten Run entgegen. Wenn der LHC wieder läuft, wird er fast rund um die Uhr Protonen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit von zwei Seiten in die Experimente schießen. Die Strahlenqualität reicht für bis zu 15 Stunden, dann ist die sogenannte Luminosität zu gering und der Strahl wird neu aufgebaut, was rund zwei bis drei Stunden benötigt.

ATLAS und CMS sind die beiden größten der vier Experimente am LHC, daneben gibt es noch ALICE und LHCb.

(Bild: CERN)

Wissing führt uns dann zu den ATLAS-Kollegen und zum unzweifelhaften Höhepunkt des Besuchs, dem Weg unter die Erdoberfläche. Mit Markus Elsing und Rolf Seuster geht es zu ihrem ATLAS-Experiment, wenige Tage bevor das in Vorbereitung des zweiten Runs ebenfalls verschlossen wird. Hier heißt es Helm aufsetzen und dann fahren wir mit dem Fahrstuhl 100 Meter in die Tiefe. Vorbei an zwei Serverräumen, voller spezieller Elektronik zur Verarbeitung der Rohdaten, geht es in die Kaverne. Allein der Detektor misst mehr als 25 Meter im Durchmesser und ist 45 Meter lang, der ganze Raum mit 35 Metern Breite, 40 Metern Höhe und 55 Metern Länge noch ein Stückchen größer. Mit diesem riesigen Instrumente werden die kleinsten Bausteine des Universums erforscht.

Wir sehen die Endkappen des Experiments, die für den Umbau in eine Parkposition gebracht und noch nicht wieder zusammengeschoben wurden. Sichtbar wird das Zwiebelschalenprinzip, in dem die Detektoren rund um das zentrale Stahlrohr aufgebaut sind. Auf wenigen Zentimetern Länge im Herz der Anlage werden ab 2015 wieder Protonenstrahlen aufeinander geschossen. Bei den Kollisionen werden die Protonen zerstört und es entstehen aus deren enormen (Eigen- und Bewegungs-)Energien neue und manchmal unbekannte Teilchen, die in alle Richtungen fliegen. Die Detektoren sollen diese dann nachweisen. Genauso lief es auch mit dem Higgs-Boson, das vor seiner Entdeckung nur theoretisch vorhergesagt worden war. Welche Teilchen ihm nun folgen, ist eine spannende Frage. Das Experiment ist zum Beispiel auch für die Suche nach supersymmetrischen Teilchen vorgesehen, hypothetischen Teilchen die von einer der plausibelsten Erweiterungen der akzeptierten Theorie postuliert werden.
Für die Forscher gleicht der zweite Run einer Reise in unbekannte Gewässer und jeder kann etwas mitfahren.

Der für uns sichtbare Teil von ATLAS besteht aus verschiedensten Messgeräten die an Universitäten und Forschungseinrichtungen in aller Welt hergestellt wurden. Daneben gibt es auch riesige Magneten, die ein Magnetfeld von bis zu 4 Tesla erzeugen, um die produzierten Teilchen abzulenken. Aus den Radien der Flugbahnen kann auf deren Impulse und Eigenschaften geschlossen werden. Wenn die Protonen auf engstem Raum und mit einer Frequenz von 40 Megahertz kollidieren, fallen jede Sekunde mehr als 100 Terabyte an Rohdaten an. In der ersten Stufe wird mit spezieller Elektronik aus den Rohdaten eine Vorauswahl an interessanten Kollisionen getroffen. Nach diesem Level-1 Trigger verbleiben etwa 200 Gigabyte pro Sekunde, die in dem kleinen Rechenzentrum vor der Tür im zweiten Trigger weiterverarbeitet werden. Nach dieser Stufe bleiben noch etwa 2,5 Gigabyte oder etwa 1000 Kollisionen pro Sekunde (1 Kilohertz) übrig. Diese Daten fließen zur weiteren Verarbeitung ins Computerzentrum des CERN, dem nächsten Ziel unseres Besuchs.

Doch vorher gibt es Mittag und in der Kantine wird nicht nur der internationale Charakter des CERN deutlich - Dutzende Sprachen schwirren durch die Luft - sondern auch dessen Jugend. Die Kantine ist voller junger Menschen, Studenten und Doktoranden. Viele der etwa 10.000 Gäste auf dem Gelände sind nur Wochen oder Monate hier, um direkt am CERN zu forschen. Die Einrichtung kooperiert dafür mit Hunderten Universitäten und Forschungseinrichtungen, nicht nur in den 21 europäischen CERN-Mitgliedsstaaten sondern weltweit. Auf dem Gelände sind deswegen rund einhundert Staaten vertreten.

Wir sind nun auf dem Weg zum CERN-Computerzentrum, dem Ort wo all die Daten einlaufen, die von den Algorithmen für interessant genug gehalten wurden. Hier, wo man sich inzwischen auch per Google Streetview umschauen kann, werden sie zweimal abgespeichert – auf Festplatten und Tapes – und außerdem in das Grid geschaufelt. Dieses Rechnernetzwerk bindet alle Partner an und verteilt die für die Forscher nötige Rechenleistung auf Dutzende von Staaten. Das CERN ist - inzwischen mit einer Ergänzung im ungarischen Budapest - dessen Kopf, als Tier 0. Darunter folgen dreizehn Standorte des Tier 1, die wiederum über den Hunderten Tiers 2 und noch niedrigeren Teilnehmern stehen. Diese einst hierarchische Struktur wird aber inzwischen aufgebrochen, können die Tiers doch auch untereinander kommunizieren.

Das Grid verbindet das CERN mit der ganzen Welt.

(Bild: CERN)

Das Grid bietet den Wissenschaftlern aber nicht nur nötigen Sicherungsspeicherplatz, hier werden vor allem auch die Berechnungen ausgeführt, die die Teilchenphysik ausmachen. Erstellen Wissenschaftler einen Rechenauftrag, weist das Netzwerk die Kapazitäten zu. Zusammengeschlossen und verfügbar sind Rechenzentren in aller Welt (das kann sogar live beobachtet werden). Dass die Arbeit derart verteilt geschieht, hat auch politische Gründe. Sicherlich wäre es effizienter, die Infrastruktur direkt am CERN aufzubauen, aber die Mitgliedstaaten wollten die Forscher und Teile der Technik jeweils im Land behalten. Im Gegenzug stellen sie dort jeweils auf eigene Kosten die Kapazitäten bereit. Das CERN spart also Geld und gleichzeitig treibt das System die Entwicklung verteilter Rechnersysteme voran.

Stefan Lueders ist für die IT-Sicherheit in dieser Struktur verantwortlich. Eine Aufgabe, die sich natürlich von der seiner Kollegen in der Wirtschaft unterscheidet. Wirkliches Angriffsziel für Datendiebstahl ist das CERN nicht, erklärt er: Konstruktionspläne und Messergebnisse sind oder werden öffentlich. Wichtiger ist der Schutz persönlicher Daten, so wie in jeder Uni auch, das Einspielen von Updates gegen Heartbleed & Co und das Reagieren auf die immer wieder aufschlagenden Hacker, seien es White-Hats, Grey-Hats oder Black-Hats. Seine IT-Infrastruktur muss auch nicht nur mit den immensen Mengen an LHC-Rohdaten (20-30 Petabyte pro Jahr] zurechtkommen, sondern genauso den alltäglichen Dingen wie E-Mail, Webservern. Als kleines Extra haben die Provider direkt bei CERN noch einen eigenen Internet-Knoten eingerichtet, den CIXP.

Für uns heißt es nun Abschied nehmen. Wir werden zum Eingang zurückgefahren, vorbei ab jenen Laboren wo Antimaterie hergestellt wird und weiteren, deutlich kleineren Ringen für Teilchenbeschleuniger. Vom CERN haben wir bei weitem nicht alles gesehen. Und auch das CERN ist noch nicht am Ende angelangt. Die Planungen für einen noch größeren Ring haben bereits begonnen. Je größer der Umfang, desto weniger Energie verlieren die Teilchen auf ihren Runden. Da die wieder hinzugefügt werden muss, um die Strahlenenergie konstant zu halten, erzielen größere Beschleuniger höhere Kollisionsenergien. In den unbefahrenen Gewässern gibt es noch jede Menge zu entdecken.

Das Forschungszentrum CERN (17 Bilder)

Das CERN

Die hier markierten Ringe der Teilchenbeschleuniger verlaufen unterirdisch.
(Bild: Maximilien Brice)

(mho)